Forschung : Auftragsforschung unter Druck
Dynamische Prozesse in lebenden Organismen beobachten: Das zu erleichtern, war das Ziel von Zeiss – nur brauchte es hierfür ein neues Lichtblattmikroskop, das deutlich mehr Informationen liefern sollte als etablierte Verfahren. Fündig auf der Suche nach einem geeigneten Forschungsteam wurden die Optikprofis aus Deutschland in Österreich.
Die Kooperation des Fraunhofer-Instituts für Photonische Mikrosysteme mit der Carinthian Tech Research führte nach monatelanger Arbeit zum gewünschten Ergebnis: Die beiden entwickelten eine zentrale Komponente des neuen Mikroskops – lebende Organismen können seitdem deutlich weniger vor uns verbergen.
Über dem Schnitt
In Österreich wird geforscht wie selten zuvor. In diesem Jahr dürfte die Forschungsquote laut Statistik Austria mit 2,88 Prozent nahe an der Rekordmarke des Vorjahres (2,90) liegen. Womit Österreich im internationalen Vergleich – hinter den notorisch führenden Skandinaviern – einen Spitzenplatz einnimmt. Auf Augenhöhe mit der Industriegroßmacht Deutschland und deutlich über dem Durchschnitt der Euro- und der EU-Mitgliedsstaaten.
„2014 war bisher für die österreichische Industrie ein überaus erfolgreiches Jahr, sowohl den Umsatz als auch den Ertrag betreffend“, bestätigt Wilfried Sihn, der Geschäftsführer von Fraunhofer Austria, „und das gilt vor allem für exportorientierte Unternehmen.“ Bei Fraunhofer schlug sich das laut Sihn mit einer zunehmenden Anzahl an Industriekooperationen nieder, wobei das Thema „Industrie 4.0“ ein Treiber war und ist.
Dass anziehende Konjunktur automatisch zu mehr Auftragsforschung führe, ist allerdings eine Gleichung, die nicht immer aufgeht. Gerald Schatz, der Geschäftsführer des Linz Center of Mechatronics (LCM), beobachtet, dass die Produktionsbetriebe ihre Ressourcen bei guter Auftragslage tendenziell eher in die Abwicklung der Aufträge stecken, „während bei nachlassender Auslastung oder spürbar steigendem Konkurrenzdruck die Investitionen in die Produktentwicklung steigen“. Dass sich der Auftragseingang bei LCM zuletzt „ausgezeichnet“ entwickelte, kann also durchaus unterschiedlich interpretiert werden.
Druck gehört zum Geschäft
Der wachsende Nachfragekuchen hat auch Folgen auf der Angebotsseite. Die Liste der jährlich von INDUSTRIEMAGAZIN erfassten Auftrag forscher wird von Jahr zu Jahr länger – und der Konkurrenzdruck steigt. Ziemlich stark sogar, wie LCM-Chef Schatz beobachtet. Nicht zuletzt durch internationale, allerdings basisgeförderte Forschungsorganisationen, die in Österreich Niederlassungen gründen.
Ein Druck, der die Auftragsforscher zu permanenter Evaluation zwingt: „Im Rahmen von Strategieklausuren und Vertriebsworkshops justieren wir unser Geschäftsmodell deshalb jährlich nach“, sagt Schatz. „Dies betrifft natürlich auch die Geschäftsprozesse.“ Und es führt dazu, dass sich die Anbieter längst offensiv vom Bild des hehren L’art pour l’art verabschiedet haben. „Wir positionieren uns klar als F&E-Unternehmen“, betont Gerald Schatz. „Die Projekte sind ergebnisorientiert und mit klaren Zeitplänen, meist bis zur Inbetriebnahme, ausgerichtet.“
Steigenden Druck verspürt man auch am Joanneum Research. „Natürlich wird der auf den Märkten herrschende Druck von den Auftraggebern an uns weitergegeben“, sagt Geschäftsführer Wolfgang Pribyl, „sei es in Hinblick auf die Kosten, die Zeitpläne – und ganz generell die Erwartungshaltungen.“ Die Reaktion? Pribyl berichtet von steigenden Investitionen in Mitarbeiterausbildung und Infrastruktur. Und von einer Intensivierung von Aufbau und Pflege nationaler und internationaler Netzwerke. „Neben der Auftragsforschung sind geförderte Forschungsprojekte auf nationaler und internationaler Ebene – zum Beispiel in den Forschungsrahmenprogrammen der EU – für uns von besonderer Bedeutung. Auch dort wird der Wettbewerb verstärkt spürbar.“
Vor allem die internationalen Fördertöpfe sind nicht unbedingt bodenlos. Von einer „stark limitierten Finanzierung sowohl in der angewandten als auch in der universitären Forschung“ spricht etwa Simon Grasser, Finanzvorstand von Carinthian Tech Research (CTR).
