Maschinen- und Anlagenbau : Maschinenbauer bereiten Notfallpläne vor

VDMA-Chefvolkswirt Ralph Wiehers

VDMA-Chefvolkswirt Ralph Wiehers: „Der Maschinenbau ist nicht nur mit seinen eigenen Produkten global präsent. Er greift auch auf ein weltweites Netz von Zulieferern zurück."

- © YouTube/Bv8 Plus

Zunehmende Handelsbarrieren erschweren die Geschäfte europäischer Maschinen- und Anlagenbauer außerhalb der Europäischen Union. Rund 80 Prozent der Branchen-Exporte treffen weltweit auf Zollschranken, staatlich subventionierte Wettbewerbsprodukte oder staatliche Exportfördermaßnahmen von Drittstaaten, wie aus einer am Mittwoch veröffentlichten Studie der Universität St. Gallen im Auftrag des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) hervorgeht.

Lesen Sie weiter unten, wie Maschinenbauer derzeit Engpässe und Fachkräftemangel zu spüren bekommen.

Das Bild sei für die gesamte europäische Branche erschreckend, sagte Ulrich Ackermann, Leiter VDMA-Außenwirtschaft, bei der Vorstellung der Studie in Brüssel. "Der schleichende Aufbau von Handelsbarrieren kostet Arbeitsplätze und Wohlstand." Die EU müsse sich mit aller Kraft für weitere Freihandelsabkommen etwa mit den Staaten des südamerikanischen Wirtschaftsbündnisses Mercosur oder Indien einsetzen.

In den vergangenen Jahren führten der Studie zufolge die Auseinandersetzungen zwischen China und den USA, die Coronapandemie und nationale Industriepolitiken dazu, dass Handelsbarrieren verstärkt oder neu aufgebaut wurden. Den mit Abstand größten Anteil (73 Prozent) bilden demnach im Maschinen- und Anlagenbau staatliche Exportfördermaßnahmen. Außerdem erhielten viele lokale Wettbewerber direkte Subventionen.

"Zu Beginn dieses Jahres waren rund die Hälfte aller europäischen Maschinenexporte nach China, Indien und in die USA von Subventionshürden betroffen, die sich zum Beispiel in den Vereinigten Staaten in Form von direkten Fördermaßnahmen und staatlichen Steuernachlässen manifestierten", erläuterte Ackermann. Auch sogenannte technische Handelshemmnisse wie technische Vorschriften behindern die Geschäfte. Besonders hoch sind der Studie zufolge dabei die Auflagen in den USA, China, Kanada und Brasilien. Klassische Zölle spielen im Maschinen- und Anlagenbau eine geringere Rolle.

Allerdings schottet sich der Studie zufolge auch die EU, insbesondere gegenüber Asien zunehmend mittels technischer Handelshemmnisse ab. "Die ausgefeilte technische Regulierung in der EU wirkt für Maschinenexporteure aus Drittstaaten wie ein Handelshemmnis", analysierte Ackermann.

Wie spürt der Maschinenbau die Beeinträchtigungen in den Lieferketten? Der VDMA ist der Problematik in ein Blitzumfrage nachgegangen. Wir fassen die Ergebnisse für Sie zusammen:

45 Prozent, respektive 42 Prozent geben an, gravierende oder merkliche Auswirkungen zu spüren (Stand Juni 2022). Das sind um 34 bzw. 6 Prozent mehr als noch im April.

Die Engpässe in den Zulieferungen werden besonders in zwei Bereichen deutlich. In der Sparte Elektrotechnik und Elektronikkomponenten sind die Engpässe für 61 Prozent gravierend und für weitere 26 Prozent merklich. In der Sparte Metalle und Metallerzeugnisse sind es 13, respektive 50 Prozent.

50 Prozent der Befragten spüren den Fachkräftemangel im Maschinenbau merklich, weitere 28 Prozent gravierend. Nur 3 Prozent meinen, dass dieses Problem in den nächsten drei Monaten abnehmen wird, 36 Prozent rechnen gar mit einer Verschlimmerung.

VDMA-Chefvolkswirt Ralph Wiechers spricht über über Fachkräftemangel im Maschinenbau
VDMA-Chefvolkswirt Ralph Wiechers: "Die Liste der negativen Einflussfaktoren auf die Versorgungssituation ist lang." - © YouTube/VDMAonline

Die Produktion und die Lieferfähigkeit des Maschinen- und Anlagenbaus in Deutschland werden immer stärker durch Materialengpässe und Fachkräftemangel behindert. Dies geht aus aktuellen Zahlen einer Blitzumfrage des VDMA hervor, an der 520 Mitgliedsunternehmen vom 21. bis 23. Juni teilnahmen.

