Energie : Wifo-Chef Felbermayr sieht Ausstieg aus russischem Gas bis 2027 kritisch

ABD0114_20230207 - WIEN - ?STERREICH: ZU APA0176 VOM 7.2.2023 - WIFO-Direktor Gabriel Felbermayr am Dienstag, 07. Februar 2023, im Rahmen einer Pressekonferenz zum Thema "Budget?re Entwicklung 2022 und aktuelle Wirtschaftsprognosen" in Wien. - FOTO: APA/HANS KLAUS TECHT

Wifo-Chef Gabriel Felbermayr: "Ein gewisses gemischtes Portfolio sollte es in einer dann hoffentlich herrschenden Nachkriegswelt sein und nicht eines, das sich nur auf amerikanisches Flüssiggas kapriziert."

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Wifo-Chef Gabriel Felbermayr sieht den geplanten EU-weiten Verzicht auf russisches Gas kritisch. Das Herunterfahren auf Null schaffe neue Abhängigkeiten, sagte der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts der Deutschen Presse-Agentur. "Ein gewisses gemischtes Portfolio sollte es in einer dann hoffentlich herrschenden Nachkriegswelt sein und nicht eines, das sich nur auf amerikanisches Flüssiggas kapriziert", sagte Felbermayr.

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Österreich, das im Gegensatz zu Deutschland noch russisches Gas bezieht, setzt offenbar auf Zeit und mittelfristig auf ein Ende des Krieges."Viele hoffen, dass 2027 der Ukraine-Krieg längst vorbei ist und dass man einen neuen Modus vivendi hat", so Felbermayr. Der Forscher hält es für falsch, Österreich angesichts der hohen Importanteile von russischem Gas eine Abhängigkeit zu unterstellen. "Im Sommer 2022 hat das Land bewiesen, dass es seine Speicher ohne russisches Gas füllen kann."

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Knapp 50 Prozent betrug im vergangenen Jänner der Anteil von russischem Gas an den Importen nach Österreich. "Was wir alle nicht wollen, ist, dass der Kreml mit dem Gasverkauf hohe Devisen einnimmt", so Felbermayr. Er befürworte daher nach wie vor einen Importzoll auf russisches Gas, der den Rohstoff für neue Verträge mit Moskau unattraktiv machen würde.

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Nicht zuletzt aufgrund der EU-weit sehr gut gefüllten Gasspeicher - in Österreich sind die Speicher noch zu 67 Prozent gefüllt (März 2022: 12 Prozent) - sieht Felbermayr kaum die Gefahr von stark steigenden Gaspreisen. Das Preisniveau sei nur mehr etwa doppelt so hoch wie vor dem Krieg in der Ukraine. "Viel weiter kann der Preis nicht mehr sinken, aber er wird auch keine ähnlichen Sprünge hinlegen wie 2022."

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Im Sommer 2022 hat das Land bewiesen, dass es seine Speicher ohne russisches Gas füllen kann.
Gabriel Felbermayr

Wirtschaftliche Entkopplung von Russland im Gang

Laut Wifo-Chef Gabriel Felbermayr ist die wirtschaftliche Entkoppelung Europas von Russland in vollem Gange. Einzelne Ausreißer - etwa bei den heimischen Gasimporten aus Russland sowie den österreichischen Exporten in das kriegsführende Land, aber auch beim EU-Außenhandel mit Weißrussland - gibt es dennoch. Aus Weißrussland, das in einer Zollunion mit Russland steht, könnten beispielsweise Fahrzeuge und Fahrzeugteile aus der EU nach Russland gelangen, so Felbermayr.

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Während die Importe aus Weißrussland in die EU seit Kriegsbeginn auf rund ein Drittel des vorherigen Niveaus eingebrochen sind, liegen die Exporte aus der EU inzwischen höher als vor dem Krieg. Das könnte eine Umgehung der russischen Sanktionen sein, gab der Wifo-Direktor zu bedenken. Zu Beginn des Krieges waren die Exporte um 40 Prozent eingebrochen, zuletzt lagen sie höher als in jedem Quartal seit 2014.

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Weißrussland befindet sich in einer Zollunion mit Russland. Die Diktatur in Minsk ist der engste Verbündete des Kremls. "Wir beliefern über Weißrussland den russischen Markt mit Fahrzeugen und Fahrzeugteilen", sagte Felbermayr. Die Exporte sind im dritten Quartal 2022 gegenüber dem Vergleichsquartal 2021 um 321 Millionen Euro auf mehr als zwei Milliarden Euro gestiegen, allein Fahrzeuge und Zubehör machten 564 Millionen Euro aus. Das sei viel, so der Wifo-Direktor, so klein und arm sei Belarus. "Das ist ein Hinweis, dass das Sanktionsregime Löcher hat."

Einbruch des Außenhandels

Der Außenhandel der EU mit Russland war vor dem Einmarschbefehl Wladimir Putins in die Ukraine auf Hochtouren gelaufen. Nun sind sowohl die Importe als auch die Exporte eingebrochen. Dies gilt sowohl für das Volumen als auch für den Wert. Wertmäßig übersteigen die Importe nach Europa die Exporte mit rund 10 Mrd. Euro gegenüber 4 Mrd. Euro im Dezember 2022 deutlich. Mengenmäßig sind die Importe der EU rückläufig, die Exporte befinden sich nach dem Einbruch nun in einer Seitwärtsbewegung.

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"Bei Österreich ist das Bild etwas anders", sagte Felbermayr. "Österreich ist an der exportseitigen Entkoppelung kaum beteiligt." Die heimischen Exporte sind kaum rückläufig. Sie lagen zuletzt weiterhin bei rund einer halben Milliarde Euro pro Quartal. Auch die Importe aus Russland - vor allem Gas, das schon vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine teurer wurde und seither eine Preisachterbahn erlebt - sind zuletzt wieder stark gestiegen und liegen wertmäßig deutlich höher als vor der Gaspreiserhöhung ab 2021. Sie machten im letzten ausgewerteten Quartal Ende 2022 wieder fast zwei Milliarden Euro aus, so Felbermayr. In Deutschland sind die Importe und Exporte dagegen nachhaltig gesunken.

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Im dritten Quartal des Vorjahres wurden wertmäßig um zwei Drittel (66 Prozent) mehr Waren importiert als im Vergleichsquartal 2021. Die Exporte gingen wertmäßig um 25 Prozent zurück (aus der EU um rund 50 Prozent). Die deutschen Exporte hingegen brachen im selben Zeitraum um gut 50 Prozent ein, die Importe um 26 Prozent. "Deutschland ist in der Entkoppelung verblieben, das ist deutlich sichtbar. Österreich ist in einer anderen Situation", so Felbermayr weiter.

Österreich war auch im dritten Quartal 2022 nicht der Spitzenreiter bei den Importzuwächsen im Vergleich zur Vorjahresperiode. Noch größere Zuwächse verzeichneten Slowenien (plus 232 Prozent), Griechenland (164), Ungarn (154) und Bulgarien (88 Prozent).

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Der Außenhandel der EU und Österreichs mit der Ukraine zeigt sich laut Felbermayr aber überraschend krisenresistent. Exporte und Importe haben sich praktisch auf Vorkrisenniveau eingependelt. Die EU ersetzt Russland als Lieferant von mineralischen Brennstoffen und Fahrzeugen. Die Importe lagen zuletzt bei knapp 8 Milliarden Euro pro Quartal, die Exporte bei knapp 9 Milliarden Euro.