Vom Discounter zum Datenriesen : Lidl-Transformation: Wie der Discounter still und heimlich zum Tech-Riesen wird
Die Schwarz Gruppe hinter Lidl baut eines der größten Rechenzentren Europas und bläst zum Angriff auf Big Tech.
- © IndustriemagazinEgal ob Cybersecurity, Cloud-Computing oder Künstliche Intelligenz: Lidl mischt inzwischen mit und fordert sogar Amazon und OpenAI heraus. Um zu verstehen, warum ausgerechnet ein Discounter zum Angriff auf Amazon und Co bläst, lohnt sich ein Blick dorthin, wo diese Entwicklung begonnen hat – an einen Ort, der mit Hightech zunächst wenig zu tun hat.
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Vom Aldi-Vorbild zum Milliarden-Imperium: So baute Dieter Schwarz sein Handelsreich auf
Neckarsulm: Eine ruhige Stadt mit historischem Marktplatz, barocker Kirche und einem 170 Milliarden-Konzern. Von hier aus steuert die Schwarz Gruppe seine 595.000 Mitarbeitern weltweit. An der Spitze steht Dieter Schwarz, 86, mit einem Vermögen von 34 Milliarden Euro der zweitreichste Mann Deutschlands. Schwarz meidet die Öffentlichkeit, gibt keine Interviews, selbst Fotos von ihm sind Mangelware.
Das Fundament seines Reichtums baute er in den 70er-Jahren: Schwarz übernimmt den Lebensmittelhandel seines Vaters, verlegt die Zentrale nach Neckarsulm, und setzt auf Expansion um jeden Preis. Das Vorbild dafür liefern Karl und Theo Albrecht, die Aldi-Brüder, die zu dieser Zeit den deutschen Lebensmittelhandel revolutionieren. Schwarz übernimmt das Discounter-Prinzip – und skaliert es.
Die Strategie geht auf: 2024 macht die Schwarz-Gruppe über 175 Milliarden Euro Umsatz.
Aldi Nord und Aldi Süd zusammen 112.
>>> Cyberangriffe auf Lidl und Kaufland explodieren: Schwarz-Gruppe unter russischem Beschuss
Machtwechsel bei Lidl: Wie ein App-Erfolg den Weg in die Digitalära einläutete
Jahrzehntelang führte Klaus Gehrig - Spitzname: Killerwal - das Unternehmen mit eiserner Hand. Er galt als enger Vertrauter von Schwarz, der bis ins kleinste Detail die Vertriebs- und Fillialstruktur überwachte. Als die Digitalisierung im Lebensmittelhandel Anfang der 2010er-Jahre an Bedeutung gewann, reagierte Gehrig zurückhaltend. Digitale Initiativen wurden früh gestoppt oder gar nicht erst begonnen.
2019 beginnt es hinter den Kulissen zu rumoren. Es ging um die Frage, ob der Konzern beim stationären Handel bleibt oder stärker auf Online und Digitalisierung setzt. Gehrig vertritt dazu eine klare Meinung: Lidl solle auf seine Stärke Fokussieren und davon ablassen, den Weg von Amazon zu gehen.
Diese Haltung hatte Folgen: Am Ende spricht Dieter Schwarz ein Machtwort. Gehrig muss gehen, Schwarz übernimmt kurzzeitig – und setzt wenig später Gerd Chrzanowski an die Spitze. Nur ein Jahr später startet Chrzanowski mit „Lidl Plus“ seine erste große Digitaloffensive. Die App ist ein voller Erfolg und liegt zeitweise auf Platz zwei der beliebtesten Shopping-Apps in Deutschland, direkt hinter Temu und noch vor Shein, Kleinanzeigen oder Amazon.
Cyber-Offensive aus Neckarsulm: Wie Lidl ein Mossad-Startup übernahm
Mit Ausbruch der Covid-Pandemie erlebt Deutschland einen sprunghaften Anstieg von Hackerangriffen. Interne Analysen zeigen: Auch die Schwarz-Gruppe ist angreifbar.
Im November 2021 bietet sich eine passende Gelegenheit: Das israelische Sicherheitsunternehmen XM Cyber steht zum Verkauf. Gegründet wurde es vom ehemaligen Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad. Mehrere US-Techfirmen sollen interessiert sein – doch der Zuschlag geht an die Schwarz-Gruppe, für rund 700 Millionen Dollar.
Damit entsteht in Neckarsulm eine eigene, hochprofessionelle Sicherheitsarchitektur. Und sie bleibt nicht auf die Schwarz-Gruppe beschränkt: Heute setzen auch große deutsche Unternehmen wie SAP oder die Commerzbank auf die Cyberlösungen aus dem Schwarz-Umfeld.