„87 Prozent der Unternehmen im Maschinenbau sehen ihre Lieferketten derzeit merklich oder gravierend beeinträchtigt”, sagt VDMA-Chefvolkswirt Ralph Wiechers. „Der Maschinenbau ist nicht nur mit seinen eigenen Produkten global präsent. Er greift auch auf ein weltweites Netz von Zulieferern zurück. Krieg in der Ukraine, Lockdowns in China, Staus in zentralen Umschlagplätzen mit deutlich verlängerten Abfertigungszeiten von Containern und Personalmangel bei der Auslieferung sowie in der eigenen Produktion – die Liste der negativen Einflussfaktoren auf die Versorgungssituation ist lang."

Im Vergleich zur vorangegangenen Erhebung hat sich die Lage nochmals verschärft, und die Hoffnung auf baldige Besserung schwindet. Im April meldeten bereits 79 Prozent, also fast acht von zehn der Befragten aus dem Maschinen- und Anlagenbau, merkliche oder gravierende Knappheiten bei der Materialversorgung. Nun sind es sogar fast neun von zehn Firmen, die dies melden. Ähnlich verhält es sich mit den Aussichten. Mit einer Entschärfung der Lage innerhalb der nächsten 3 Monate rechnet kaum noch jemand. „Bei Elektronikkomponenten zeigen sich die Engpässe besonders hartnäckig. 44 Prozent sehen eine bessere Versorgungslage hier erst ab dem zweiten Halbjahr 2023“, erläutert Wiechers.

Versorgungssicherheit zunehmend im Fokus

Angesichts der Hartnäckigkeit der Zulieferprobleme hat schon mehr als jedes zweite Unternehmen seine Beschaffungsstrategie kritischer Rohstoffe verändert oder plant dies in absehbarer Zeit zu tun.

„Insgesamt legen die Unternehmen einen stärkeren Fokus auf die Versorgungssicherheit. Dafür erweitern 83 Prozent der Unternehmen, die Maßnahmen initiieren oder bereits umgesetzt haben, gezielt ihr Lieferantennetzwerk. 77 Prozent erhöhen die Lagerhaltung und 58 Prozent sehen sich nach alternativen Materialien um – wo immer dies möglich ist“, sagt VDMA- Chefvolkswirt Wiechers. Auch auf die absehbare Verknappung der Gaslieferungen bereiten sich bereits 30 Prozent der Unternehmen konkret vor.

„Etwa drei Viertel der sich auf den Ernstfall vorbereitenden Unternehmen prüfen zunächst einmal, welche Möglichkeiten sie im eigenen Unternehmen haben, beispielsweise die Installation elektrischer oder Öl-befeuerter Back-up-Systeme. Etwa die Hälfte der Unternehmen sieht eine engere Abstimmung mit dem hauseigenen Netzbetreiber als adäquate Vorbereitungsmaßnahme an. Und ein Drittel hat gestaffelte Notfallpläne je nach Reduktionsgrad der Gaslieferungen mit den Lieferanten vorbereitet“, ergänzt Wiechers.

"Auch gezielte Zuwanderung wird notwendig sein, um die Arbeitskräftelücke zu reduzieren."
VDMA-Chefvolkswirt Ralph Wiechers

Arbeitskräftemangel

Auch die Fachkräfteengpässe haben sich in den vergangenen Monaten zugespitzt. 78 Prozent der Unternehmen haben einen merklichen oder gravierenden Mangel an Personal. Und lediglich 3 Prozent der Unternehmen rechnen mit einer Entschärfung der Personalsituation in den nächsten 3 Monaten. „60 Prozent der Unternehmen sehen die Demografie und den Fachkräftemangel als großes Risiko an“, erläutert Wiechers.

Damit wurde der Fachkräftemangel unter acht zentralen aktuellen Themen des Maschinenbaus als größtes Risiko eingestuft und sogar noch vor der Antwortkategorie „Inflation/restriktive Geldpolitik“ genannt. „Um die vielen Facharbeiter, die in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen, adäquat zu ersetzen, müssen junge Nachwuchskräfte eine attraktive Ausbildung im Maschinenbau und eine gute Perspektive geboten bekommen. Dies wird aber allein nicht ausreichend sein, um den Bedarf zu decken. Auch gezielte Zuwanderung wird notwendig sein, um die Arbeitskräftelücke zu reduzieren“, fordert Wiechers.

Als große Chance sehen dagegen viele Unternehmen die Digitalisierung und die Automatisierung sowie den Aufbau resilienter Lieferketten an. Hier kommt dem Maschinen- und Anlagenbau als weltweitem Ausrüster eine zentrale Rolle zu, der er sich proaktiv und optimistisch stellt. Wie überhaupt das laufende Jahr trotz all der Belastungen für die meisten Betriebe ein Wachstumsjahr werden soll. 79 Prozent der Unternehmen erwarten ein Umsatzwachstum, das aber auch durch die Inflation getrieben wird. Und auch der mittelfristige Blick in die Zukunft ist positiv: 82 Prozent wollen Ihre Investitionen im Vergleich zum Vorjahr steigern.

Tipp der Redaktion: Was kann AI in der Industrie?