Führung Managament Industriepolitik : Industriepolitische Unabhängigkeit – ein neuer und alter Zugang zur Standortpolitik

"On-Shoring verursacht Kosten, die teilweise mit Förderungen abgefedert werden könnten."
Martin Bodenstorfer, Partner und Geschäftsführer, EY-Parthenon
Die Pandemie und die geopolitischen Spannungen haben gezeigt, wie verletzbar die internationalen Wirtschaftsbeziehungen sind. Die Spannung zwischen den Wirtschaftsblöcken nehmen zu und es ist heute nur schwer abzuschätzen, welche Handelsschranken in den nächsten Jahren errichtet werden. Es ist also an der Zeit darüber nachzudenken, wie Liefer- und Wertschöpfungsketten abgesichert und weiterentwickelt werden können. Aus industriepolitischer Sicht stellt sich also die Frage, wie man den Standort im internationalen Wettbewerb um Investitionen und Jobs stärken kann, ohne durch zu viele Eingriffe und eine Überregulierung die Wirtschaft zu hemmen.
Unabhängigkeit hat ihren Preis
Europa musste erkennen, dass man im Besondern bei den Themen Halbleiter, Medikamente und Energie in hohem Maße von Importen abhängig ist. Neben den wirtschaftlichen Auswirkungen ist auch politisch schwer zu erklären, warum manche Medikamente zur Behandlung relativ einfacher Erkrankungen während der Wintermonate nicht verfügbar sind. Bei der Energie müssen wir feststellen, dass Europa sowohl bei aktuellen Energiequellen wie Öl und Gas, als auch beim künftig für die Industrie bedeutsamen Wasserstoff von Importen abhängig sein wird. Diese Abhängigkeit ist nur mit massiven Investitionen zu reduzieren, die wiederrum kurz- und mittelfristig durchaus dazu führen können, dass sich der Wohlstand nicht so entwickelt, wie man dies gerne sehen würde. Eine relative Unabhängigkeit von Dritten in anderen Teilen der Welt hat einen Preis, den man gut abwägen und der Bevölkerung transparent erklären muss, damit diese Investitionen von einer deutlichen Mehrheit akzeptiert und mitgetragen werden.
Der Staat als aktiver Gestalter der Volkswirtschaft
Die nun gefragten Maßnahmen führen uns zu einer Renaissance der Industriepolitik, wie sie manche noch aus den 1970er- und 1980er-Jahren kennen. Der Staat wird zum aktiven Gestalter der Volkswirtschaft und vertraut nicht mehr allein auf die unsichtbare Hand des Marktes, da diese Hand von der geopolitischen Realität in ihrer Wirkung bei der Schaffung von gesellschaftlichem Wohlstand stark eingeschränkt ist. Man muss also sicherstellen, dass man nicht nur die effizientesten, sondern darüber hinaus auch resiliente Wertschöpfungsketten hat, die trotz geopolitischer Krisen eine Wertschöpfung ermöglichen und die Sicherheit des Wohlstands in unseren demokratischen Staaten sichern.
Trend zu aktiver Industriepolitik
Eine Studie von EY Parthenon zeigt nun, dass viele europäische Regierungen diesem Trend folgen und zu einer aktiven Industriepolitik übergehen. Die Analyse des internationalen Studienteams zeigt, dass je nach Industriesparte die sichere Bereitstellung von Rohstoffen und Vorprodukten in 27 Prozent bis 99 Prozent aller Schlüsselprodukte in Europa als relativ kritisch eingestuft werden können. Dies bedeutet, dass ohne gezielte Maßnahmen gegen bestehende Abhängigkeiten diese nur bedingt reduziert werden können, was das Risiko von Versorgungsengpässen erhöht. Diese Engpässe wiederum wären ein massiver Schaden für den Wirtschaftsstandort.
Wie bereits erwähnt hat die Unabhängigkeit von externen Partnern ihren Preis. Die Studie geht davon aus, dass der Ersatz unsicherer Lieferregionen in der EU Mehrkosten von bis zu 47 Milliarden US-Dollar im Jahr verursachen könnte. Trotzdem wurde in der Studie von 82 Prozent der interviewten CEOs gesagt, dass sie durchaus bereit wären, Maßnahmen einer europäischen Resilienz-Initiative zu unterstützen. Allerdings würde nur etwas mehr als Hälfte dafür einen Rückgang der Rentabilität in Kauf nehmen. Sogar nur 28 Prozent sind bereit, eine kostenintensive Verlagerung ihrer Lieferketten in andere Länder im gleichen geopolitischen Block zu verlegen. Dies zeigt die Komplexität der Thematik.
Antworten auf eine unsichere Welt
Ein wesentlicher Faktor sind die staatlichen Investitionen. Hier zeigt sich, dass staatliche Beiträge von 20 bis 30 Prozent eine entscheidende Hebelwirkung haben, um private Investitionen in Resilienz zu ermöglichen.
Binnenstaaten wie Österreich sind nun gefordert, rasch Initiativen auf Schiene zu bringen, um die eigenen Unternehmen zeitgerecht fit für künftige weltwirtschaftliche Szenarien zu machen. Es zeigt sich, dass neben der Verlagerung von Lieferketten das On-Shoring eine strategische Alternative ist. On-Shoring verursacht Kosten, die teilweise mit Förderungen abgefedert werden könnten. Zugleich schafft dieses On-Shoring Jobs und kann unsere Unternehmen und Volkswirtschaft in eine Position bringen, für die unsere Enkel uns dankbar sein werden. Diese Zukunftspolitik ist kein Rückfall in Protektionismus, sondern eine Antwort auf eine unsichere Welt.
Martin Bodenstorfer begleitet als Partner und Geschäftsführer von EY-Parthenon Strategie- und Reorganisationsprojekte der öffentlichen Verwaltung in Österreich und Deutschland.