Warum KI-Projekte scheitern : „Irgendwas mit KI machen zu wollen, reicht als Konzept nicht“

Jürgen Schmidt, Portraitbild

„Einfach irgendetwas mit KI machen zu wollen, ist der beste Weg, um Geld zu verbrennen.“ STRG-CEO Jürgen Schmidt im Interview.

- © STRG.at

Als KI- und Digitalisierungsspezialist der ersten Stunde haben Sie hunderte Digitalisierungsvorhaben aus nächster Nähe beobachten können. Wenn Sie einen einzigen Faktor nennen müssten, warum manche davon ein Erfolg wurden und manche nicht, was würden sie nennen?

Wenn es tatsächlich nur ein Punkt sein darf, auch wenn es in Wirklichkeit nie nur ein Punkt ist, würde ich sagen: Die Erfolgreichen haben erkannt, dass digitale Transformation Chefsache ist, dass sie nichts ist, was man delegieren kann. Und dass es nötig ist, für entsprechende Projekte eigene Strukturen zu schaffen. Wer meint, neue KI-Projekte und Digitalisierungsvorhaben der IT-Abteilung als 375-ste Aufgabe auf deren langer To-Do-Liste umhängen zu können, wird ziemlich sicher scheitern.

Weil IT-Abteilungen immer chronisch überlastet sind?

Auch deshalb, aber das ist noch nicht der entscheidende Grund. IT-Abteilungen sind dafür zuständig, dass Systeme 24 Stunden am Tag, 7 Tage in der Woche und 52 Wochen im Jahr zuverlässig und fehlerfrei laufen. Etwas Neues, Riskantes auszuprobieren, ist in deren DNA daher gar nicht drinnen. Und das Kapazitätsargument trifft natürlich auch zu. IT-Abteilungen haben tatsächlich sehr oft Backlogs, die bis ins nächste Jahr oder noch länger reichen.

Sie plädieren also dafür, Einheiten zu schaffen, in denen Digitalisierungs-Ideen gewissermaßen im Sandkastenmodus erprobt werden können, ohne dass Rückschläge oder Fehler sofort zu einem Mega-Drama werden.

Genau. Das halte ich gerade in unserem europäischen, sehr stark vom Sicherheitsdenken geprägten Umfeld für besonders wichtig. In Amerika wundert es niemanden, wenn sich von zehn grundsätzlich guten Ideen nur eine oder auch gar keine durchsetzt. In Europa haben wir diese Failure-Culture nicht. Da wird schon gejammert, wenn von zehn Start-Ups bloß neun überleben. 

Und das bedeutet jetzt was?

Umgelegt auf digitale Projekte heißt das: Wir brauchen mehr Räume, in denen Dinge ausprobiert und auch wieder verworfen werden, immer und immer wieder, solange bis etwas Sinnvolles entsteht. Das ist ein Zugang, der gerade in der Industrie skeptisch gesehen wird. In der Industrie ist klassisches, lineares Projektdenken nach wie vor sehr weit verbreitet. Anderswo, etwa in der Softwareentwicklung, ist es längst Standard, dass man Dinge nicht erst fertig baut und dann testet, welchen Nutzen sie haben, sondern eben stufenweise erkundet, ob es für einen Proof of Concept, für ein Minimal Viable Product, für einen Piloten reicht. Das ist nicht nur schneller, sondern auch billiger. 

Trotz dieser Skepsis: Irgendetwas mit KI machen, das wollen heute fast alle Industriebetriebe.

Ja, das ist aber durchaus problematisch. Denn irgendwas mit KI machen zu wollen, reicht als Konzept nicht. Das ist der beste Weg, um Geld in den Sand zu setzen. Die Industrie kann massiv von KI-Anwendungen profitieren, sie braucht aber Wegbegleiter oder eigene Experten, die ihr helfen, zu unterscheiden, welche Projekte tatsächlich einen Mehrwert bringen und von welchen man eher Abstand halten sollte.

Auf KI zu verzichten, wäre das im Zweifelsfall eine Lösung?

Das glaube ich nicht. Und das sehen die meisten Unternehmen auch so. Wir haben oft Kontakt mit Firmen, denen klar ist, dass sie in dem Feld der digitalen Transformation und Künstlicher Intelligenz ins Hintertreffen geraten sind und die sich deshalb Unterstützung holen.

Was sagen Sie denen dann?

Als Erstes stelle ich immer die Frage nach dem “Reason Why”. Man muss klar ausdrücken können, welches Ziel ein Projekt hat und was man damit erreichen möchte. Damit wird auch klar, an welchen KPIs sich das Projekt messen lässt und wie man den Erfolg bewerten kann.

Ein wichtiger, oft übersehener Punkt ist aber die Tatsache, dass digitale Transformation unbedingt auch das Erfinden von neuen Workflows und Arbeitsweisen bedeuten muss. Sonst ist es so, wie wenn man eine Bahntrasse elektrifiziert. Ja, die Bahn fährt nun mit Strom, das Geschäftsmodell dahinter ist aber das gleiche wie in jener Zeit, als sie noch mit Kohle fuhr. Eine digitale Transformation funktioniert nicht so, sie muss mehr beinhalten als nur das Analoge ins Digitale zu übersetzen.

Hätten Sie noch einen essentiellen Hinweis für all jene, die am Beginn ihrer KI- und Digitalisierungsreise stehen?

Ja, und er würde lauten: Fangt lieber heute als morgen an, vergesst aber nicht: Wenn man einen schlechten Prozess digitalisiert, hat man dann einen schlechten digitalen Prozess. Digitalisierung ist enorm wichtig, die Substanz dahinter muss aber auch stimmen. Sonst sind es leere Kilometer.

  • Portraitbild Jürgen Schmidt
    Zur Person

    Jürgen Schmidt (55) ist CEO des Wiener KI- und Digitalisierungsanbieters STRG. 2003 gegründet setzt das Unternehmen unter anderem darauf, aktuelle Erkenntnisse aus der KI-Forschung, so schnell wie möglich in konkreten Projekten umzusetzen. Schmidt ist selbst Informatiker, zu seinen Schwerpunktthemen gehören Mensch-Maschine-Interaktion sowie semantische Content-Analyse. Mit künstlicher Intelligenz beschäftigt er sich seit den späten 1990er Jahren. Das Unternehmen ist seit 2008 in der Forschung aktiv.