Transportlogistik : In Startposition

Wer einen Blick ins statistische Jahrbuch der Republik Österreich wirft, dem kann angst und bange werden: 2012 wurden in Österreich 17 Millionen Tonnen Güter weniger transportiert als noch im Vorjahr. Der größte Verkehrsträger – die Straße – verlor über drei Prozent, die Schiene sieben. Macht unterm Strich ein Minus von fast vier Prozent. Mit insgesamt 445 Millionen Tonnen Fracht wurde 2012 ziemlich genau so viel transportiert wie im Katastrophenjahr 2009.

Ein Blick in die Bilanzen der großen Logistikkonzerne offenbart eine völlig andere Realität. Fast alle großen Transporteure der Alpenrepublik weisen Umsatzzuwächse aus. Branchenprimus Schenker wuchs um fünf Prozent, Österreichs Nummer zwei, LKW Walter, legte um über 12 Prozent zu, der Vorarlberger Paradekonzern Gebrüder Weiss, Österreichs Nummer drei, wuchs um fast acht Prozent, wie das aktuelle Ranking der größten Logistikkonzerne des Landes (die Top 50 Logistikkonzerne als Download finden SIe hier) beweist.

Ausland rettet Bilanzen

Grund für die Feierlaune bei den Logistikern sind die Märkte fernab der Heimat, wie etwa Schenker-Österreich-Chef Kurt Leidinger freimütig erklärt. „Die gute Entwicklung der Landesgesellschaften in Südosteuropa“ hat Schenker Österreich die Bilanz gerettet. Wer breit genug aufgestellt ist, weicht aus.

„Der Logistikmarkt hat sich zwar wieder stabilisiert“, meint Dachser-Sprecher Martin Neft, „allerdings sehr uneinheitlich nach Branchen und Ländern.“ Wer nun möglichst standardisiert und modular aufgestellt ist, der sei im Vorteil, „das macht es einfacher, sich auf solche Volatilitäten einzustellen und die Kunden gut zu bedienen“. Auch Akquisitionen helfen, die Bilanz aufzufetten. So verdankt sich etwa ein relevanter Anteil des Umsatzzuwachses bei Gebrüder Weiss dem Zukauf zweier deutscher Speditionen im vergangenen Jahr.

Konjunktur-Entwarnung

Dass die gerne als Frühindikator apostrophierte Branche Umsatzzuwächse aufweist, muss also nicht als Indiz für eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung gelten. Denn das Binnenmarktgeschäft sei jedenfalls überall in Europa eher rückläufig, wie Dachser-Sprecher Martin Neft meint. Insgesamt ist man nur sehr vorsichtig optimistisch. Quehenberger-Sprecher Hermann Költringer spricht von einer „Seitwärtsbewegung“: Die beiden ersten Monate im Jahr seien „überraschend gut“ verlaufen, von März bis Juni gab es eine – nicht zuletzt wetterbedingte – Delle, in den Sommermonaten hätten sich die Volumina und auch die Stimmung wieder verbessert.

Einen kleinen Lichtblick vermeint auch Chaim Huijsman, Head of Corporate Sales bei Gebrüder Weiss, zu erkennen: „Sendungstechnisch verlief das erste Halbjahr eher verhalten, aber stabil. Was auffällt, ist, dass doch zunehmend mehr Kunden offen sind für neue logistische Konzepte, unter anderem, um Kosten einzusparen oder um prognostiziertes Wachstum bewältigen zu können.

Warten auf die „Leitbranche“

Was die Prognosen erschwert: Es gibt zurzeit keine Leitbranche, die dank deutlichen Aufwinds für wachsende Transportvolumina sorgt. Zwar habe sich Österreichs stark exportabhängige Industrie trotz des schwachen internationalen Umfelds im laufenden Jahr gut gehalten, konstatiert Kühne+Nagel-CEO Franz Braunsberger – doch die im ersten Halbjahr stagnierende Industrieproduktion mache sich auch bei den Transportlogistikern bemerkbar. „Positive Zeichen erkennen wir in den Branchen Maschinen- und Anlagenbau und der Autozuliefererbranche. Zuwächse gibt es auch im Pharmabereich. Hingegen ist der Retail rückläufig, was sich auf das geringe Wachstum im Konsum zurückführen lässt.

