Standort : Wie gut ist Österreich?

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Ein banaler Firmenumzug reicht manchmal aus, wirtschaftliche Indizes eines ganzen Bundeslandes zu verändern – vorausgesetzt, Land und beobachtete Zeitspanne sind nur klein genug. Als Coca-Cola Hellenic im Frühjahr den Standortwechsel von der Wiener Triester Straße ins beschauliche Edelstal abschloss, wanderten über Nacht gewaltige Produktionsmengen in die Industriestatistiken des Burgenlandes. Und verließen gleichzeitig jene der Wiener Industrie auf Nimmerwiedersehen. Dass der Produktionsindex des Burgenlandes im ersten Jahresdrittel 2013 ein Plus von fantastischen 26 Prozent ausweist, ist vor allem diesem Standortwechsel zu verdanken. „Das ist natürlich ein feiner Wert“, kommentiert Bank-Austria-Analyst Walter Pudschedl tro-cken, „mit Konjunktur hat das allerdings nicht viel zu tun.“

Erstes Halbjahr: „Nicht besonders günstig gelaufen“

Von solchen Werten ist die österreichische Industrie tatsächlich noch meilenweit entfernt. „Das erste Jahresdrittel“, resümiert Walter Pudschedl, „ist in Summe nicht besonders günstig gelaufen.“ Der monatliche Einkaufsmanagerindex von Bank Austria und Markit Research, der allmonatlich auch auf den ersten Seiten des INDUSTRIEMAGAZIN veröffentlicht wird, zeigt für 2013 bisher eine schwache Entwicklung. Einen kleinen Lichtblick will Pudschedl höchstens im Exportbereich erkennen: „Der Index zeigt hier einen leichten Schwung, und das hat die Gesamt-Auftragslage etwas verbessert. Irgendwann wird sich das wohl auch in der Produktion niederschlagen.“ Für das zweite Halbjahr sehe es also ein wenig besser aus, wie auch die Daten aus Deutschland bestätigen – „aber stärkeres Wachstum werden wir in Europa erst 2014 sehen“.

Arbeitsmarkt bleibt unter Druck

Die Indizes des Vorjahres und des ersten Halbjahres 2013 weisen einhellig in die gleiche Richtung. Erholung? Durchaus – aber auf eher beklagenswertem Niveau. Dass der Produktionsindex 2012 gegenüber dem starken Industriejahr 2011 in fast allen Bundesländern deutlich gesunken war, verwunderte niemanden. Doch auch die Zahlen für das erste Jahresdrittel 2013 sorgen nicht gerade für Euphorie: Sie bewegen sich grosso modo in einem ähnlichen Bereich.

Ähnliches lässt sich auch aus den Arbeitsmarktdaten ablesen. Zwar stieg die Beschäftigung in der Industrie zwischen 2011 und 2012 von 379.000 leicht auf über 383.000 Menschen, doch nahm gleichzeitig auch die Zahl der Jobsuchenden um knapp 5.400 oder 8,3 Prozent zu. Besonders stark war der Anstieg laut Auswertung des AMS bei den Hilfsberufen sowie in den Bereichen Metall- und Elektroindustrie. Leicht im Plus zeigten sich nur einzelne Berufsgruppen, wie etwa die Branchen Textil oder Chemie.

„Die Stimmung bleibt gedrückt“

Die Industrie befindet sich also – wieder einmal – in Wartestellung. Der Kärntner WKO-Spartenobmann Reinhard Iro beschreibt die Stimmung als „eher gedrückt. Unter der wirtschaftlichen Situation leiden wir alle zwangsläufig.“ Zwar bestätigt Iro die gestiegenen Erwartungen hinsichtlich des Auftragseingangs auch für aktuelle Kärntner Konjunkturumfragen, doch stehen bei weitem nicht alle der zukunftsgerichteten Indikatoren auf Grün: „Rund ein Viertel unserer Betriebe geht in Summe von sinkenden Zahlen aus. Die Maschinen- und die Metallindustrie hat es bei uns derzeit wirklich schwer, und bei Holz/Bau sieht es auch nicht besser aus.“ Vor allem in letzterem Bereich mache sich auch die Ausrichtung der Unternehmen auf den wirtschaftlich massiv schwächelnden Süden bemerkbar.

Wie geht es den Nachbarn?

