Billig-Ware aus China : Temu, Shein & Co: Warum Europa zum neuen Ziel chinesischer Billigexporte wird

Die neuen US-Strafzölle gegen China verstärken nach Einschätzung des Handelsverbands die "Billigstwarenschwemme" aus Fernost nach Europa "deutlich".
- © Ascannio - stock.adobe.comDie jüngste Eskalation im Zollstreit zwischen den USA und China hat unerwartete Folgen für Europa: Immer mehr asiatische Containerschiffe, beladen mit Billigwaren, verlagern ihren Kurs über den Pazifik hinaus in Richtung europäischer Häfen. Grund dafür sind massive neue Strafzölle der Vereinigten Staaten gegen chinesische Waren, die nach Einschätzung des österreichischen Handelsverbands zu einer verstärkten „Billigstwarenschwemme“ aus Fernost auf den europäischen Markt führen.
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„Anstatt in die USA, seien immer mehr asiatische Containerschiffe mit geringwertigen Waren nun in Richtung Europa unterwegs“, sagte Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbands, am Donnerstag bei einer Fachtagung in Wien. Er fordert drastische Maßnahmen, darunter eine temporäre Sperre chinesischer Billigversender wie Temu, Shein und ähnlicher Plattformen in Europa.
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Trumps Zollpolitik treibt Warenströme nach Europa
Die Wurzeln der aktuellen Entwicklung liegen in einer aggressiven wirtschaftspolitischen Kehrtwende der USA. Seit seiner Rückkehr ins Präsidentenamt hat Donald Trump eine harte Linie gegenüber China eingeschlagen – mit tiefgreifenden Konsequenzen für den globalen Handel. In der Nacht zum 9. April 2025 verkündete US-Präsident Donald Trump eine drastische Erhöhung der Strafzölle auf chinesische Waren. Die Zölle wurden von zuvor 104 % auf nunmehr 125 % angehoben. Trump begründete diesen Schritt mit Chinas "mangelndem Respekt gegenüber den Weltmärkten" und betonte, dass diese Maßnahme notwendig sei, um faire Handelsbedingungen zu gewährleisten.
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Zudem wurde die bisherige zollfreie Einfuhr von Paketen bis zu einem Wert von 800 US-Dollar (rund 724 Euro) gestrichen. Das Ziel: den chinesischen Onlinehandel vom US-Markt fernzuhalten. Die unmittelbare Folge: massive Umleitungen von Lieferketten und Handelsrouten, die nun vermehrt auf Europa fokussieren.
Während die USA ihre Märkte abschotten, bleibt Europa offen – mit weitreichenden Konsequenzen. Derzeit dürfen Waren aus Nicht-EU-Ländern bis zu einem Wert von 150 Euro zollfrei importiert werden. Genau diese Regelung nutzen Anbieter wie Temu und Shein aus, indem sie Waren häufig bewusst unter diesem Schwellenwert deklarieren.
„Der Schaden für den österreichischen Handel liegt bei rund 4,5 Milliarden Euro“, so Will. Laut Handelsverband wurden allein im Jahr 2024 rund 4,6 Milliarden Pakete zollfrei nach Europa geliefert. Zwei Drittel davon seien falsch deklariert – eine Praxis, die nicht nur Steuerverluste, sondern auch massive Wettbewerbsverzerrungen zur Folge habe.
Appelle an Brüssel: „Die EU-Kommission muss sofort handeln“
Der Handelsverband sieht dringenden Handlungsbedarf auf europäischer Ebene. „Temu und Shein verstoßen mutmaßlich wiederholt gegen geltendes EU-Recht“, kritisiert Will und bemängelt, dass „die Vollzugsinstrumente der EU noch nicht auf scharf gestellt“ seien. Er fordert die EU-Kommission zum sofortigen Handeln auf, etwa durch strengere Zollkontrollen, eine Absenkung der Zollfreigrenze auf null Euro oder Sanktionen gegen Anbieter, die systematisch gegen europäische Marktregeln verstoßen.
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Falls Brüssel nicht rasch agiert, müsse Österreich laut Will unilateral tätig werden. Sein Vorschlag: Eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von 150 Euro für jedes Paket aus China, das von Temu, Shein oder vergleichbaren Anbietern stammt. Damit wolle man sowohl Zollbetrug eindämmen als auch einen fairen Wettbewerb für heimische Händler sicherstellen.
Die Dringlichkeit der Situation spiegelte sich auch im hochkarätig besetzten Handelskolloquium wider, bei dem neben Branchenvertreterinnen und -vertretern auch Mitglieder der Bundesregierung anwesend waren. Sozialministerin Korinna Schumann (SPÖ) und Staatssekretär Josef Schellhorn (NEOS) signalisierten in Wien Unterstützung für die Anliegen des Handelsverbands.
Schellhorn betonte die Bedeutung eines „fairen digitalen Handels“, bei dem europäische Standards auch für internationale Onlineplattformen gelten müssten. Schumann verwies auf die sozialen und arbeitsrechtlichen Folgen unkontrollierter Billigimporte: „Wenn österreichische Unternehmen vom Markt gedrängt werden, verlieren nicht nur Firmen, sondern auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.“
Temu und Shein: Erfolg mit System
Die rasante Expansion chinesischer Onlinehändler wie Temu und Shein beruht auf einem ausgeklügelten Geschäftsmodell. Beide Plattformen setzen auf extrem günstige Preise, eine algorithmusgestützte Produktplatzierung und eine aggressive Präsenz auf sozialen Medien – insbesondere bei jungen Konsumenten. In Europa gewinnen sie kontinuierlich Marktanteile, häufig zulasten stationärer Händler und etablierter Onlineanbieter.
Zudem bedienen sie sich sogenannter „Direct-to-Consumer“-Logistikstrategien, bei denen Waren direkt aus chinesischen Lagern zum Endkunden geliefert werden – ohne Zwischenlagerung oder Kontrolle durch Zollbehörden. Diese Praktiken erschweren die Durchsetzung von EU-Rechtsvorgaben wie Produktsicherheit, Steuerpflicht oder Nachhaltigkeitsstandards erheblich.
Mehr Ressourcen für den Zoll gefordert
Ein zentrales Anliegen des Handelsverbands betrifft die Ausstattung der Zollbehörden. Die derzeitigen Kapazitäten reichen laut Branchenangaben bei weitem nicht aus, um die Masse an Kleinpaketen effektiv zu kontrollieren. „Wir brauchen mehr Zollbeschäftigte, mehr technische Ausrüstung und eine digitalisierte Bearbeitung von Paketdaten“, heißt es in einer Mitteilung.
Das Problem der Falschverzollung sei nicht nur ein steuerliches, sondern auch ein sicherheitstechnisches Thema. Immer wieder würden Produkte mit gefährlichen Inhaltsstoffen oder ohne CE-Kennzeichnung entdeckt. Dennoch gelangen sie unkontrolliert in die Hände europäischer Verbraucherinnen und Verbraucher.
Rückhalt aus der Bevölkerung?
Die politischen Forderungen stoßen zunehmend auch bei Konsumentinnen und Konsumenten auf offene Ohren – zumindest bei jenen, die sich über die Herkunft und Qualität der bestellten Waren Gedanken machen. Dennoch bleibt der Preis für viele das Hauptkriterium – ein Dilemma, das sich nur durch politische Maßnahmen und umfassende Aufklärung lösen lässt.
Die Diskussion um Billigimporte und faire Handelsbedingungen ist damit nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine gesellschaftspolitische Herausforderung. Der globale Warenfluss lässt sich nicht aufhalten – aber regulieren.