Joanneum Research : Hyperspektralanalyse im Recycling: Wie KI Plastik, Holz und Textilien sortieren lernt

Joanneum Research: KI-gestützte Sortieranlagen für Kunststoffrecycling
- © BERNHARD BERGMANNPlastik, Holz, Textilien. Das meiste davon landet noch immer auf der Deponie oder in der Müllverbrennungsanlage. Aber was wäre, wenn man jedes Material schon beim Sortieren so gut erkennt wie ein Sommelier seinen Lieblingswein?
Joanneum Research hat in Graz ein österreichweit einzigartiges Hyperspektrallabor aufgebaut. Das Ziel: Materialien so präzise analysieren, dass sie nicht nur erkannt, sondern in ihrer Reinheit beurteilt werden können.
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Mit KI und Sensorik zu präziserem Recycling – von Holz bis Stahlschrott
Beim Holzrecycling erkennt die Sensorik selbst kleinste Rückstände – etwa von Leim oder Feuchtigkeit. Mithilfe künstlicher Intelligenz, genauer gesagt sogenannter Convolutional Neural Networks, wird aus Müll lernfähiges Material. Das Ergebnis: weniger Fehlwürfe, mehr sortenreines Rezyklat.
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Doch die Forschung bleibt nicht im Labor: Joanneum Research entwickelt gemeinsam mit Industriepartnern praxistaugliche, wirtschaftliche Lösungen – zum Beispiel im Projekt „InSpecScrap“. Hier steht die Sortierung von Stahlschrott im Fokus. Ziel ist es, mithilfe hyperspektraler Bildgebung unterschiedliche Stahlsorten anhand ihrer spektralen Signatur zuverlässig zu identifizieren und zu klassifizieren. Auch Explainable AI kommt dabei zum Einsatz – also künstliche Intelligenz, die nachvollziehbar erklärt, auf welcher Grundlage sie Entscheidungen trifft. „Wir bringen Erkennungsgenauigkeit und Erklärbarkeit zusammen“, sagt Harald Ganster von Joanneum Research. „Das heißt, die Industrie bekommt nicht nur Daten, sondern auch nachvollziehbare Entscheidungen.“ Das Ergebnis: eine präzisere Sortierung bei geringerem Datenvolumen und deutlich reduziertem Rechenaufwand – ein echter Fortschritt für die Kreislaufwirtschaft.

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Dr. Harald Ganster, Joanneum Research
"Wir können bestimmen welche Fremdstoffe in Restholzfraktionen enthalten sind wie Kunststoff verschmutzt ist inklusive Verschmutzungsgrad oder sogar Materialeigenschaften wie Elastizität Viskosität für die Produktion von neuen Kunststoffen."
Recycling neu gedacht: Von Faser-zu-Faser und Druckschicht für Druckschicht
Auch im Textilrecycling wird es ernst: Jährlich landen in Österreich über 200.000 Tonnen Textilien im Müll – der Großteil davon wird verbrannt. Im Projekt StraTex arbeiten Forschende daher an innovativen Sortierverfahren für ein echtes Faser-zu-Faser-Recycling – sogar bei beschichteten oder mehrlagigen Stoffen.
Auch im Bereich 3D-Druck ist Graz technologisch an der Spitze: Dank hyperspektraler Qualitätssicherung im laufenden Druckprozess werden Keramikbauteile stabiler, während Ausschuss deutlich reduziert werden kann. „Früher war es nur möglich, 3D-Objekte nach dem Druck zu prüfen. Mit unseren Technologien können wir Schicht für Schicht inline die Genauigkeit kontrollieren“, erklärt Harald Ganster.
Klar ist: Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft braucht Daten – präzise, nachvollziehbare und industriegerechte Informationen. Und genau dieser Rohstoff für Europas Recyclingzukunft könnte schon bald aus der Steiermark kommen.
Harald Ganster über Hyperspektralanalyse, industrielle Anwendungen und die Zukunft des Recyclings
INDUSTRIEMAGAZIN:
Hyperspektralkameras liefern hochpräzise Materialanalysen, kommen aber meist als stationäre Laborsysteme zum Einsatz. Wie lassen sich solche Technologien in die industrielle Praxis übertragen?