Die Frage, ob man die „richtigen“ oder die „falschen“ Nachbarn hat, bleibt ein bestimmender Faktor. „Dass der Westen Österreichs im Moment generell besser dasteht als der Osten, hat auch stark mit der Nähe zu Deutschland zu tun“, konstatiert Walter Pudschedl, „sei es in geografischer Hinsicht oder bezüglich der Struktur der produzierten Waren.“ Die Lage etwa der Vorarlberger Industrie erklärt auch Spartenobmann Christoph Hinteregger ähnlich: „Dass wir relativ stabil dastehen, verdankt sich natürlich der starken internationalen Ausrichtung vieler unserer Leitbetriebe im Ländle. Klarerweise ist das ein struktureller Vorteil.“

Am anderen Ende Österreichs übt sich Peter Wrann, Leiter der Außenwirtschaft in der burgenländischen Wirtschaftskammer, in Genügsamkeit. Angesichts der allgemeinen konjunkturellen Entwicklung seien die Daten aus der jüngsten Konjunkturumfrage für das Burgenland „gar nicht so schlecht“. Der Sondereffekt aus dem Megaprojekt Coca-Cola sei nicht das einzig Erfreuliche. „Unsere Nachbarn sind, zugegeben, gerade keine Treiber der Wirtschaft, doch viele unserer Unternehmen haben in der vergangenen Zeit auch ihre Exporte in Richtung Westeuropa verstärkt.“ Auch im Burgenland weisen die Prognosen hinsichtlich des Auftragseingangs nach oben – „aber bei der tatsächlichen Produktionstätigkeit sind die Erwartungen für die kommenden Monate eher gedämpft“, räumt Peter Wrann ein.

Wien bleibt Abwanderungsland

Im ausschließlich von Binnennachbarn umgebenen Wien sehen Lage und Einschätzungen der Industrie ähnlich aus. Sparten-Geschäftsführer Florian Robetin spricht mit Blick auf den jüngsten Wifo-Konjunkturtest für die Wiener Industrie von „minimalen Erholungstendenzen auf dem Niveau des Vorjahres – und das war ja bekanntlich kein Vorzeigejahr“.

Die Bilder ähneln sich: „Die Firmen haben zwar mehr in ihren Pipelines, doch die Produktionserwartungen für die kommenden zwei bis drei Monate sind überraschenderweise sogar rückläufig. Die Aufträge sind offenbar leider eher mittelfristig“, erklärt Robetin das Delta.

Auch das Problem der Abwanderung dürfte die Bundeshauptstadt noch längere Zeit beschäftigen. Die Tendenz habe sich verlangsamt, meint Robetin, aber aufzuhalten sei sie in absehbarer Zeit wohl nicht. „Coca-Cola war natürlich der Big-Bang, aber ich weiß von mehreren Wiener Unternehmen, die sehr konkret darüber nachdenken, ins Umland zu übersiedeln.“ Vor allem die Auslagerung einzelner Produktionsteile führte hier zu einer sukzessiven Aushöhlung der Industrie, die auch kaum messbar sei.

Keine Entwarnung kommt diesbezüglich vonseiten der Immobilienpreise: Die Kosten für Büroflächen und Betriebsgrundstücke stiegen auch im vergangenen Jahr in fast allen Bundesländern, besonders stark war der Anstieg in Vorarlberg, Wien und der Steiermark. „An den Immobilienpreisen können wir naturgemäß nicht drehen, aber es gibt zahlreiche Bereiche, in denen uns die Politik schon unter die Arme greifen könnte.“

„Willen der Politik“

Inwiefern gezielte Standortpolitik zu positiven Veränderungen führen kann, wird seitens der Wirtschaftskämmerer eher vorsichtig beantwortet. Bank-Austria-Analyst Walter Pudschedl meint jedoch, dass man deren Einfluss generell nicht überschätzen sollte: Nachlassendes oder schwaches Industriewachstum führe immer dazu, dass die klassischen „Dienstleistungsländer“ im Vorteil seien. Anspringende internationale Konjunktur hingegen werde Bundesländer wie Oberösterreich oder eben Vorarlberg automatisch profitieren lassen. Wolfgang Iro lässt sich diesbezüglich ein kleines Bonmot entlocken: „In den vergangenen Monaten gab es ja gerade in Kärnten einige erfreuliche politische Entwicklungen – auf die Industriekonjunktur hat das bislang eher wenig Einfluss gehabt.“

Der Wiener Sparten-Geschäftsführer wird etwas konkreter: „Wissen Sie, was ich wirklich schlimm finde? Aus den Unternehmen, von denen ich weiß, dass sie Pläne wälzen, Wien zu verlassen, habe ich gehört, dass sie diesbezüglich zahlreiche Andeutungen in politischen Kreisen fallen ließen – und keiner hat auch nur ein Ohr gerührt.“ Ideen gebe es zuhauf. Etwa die Etablierung von „Industrie-Koordinatoren“, die gegenüber Firmen als eine Art Key-Accounter auftreten und sich um die behördlichen Belange gebündelt kümmern sollten. „Ich spüre durchaus den Willen der Politik, für die Industrie wirklich etwas zu bewegen, aber gewisse Probleme sollten doch schnell lösbar sein.“

Vielleicht hilft ja alemannisches Gemüt, die kommenden Monate zu überstehen. „Wir befinden uns in einer Phase, in der wir wirklich viel Anlass haben zu raunzen“, sagt Spartenobmann Christoph Hinteregger. „Aber im Moment hilft Vorarlberger Naturell – wir haben wohl verinnerlicht, dass man mit Zweckpessimismus keine Marktanteile gewinnt.“

Bernhard Fragner