Die Folge: Die Quote der Bewilligungen sei sinkend. Das betreffe vor allem die großen Förderprogramme wie EU H2020, ECSEL und ähnliche. „Wir müssen heute im Mittel zwischen zehn und 15 EU-Anträge schreiben, um eines der Projekte gefördert zu bekommen.“ Folgen hat dies natürlich auch für die Kommunikation. Die Zeiten, in denen sich die etablierten Auftragsforscher in Erwartung der hereinpurzelnden Aufträge gelassen zurücklehnen können, sind wohl endgültig vorbei. Mit verhaltenem Amüsement beobachtet der Forschungsleiter eines oberösterreichischen Maschinenbauers die Zunahme an Angeboten.
„Man muss allerdings konstatieren, dass diese Einladungen zur Kooperation qualitativ immer besser werden. Und mit dem ,Keilen‘ von Auf- trägen hat es zum Glück nichts zu tun.“ Übertriebene Sorge vor der Konkurrenz treibt die Forscher zumindest nach außen nicht um. „Der Druck steigt ja nicht erst heuer“, bleibt etwa Profactor-Sprecher Christian Kreil betont gelassen. Und das sei auch nicht verwerflich, gelte für den Forschungsmarkt doch das Gleiche wie für die Industrie generell: „Es ist unser Geschäft, die Industrie mit unseren Entwicklungen für einen harten und globalen Wettbewerb fit zu machen.“ Wenig Raum also für Wehleidigkeit.
Fokussierung in der Breite
Als „Gretchenfrage“ bezeichnet Gerald Schatz die Positionierung: Soll man sich als Auftragsforscher auf einzelne Schwerpunkte konzentrieren oder versuchen, das Portfolio möglichst breit zu gestalten? Ziemlich eindeutig ist der Fraunhofer-Austria-Standpunkt: „Wir sind der Auffassung, dass wissenschaftliche Exzellenz nur erbracht werden kann, wenn man Schwerpunkte setzt“, betont Wilfried Sihn.
Die Folge: eine klare Positionierung als Thinktank für Produktions- und Logistikmanagement sowie Visual Computing. Fast gleichlautend die Position von Profactor: Mit industriellen Assistenzsystemen und generativer Mikro- und Nano-Fertigung setzen die Oberösterreicher gezielt auf klar erkennbare Schwerpunkte.
Die Balance zwischen Fokussierung und Breite ist allerdings heikel – nicht zuletzt, was das Image einer Forschungseinrichtung betrifft. Die Fokussierung dürfe auf keinen Fall als Abkapselung zu anderen Bereichen gesehen werden, betont Simon Grasser, „die für die Integration der verschiedenen Bereiche notwendige Breite ist ein zentraler Faktor für die erfolgreiche Umsetzung der Forschungsergebnisse“.
Am CTR hat man sich auf die Forschungsbereiche Smart Systems Integration und Intelligente Sensor-Systeme fokussiert. Gleichzeitig zapfen die Kärntner das Know-how eines Netzwerks regionaler und internationaler Universitäten, Forschungsinstitutionen und Industriepartner an – ein Modell, das die Balance der meisten großen Anbieter bewahren hilft.
Innovation Follower
Die DNA der heimischen Industrie prägt auch die Tätigkeit der Auftragsforscher. Die vielen kleinen und mittleren Unternehmen vergeben im Vergleich zu anderen Ländern im Schnitt deutlich kleinere Auftragsvolumina. Der positive Aspekt daran, meint Gerald Schatz: „Diese Aufträge bewegen sich dafür sehr nahe am verkaufsfertigen Produkt.
Wir können also die Wirkung der F&E gemeinsam mit den Kunden unmittelbar feststellen und durch weitere Entwicklungsdienstleistung rasch auf die Rückmeldung des Marktes antworten.“ Die technischen Herausforderungen, so der diplomatische Nachsatz, seien angesichts knapper Zeitund Budgetvorgaben immer wieder „sehr spannend“. Hinzu kommt, dass die Forscher immer häufiger ins Ausland wildern gehen. Mindestens die Hälfte der Aufträge des CTR stammen mittlerweile nicht aus Österreich, und damit, sagt Simon Grasser, „sehen wir im Marktzugang mittlerweile keine großen Unterschiede für österreichische Zentren“.
Eine Klage will er dennoch loswerden: Vergleiche man die Intensität der in der letzten Dekade durch die jeweiligen nationalen Regierungen getätigten Investitionen im angewandten Forschungsbereich, so bestehe ein weiterhin starker Aufholbedarf. Abzulesen ist dies etwa im „Innovation-Union-Scoreboard“-Ranking, das mehr abbildet als nur die nationale Forschungsquote: 2014 verlor Österreich in diesem Ranking einen weiteren Platz gegenüber dem Vorjahr und landete mit Rang zehn im Bereich der „Innovation Followers“. Einem gestandenen Forscher kann diese Bezeichnung ziemliche Schmerzen bereiten.