Industriekongress 2025 : Andreas Gerstenmayer: „Wir müssen uns vom Gedanken verabschieden, überall mitspielen zu können"

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Andreas Gerstenmayer: "China wird mittelfristig in der Lage sein, Komponenten für autonomes Fahren selbst zu produzieren"

- © Heschl Matthias

Die Welt wird digital – und die Mikroelektronik liefert das Fundament. Für Andreas Gerstenmayer, langjähriger Vorstandschef des Leiterplattenherstellers AT&S und heute Industrieberater bei 4Mplus Management, ist klar: „Die Mikroelektronik ist die enabling technology unserer Zeit.“ Ohne sie gäbe es weder künstliche Intelligenz noch autonomes Fahren, weder smarte Produktionssysteme noch zukunftsfähige Energienetze.

Die Marktdynamik ist eindeutig: Für die globale Halbleiterindustrie wird ein Wachstum von fast neun Prozent jährlich erwartet – mit signifikanten Treibern in mehreren Branchen. Rechenzentren etwa verzeichnen teils zweistellige Wachstumsraten, ebenso die Digitalisierung im Automotive-Bereich mit plus elf Prozent. In der Industrie, etwa durch Robotik oder Photonik, liegt das Wachstum bei rund neun Prozent.

Digitalisierung und Elektrifizierung als Doppeltreiber

Die zentrale Entwicklung: Digitalisierung erhöht nicht nur den Bedarf an Rechenleistung – sie bedingt zugleich eine energieeffiziente Infrastruktur. „Digitalisierung braucht Energie – und eine effiziente Energiebereitstellung erfordert intelligente, also halbleiterbasierte Systeme“, so Gerstenmayer. Damit wird Mikroelektronik zur Voraussetzung für beides: Fortschritt und Nachhaltigkeit.

Allein das Datenvolumen verdeutlicht die Herausforderung. Weltweit werden im Jahr 2025 rund 132 Zettabyte an Daten erzeugt – bis 2028 soll diese Zahl auf 395 Zettabyte steigen. Ein Zettabyte entspricht einer Milliarde Terabyte. Jedes Endgerät – von der Maschine bis zum Mobiltelefon – generiert Daten am „Frontend“, die gespeichert, übertragen, verarbeitet und gesteuert werden müssen. Diese Kette aus Sensorik, Kommunikation und Rechenleistung erfordert Mikroelektronik auf höchstem Niveau – und eben auch entsprechende Energieversorgung.

Auto wird zum rollenden Rechenzentrum

Die Automobilbranche ist dabei ein Paradebeispiel für diese Transformation. Das Fahrzeug der Zukunft ist ein softwaredefiniertes System – ein „Smartphone auf Rädern“. Funktionen wie Entertainment, Vernetzung, autonomes Fahren oder sicherheitskritische Systeme basieren auf komplexer Mikroelektronik. In Asien sei das Auto heute bereits zunehmend ein zweites Wohnzimmer, so Gerstenmayer – mit gravierenden Auswirkungen auf Geschäftsmodelle, Nutzerverhalten und Wertschöpfungsketten.

Der Anteil von Halbleitern am Gesamtwert eines Fahrzeugs steigt kontinuierlich. In einem vollautomatisierten Fahrzeug auf Level 5 könnten Halbleiterkomponenten einen Wert von bis zu 5.000 US-Dollar erreichen. Hinzu kommt: Auch die notwendige Infrastruktur – etwa für 6G-Versuchsaufbauten oder cloudbasierte Datenverarbeitung – treibt die Nachfrage nach leistungsfähiger Elektronik weiter an.

Strategische Kräfteverschiebung im globalen Halbleitermarkt

Europa war einst eine dominierende Kraft in der Halbleiterproduktion. In den 1990er-Jahren rangierte die Region unter den Top 3 weltweit. Doch seither hat sich das Kräfteverhältnis massiv verschoben. Taiwan und Südkorea haben ihre Positionen konsequent ausgebaut. China holt mit massiven Investitionen auf. Europa ist hingegen auf Rang fünf zurückgefallen.

Besonders drastisch zeigt sich die Kluft im Bereich der Waferproduktion und des Packaging – hier dominieren asiatische Akteure. Die USA wiederum sind stark in IP und Entwicklung, sowie bei Produktionsequipment. Europa liegt in der Produktionstechnologie bestenfalls im Mittelfeld – ausreichend für Leistungselektronik, aber zu wenig für modernste Logikchips.

Wo liegen Europas Chancen?

Trotz der Herausforderungen sieht Gerstenmayer Potenzial – vor allem im Bereich der Leistungshalbleiter. Hier gebe es wachstumsfähige Marktsegmente, in denen Europa international mithalten könne. „Aber wir müssen uns vom Gedanken verabschieden, dass wir überall mitspielen können.“ China etwa werde mittelfristig in der Lage sein, Komponenten für autonomes Fahren selbst zu produzieren. Europa müsse sich industriepolitisch klar positionieren: Welche Rolle will es künftig spielen? Wo kann es eigene Stärken ausbauen?

Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist zudem der Fachkräftemangel. Bis 2030 fehlen laut Prognosen weltweit rund eine Million qualifizierte Arbeitskräfte im Halbleiterbereich – ein globales Problem, das auch Europa hart trifft. Bereits heute werden Talente grenzüberschreitend abgeworben.

Ein versäumter Moment?

Gerstenmayer äußert im Rückblick auch Kritik an verpassten Chancen. Ein Beispiel: Die geplante Intel-Fab in Magdeburg. „Es wäre für Europa gut gewesen, wenn diese Fabrik früher gekommen wäre“, meint er. Solche Großprojekte sind nicht nur Investitionsmagneten, sondern auch wichtige Impulsgeber für Innovationsökosysteme.