Abhängigkeiten in den Lieferketten : ASCII-Leiter Klimek: "Lieferketten werden zur geopolitischen Waffe“

„Wir müssen die großen Transformationsbrocken proaktiv angehen": Peter Klimek, Leiter des Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII)
- © Eugénie SophieINDUSTRIEMAGAZIN: Wie resilient sind die globalen Lieferketten im Vergleich zum letzten Jahr für heimische Unternehmen?
Peter Klimek: Die COVID-bedingten Störungen der Lieferketten sind natürlich zurück gegangen, wenngleich auch diese noch in mehreren Bereichen "nachhallen", zum Beispiel bei den Lieferengpässen bei Medikamenten. Dafür sind neue Herausforderungen auf vielen Ebenen aufgetaucht. Der Russland-Ukraine-Konflikt und das zunehmende Hinterfragen der Abhängigkeiten von einzelnen Ländern (insbesondere China) läuten hier schon eine Zeitenwende ein. Das Bewusstsein ist sicherlich gewachsen, dass Lieferkettenabhängigkeiten zunehmend als geopolitische Waffen eingesetzt werden. Das gilt für das vergleichsweise ressourcenarme Europa und insbesondere für Österreich mit seiner nach wie vor hohen Abhängigkeit von Russland bei der Energieversorgung.
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Im internationalen Vergleich zeigen viele Indikatoren zur Resilienz von Lieferketten nach wie vor, dass diese in Österreich international im Spitzenfeld liegt. Damit das so bleibt, müssen nun die großen Transformationsbrocken proaktiv angegangen werden, um kein Spielball externer Interessen zu werden.
Inwiefern kann das ASCII heimischen Unternehmen konkret helfen, diese resilienter zu gestalten?
Klimek: Unser Ziel am ASCII ist nicht die Beratung im Supply Chain Management einzelner Unternehmen, sondern die österreichischen Wertschöpfungsnetzwerke insgesamt resilienter, nachhaltiger und effizienter für zukünftige Entwicklungen aufzustellen. Konkret sind wir gerade dabei, die Auswirkungen des Wechsels zur e-Mobilität für die österreichische Zulieferindustrie besser zu verstehen. Hier wird es Gewinner und Verlierer geben, Risiken aber auch Möglichkeiten neue, zukunftsfitte Technologien und Dienstleistungen zu erschließen.
Das wollen wir besser verstehen um heimischen Unternehmen und politischen Entscheidungsträgern einen Informationsvorteil zu verschaffen. Ähnliches bauen wir auch für andere Branchen auf, z.B. die Halbleiterindustrie oder die Pharmazeutische Industrie. Natürlich kann das nicht funktionieren, ohne enge Einbindung von Domänenexpert:innen aus den jeweiligen Branchen, auch das ist uns ein Anliegen.
Sie haben gerade die Halbleiter-Branche oder die pharmazeutische Industrie angesprochen. Warum beschäftigt sich das ASCII schwerpunktmäßig mit diesen Sektoren – inklusive Automotive?
Klimek: Das sind die Sektoren, wo momentan am ehesten der Schuh drückt: Bei den Life Sciences gab es etwa durch den Medikamentenmangel Probleme. Bei der Automobilzulieferindustrie ist eben der bereits angesprochene Wechsel hin zum elektrischen Antriebsstrang ein Thema. Wie kann und soll das tatsächlich funktionieren? Wenn in zehn Jahren Neuzulassungen vor allem elektrisch sein sollen, was heißt das für österreichische Unternehmen? Was wird sich in den Produktionsketten ändern, wenn fast ausschließlich noch elektrische Autos verkauft werden sollen? Wo gibt es Gewinner, wo Verlierer, wo gibt es Möglichkeiten für neue Märkte, bei denen wir in Österreich Kompetenzen hätten, solche Nischen zu besetzen – und wie erkennen wir das schnell genug?
Das Thema Halbleiter ist wiederum auch getrieben durch den European Chips Act, der mit 43 Milliarden Euro die Chipproduktion in Europa stärken soll. Da stellen sich ganz ähnliche Fragen. Natürlich ist uns aber auch klar, dass sich die drängenden Themen im Jahres-, Monats-, wenn nicht sogar Wochentakt ändern. Wichtig ist also die übergeordnete Mission, die hinter dem ASCII steht: Infrastruktur aufzubauen, damit wir bei zukünftigen Anlassfällen eine höhere Geschwindigkeit haben, um bei der Entscheidungsfindung evidenzbasierte Inputs zu geben.
Welche Tools und Technologien sind für das Management von Lieferketten essentiell und warum?
Klimek: Die grundlegende Schwierigkeit ist, dass die globalen Lieferketten nicht bekannt sind, wir aber stark von denen abhängen. Meist merkt man diese Abhängigkeiten erst, wenn einmal etwas nicht mehr funktioniert. Weiters haben auch nur die wenigsten Unternehmen eine derartige Verhandlungsmacht, dass Sie ihre Zulieferer dazu bringen können, deren Lieferketten sichtbar zu machen.
Wir müssen daher neue Modelle entwickeln um die internationale Sichtbarkeit von Lieferketten zu erhöhen. Dabei geht es darum Wege zu finden, dass einerseits die Unternehmen keine kritischen Informationen bekannt geben müssen, andererseits aber Daten so ausgetauscht werden können, dass systemische Risiken aber auch Potenziale durch Transformationen in Richtung größerer Nachhaltigkeit sichtbar und dadurch managebar werden.
Für das "Supply Chain Intelligence Institute Austria" stehen Ihnen insgesamt zehn Millionen Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren zur Verfügung. Können Sie diese zehn Millionen in einen Kontext setzen – was für ein Spielraum ist dadurch gegeben?
Klimek: Im Rahmen von Forschungsförderungen ist es schon eine Menge. Da gibt es wenige Initiativen in Österreich, die ähnliche Förderungen bekommen. Das heißt damit kann man prinzipiell schon dicke Bretter anbohren. Die meisten Fördermittel setzen wir ein, um kluge Köpfe anzustellen. Damit reicht das Geld, um eine gewisse kritische Masse an Forschenden zusammenzutragen. Und dann kann da natürlich schon etwas weitergehen.
Wie viele kluge Köpfe werden das sein?
Klimek: Wir streben an, dass in etwa 15 Leute an diesen Themen forschen.