Ganster:
Die Laborsysteme sind tatsächlich nicht für den industriellen Einsatz gedacht, sondern dienen der Grundlagenforschung. Wir nutzen sie, um herauszufinden, welche Materialeigenschaften für eine zuverlässige Erkennung entscheidend sind – sei es zur Identifikation von Stoffen oder zur Analyse von Qualitätsmerkmalen. Auf dieser Basis entwickeln wir dann industrietaugliche Systeme: einfachere Kameras, kombiniert mit Filtern und passenden Beleuchtungseinheiten. Diese sind schneller, robuster und liefern die notwendige Datenverarbeitung für den Einsatz in der Produktion.
INDUSTRIEMAGAZIN:
Ein konkretes Beispiel dafür ist das Projekt „InSpecScrap“ zur Sortierung von Stahlschrott. Die Stahlindustrie investiert gerade viel in sogenannte Elektrolichtbogenöfen – ein Wachstumsfeld?
Ganster:
Absolut. Elektrolichtbogenöfen werden immer häufiger eingesetzt, da sie eine Schlüsseltechnologie für „grünen Stahl“ sind. Damit steigt aber auch der Bedarf an hochwertigem Stahlschrott. Der Markt ist sehr dynamisch – Europa liegt beim Schrotteinsatz schon bei rund 50 %, in China sind es nur etwa 20 %. Sollte China aufholen, wird der Wettbewerb um hochwertigen Schrott deutlich zunehmen. Unsere Systeme helfen dabei, genau die Qualität zu liefern, die gefragt ist – indem sie Fremdstoffe erkennen und gezielt aussortieren.
INDUSTRIEMAGAZIN:
Je besser ich also weiß, was im Schrott enthalten ist, desto besser kann ich ihn verwerten – gerade auf einem umkämpften Weltmarkt. Beim Stahlrecycling sind wir in Europa schon recht weit. Aber bei anderen Materialien, etwa Aluminium oder Textilien, ist die Recyclingquote viel niedriger. Woran liegt das?
Ganster:
Das hängt stark mit den Anforderungen an die Materialeigenschaften zusammen. Viele Produkte erfordern ganz spezifische Eigenschaften – etwa bestimmte Elastizität oder Festigkeit. Recyceltes Material kann das oft nicht in der gewünschten Konstanz liefern. Deshalb ist es entscheidend, die genauen Merkmale eines Materials zu kennen. Unsere Analyseverfahren helfen dabei, diese Eigenschaften sichtbar zu machen. Gleichzeitig braucht es aber auch ein Umdenken bei der Produktentwicklung – mehr Offenheit für recycelte Materialien.
INDUSTRIEMAGAZIN:
Welche Herausforderungen haben Unternehmen bei der Materialanalyse – und wie unterstützen Sie sie dabei?
Ganster:
Ein großes Problem ist die Materialvielfalt – vor allem im Textilbereich. Dort haben wir es mit Mischgeweben, Beschichtungen, Accessoires und anderen Störstoffen zu tun. Unsere Technologie erkennt nicht nur das Grundmaterial, sondern auch feinste Unterschiede in den Materialeigenschaften. So können wir zum Beispiel feststellen, ob ein Kunststoff zum Tiefziehen geeignet ist oder eher gegossen werden muss. Solche Informationen sind für die industrielle Weiterverarbeitung essenziell.
INDUSTRIEMAGAZIN:
Wie nah sind wir an einer Zukunft, in der solche Analyseverfahren Standard in Recyclinganlagen oder Produktionslinien sind?
Ganster:
Einfachere Systeme sind heute schon in vielen Anlagen verbaut. Unsere hochpräzisen Lösungen brauchen noch etwas Zeit, um vollständig industriegerecht zu werden – vor allem im Hinblick auf Kosten, Geschwindigkeit und Robustheit. Aber in spezialisierten Anwendungen, etwa bei hochwertigen Produkten, kommen sie bereits zum Einsatz. Der Markt entwickelt sich schnell: Neue Hersteller, bessere Beleuchtungssysteme – das alles macht die Technologie zunehmend erschwinglich und zugänglich.
INDUSTRIEMAGAZIN:
Wenn Sie fünf Jahre in die Zukunft blicken – wo steht die Hyperspektralanalyse dann?
Ganster:
Ich bin überzeugt, dass wir in fünf Jahren viele Systeme, die heute nur im Labor stehen, in Echtzeit-Anwendungen der Industrie sehen werden. Das Potenzial für Effizienzsteigerung und präzise Kreislaufwirtschaft ist enorm.
INDUSTRIEMAGAZIN:
Spannende Aussichten. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Ganster!
Ganster:
Sehr gerne.