STACKIT: Wie Lidl seine eigene Cloud „Made in Germany“ aufbaute
Die Schwarz-Gruppe benötigt enorme Rechenleistung, will sensible Daten jedoch nicht in fremden Rechenzentren speichern. Den Cloud-Markt dominieren vier große Hyperscaler aus den USA und China: Microsoft, Google, Amazon und Alibaba.
Für einen Händler, der täglich Millionen Kundendaten verarbeitet, ist das ein Risiko. Die Datensicherheit lässt sich nur garantieren, wenn die Infrastruktur unter eigener Kontrolle bleibt. Die Lösung entsteht im eigenen Haus: Die Schwarz-Gruppe baut eine eigene Cloud auf – zunächst für interne Zwecke. Die IT-Systeme von Lidl und Kaufland, inklusive Onlineshops und Logistik, laufen dafür in eigenen Rechenzentren in Deutschland und Österreich.
2022 öffnet Schwarz die Plattform für externe Kunden und positioniert sie unter dem Namen STACKIT als europäische Cloud-Alternative „Made in Germany“. Das Digitalgeschäft der Gruppe wächst schnell und erzielt inzwischen rund zwei Milliarden Euro Umsatz im Jahr. Noch klein im Vergleich zum Kerngeschäft – aber mit deutlich höheren Margen, wie der Blick auf die Branche zeigt: Während im Lebensmittelhandel oft nur wenige Cent pro Euro hängen bleiben, ist das Cloud-Geschäft hochprofitabel.
KI-Offensive aus Deutschland: Lidl-Investor Schwarz pumpt Millionen in Aleph Alpha
Ende 2022 sorgt die Veröffentlichung von ChatGPT weltweit für einen Hype rund um künstliche Intelligenz – und für die Frage, welche Rolle Europa in diesem Feld künftig spielt. Eine der wenigen europäischen Alternativen entsteht in Heidelberg: Aleph Alpha, ein Start-up, das mit seiner Modellreihe „Luminous“ eigene KI-Systeme entwickelt.
Doch um mit den großen US-Anbietern mithalten zu können, braucht das Unternehmen Kapital. Viel Kapital. Im November 2023 steigt die Schwarz-Gruppe als einer der wichtigsten Investoren ein. Insgesamt fließen rund 500 Millionen Euro – ein Großteil davon aus dem Schwarz-Umfeld.
Parallel wächst in Heilbronn das nächste große Projekt: der Innovationspark AI. Bis 2027 soll hier ein komplettes Ökosystem für KI-Forschung und Start-ups entstehen – finanziert unter anderem durch die Schwarz-Stiftung, die allein für den Aufbau 50 Millionen Euro bereitstellt. Weitere Mittel kommen über die IPAI Management GmbH, die direkt zur Schwarz-Gruppe gehört. Insgesamt sollen bis zu zwei Milliarden Euro in das Projekt fließen.
Schwarz Digits: Wie Lidl sein eigenes digitales Ökosystem aufbaut
Im September 2023 stellt Gerd Chrzanowski eine neue Sparte im Schwarz-Imperium vor: Schwarz Digits. Geführt wird die Sparte von den beiden Co-CEOs Rolf Schumann und Christian Müller. Schumann bringt langjährige Erfahrung aus SAP und Siemens mit. Müller arbeitet seit 2004 im Unternehmen – er startete im IT-Bereich von Lidl und führte ab 2018 die Schwarz-IT.
Schwarz Digits bündelt all das, was der Konzern in den vergangenen Jahren im Digitalbereich aufgebaut hat – von der Kunden-App über Cybersicherheit bis hin zu eigener Cloud- und KI-Infrastruktur. Was als Treue-App begann, entwickelt sich Schritt für Schritt zu einer umfassenden Digitalarchitektur. Erst die Absicherung der eigenen IT-Systeme, dann der Aufbau einer eigenen Cloud – und nun der Einstieg in künstliche Intelligenz. So baut Schwarz ein digitales Ökosystem – zunächst entwickelt für Lidl und Kaufland, dann gezielt für externe Kunden geöffnet.
Ob dieser Weg aufgeht, bleibt offen. Die Konkurrenz ist stark, der technologische Wandel schnell, und manche Projekte werden sich erst in Jahren bewerten lassen. Doch für die Schwarz-Gruppe ist dieser Kurs vor allem eines: eine langfristige Wette auf die technologische Zukunft Deutschlands – und auf die Chance, Europas Antwort auf Amazon, Google und OpenAI zu werden.