Ungünstig wirkte sich auch der lange Winter aus: Die bauverwandten Branchen schwächeln, ebenso wetterabhängige Handelsbranchen wie Textil, Schuhe oder Baumärkte. „Der lange Winter hat etwa die Hobbyhandwerker spürbar ausgebremst“, erzählt Martin Neft, „und das zeigte sich dann auch im Do-it-yourself-Geschäft.“

Hoffen auf USA, Asien, Lateinamerika

Vor allem der Außenhandel soll es also richten – doch sind die Prognosen der Transportlogistiker auch hier ziemlich vage. „Die Erholung der Weltkonjunktur ist vor allem durch die Entwicklungs- und Schwellenländer getrieben, wo sich eine robuste Binnennachfrage und eine Belebung der Exporte positiv auf das Wachstum auswirken“, beobachtet Franz Braunsberger. Innerhalb der Entwicklungs- und Schwellenländer sei China – trotz einer leichten Verlangsamung im heurigen Jahr – der Vorreiter mit einem prognostizierten BIP-Wachstum. Während sich die Erholung in Europa seit Mitte 2011 wieder in eine Rezession umgekehrt hat, geht es in den Augen des Kühne+Nagel-Chefs in den USA derzeit bergauf. Die Entwicklung in den USA und im Euroraum hänge jedoch auch von den Wachstumsprognosen für die Entwicklungs- und Schwellenländer ab: „Aus unserer Sicht befinden sich neben den USA und dem Euroraum auch die BRIC- Staaten in einer tendenziellen Wachstumsphase. Die Entwicklungen der einzelnen Länder hängen von unterschiedlichen Faktoren ab – Chinas Wachstum ist beispielsweise stark von Investitionen abhängig. Hingegen kämpfen Indien und Brasilien mit hoher Inflation, Budget- und Leistungsbilanzdefizit und unterentwickelter Infrastruktur.“

Auch bei Quehenberger sieht man vor allem Asien und Lateinamerika als potenzielle Wachstumstreiber – wenngleich auf (derzeit) eher niedrigem Niveau. Der innereuropäische Außenhandel sei jedenfalls schwächer geworden, meint Hermann Költringer – „Italien zieht gegenüber dem Vorjahr wieder an, und Deutschland boomt nach wie vor.“

Keine Sorgen brauchen sich Kunden zu machen, wenn es um Frachtraten geht. „Die Margen – wenn überhaupt vorhanden – sind bei allen Verkehrsträgern noch lange nicht ausreichend“, beklagt Gebrüder-Weiss-Mann Chaim Huijsman. Das gilt wohl für Frachtführer, Reedereien und Fluggesellschaften ebenso wie für die Spediteure.

Im Bereich der Luftfracht konstatieren die Logistikexperten einen weiterhin anhaltenden Trend zu deutlich reduzierten Sendungsgewichten. „Moderne Supply-Chain-Management-Konzepte werden immer transparenter, und die Versender versuchen, große Luftfrachttonnagen auf günstigere Verkehrsträger zu verlagern“, erzählt Franz Braunsberger. In diesem Bereich könne man also höchstens mit einem „allmählichen und gemächlichen“ Ansteigen der Frachtraten rechnen, stimmt Chaim Huijsman der Analyse zu. Ähnliches gilt für die Seefrachtraten. „In der Seefracht lenken wir angesichts der starken Ratenvolatilität in einigen Regionen den Fokus insgesamt mehr auf Profitabilität als auf Wachstum. Wir achten sehr stark auf unsere Kosten und die Produktivität“, so der Kühne+Nagel-Chef. Unter Druck bleibt aber auch der Landverkehr, vor allem in jenen Bereichen, in denen die Volumina fehlen. Die Logistiker hoffen hier auf selektives Wachstum (und Margenverbesserungen) in Spezialsegmenten wie Pharma, Hightech, Automotive und Industriegüter. Verbesserte Renditen könnten im zweiten Halbjahr 2013 einen kleinen Aufschwung bringen, so der Tenor.

„Wir brauchen wieder Fracht“

Für die kleineren Transportlogistiker stellen sich solche Fragen eher als Luxusprobleme dar. Das INDUSTRIEMAGAZIN-Ranking umfasst nicht von ungefähr 50 Unternehmen – die klassischen mittelständischen Frächter mit Umsätzen im niedrigen zweistelligen Millionen-Bereich oder darunter nennen fast durchwegs keine Unternehmenszahlen. Und ist der Tenor der Branche in diesem Bereich schon traditionell kein euphorischer – im Moment herrscht veritable Grabesstimmung. „Wenn sich das Transportaufkommen nicht rasch wieder nach oben entwickelt, wird es für viele von uns bald sehr, sehr eng werden“, meint ein Tiroler Frächter gegenüber dem INDUSTRIEMAGAZIN. Namentlich zitieren möge man ihn bitte nicht. Angesichts der Abhängigkeit von Inlandsaufträgen der großen Speditionen sei ein Anziehen der Transportvolumina nach Asien oder in die USA für ihn ziemlich irrelevant – „Wir brauchen wieder Fracht auf den Straßen, und zwar schnell.“