Logistik in der Türkei : "Enormes Potenzial"

INDUSTRIEMAGAZIN: DB Schenker investiert derzeit stark in der Türkei – ist dieses Land wirklich so attraktiv?

Erik Leiss: Ja, die Wirtschaft in der Türkei hat enormes Potenzial. Der Markt wächst immer noch mit den doppelten bis dreifachen Werten Westeuropas. Dieses Land hat eine sehr junge, konsumorientierte Bevölkerung mit hoher Kaufkraft, und die Inlandsnachfrage ist anhaltend stark. Die Türkei liegt quasi vor unserer Haustüre, Logistikstandorte hier in der Türkei dienen Unternehmen also auch zur Reduktion von Lagerbeständen. Gerade in der Logistik ist Wachstum zwingend mit Standorten verbunden – daher auch die Neueröffnung unseres Distributionszentrums in Gebze im Oktober und der geplante Lager- und Logistik- Standort in Bursa.

Warum kann die Türkei ihre geografisch naheliegende Rolle als Hub für die gesamte Region dann nicht einnehmen? Wegen der desolaten Verkehrsinfrastruktur?

Leiss: Das gilt ja nicht für alle Bereiche! Der Straßentransport etwa wurde über Jahrzehnte gefördert – zugegeben auf Kosten des öffentlichen Privatverkehrs –, und die Türkei hat dementsprechend eine riesige Lkw-Flotte. Das hochrangige Strßennetz entspricht zwar noch nicht der Größe des Landes, wird aber laufend ausgebaut, und die wesentlichen Wirtschaftszentren haben gute Anbindungen.

Tatsächlich desolat ist der Zustand der türkischen Bahnanbindungen. Das Bahnnetz ist komplett veraltet und nicht dicht genug, das Bahngeschäft spielt sich nur in und um Istanbul ab – also muss man im Großraum Istanbul umschlagen. Doch die Türkei hat diese Probleme erkannt, das Thema befindet sich auf den Prioritätenlisten mehrerer Ministerien.

Was nicht unbedingt belastbare Zeitpläne zur Folge hat, oder?

Leiss: Ja, die Behörden arbeiten ein wenig anders als in Österreich, die Informationen sind häufig unklar. Sehr unangenehm ist das etwa bei den Strecken- sperren zwischen Czerkösky und Halkali: Die einzige Bahnverbindung in Richtung EU ist seit Jahresbeginn immer wieder unterbrochen, und niemand kann uns einen definitiven Zeitplan nennen, bis wann die Sperren aufgehoben werden.

In diesen Wochen wird das Marmaray-Projekt eröffnet, ein U-Bahn-Tunnel unter dem Marmara-Meer, der später auch für Cargo-Transporte genutzt werden soll ...

Leiss: ... und der die Entwicklung der Bahn hoffentlich vorantreiben wird. Bald werden Züge erstmals direkt Terminals auf der asiatischen Seite Istanbuls anfahren können – und hier befinden sich wichtige Industriestandorte.

Inwiefern ist der Zoll ein Problem?

Leiss: Die Unternehmen müssen sich stark damit auseinandersetzen. Das türkische System funktioniert komplett anders, als wir das gewöhnt sind: nämlich über Zollagenten, zu denen wir wiederum die Schnittstelle bilden. Da es in Europa meist keine Zollabfertigung mehr gibt, haben wir alle bis zu einem gewissen Grad verlernt, mit dem Thema umzugehen. Hier in der Türkei lernt man es wieder!

Interview: Bernhard Fragner