Factory X vernetzt Produktionen : Factory X: So vernetzen SAP und Siemens weltweit Shopfloors

Mit Manufacturing-X geht von Deutschland eine Initiative aus, die die Industrie vernetzen soll - dazu ist vor allem eine neue Art der Datenaustauschkultur notwendig.
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Mit Manufacturing-X geht von Deutschland eine Initiative aus, die die Industrie vernetzen soll - dazu ist vor allem eine neue Art der Datenaustauschkultur notwendig.
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In Sachen Digitalisierung hat Deutschland einen eher mittelmäßigen Ruf. Immer noch steht in vielen Amtsstuben ein Faxgerät und auch in der Wirtschaft sieht es nicht viel besser aus. Der Digitalisierungsindex betrug 2023 nur noch 108,6 Punkte, nach 110,5 Punkten im Jahr 2022. Dieses Manko wirkt sich auch negativ auf Arbeitskosten und damit die Wettbewerbsfähigkeit aus.
Die deutsche Bundesregierung arbeitet deshalb bereits seit einiger Zeit an der Verwirklichung einer „Digitalstrategie Deutschland“. Eine der Initiativen hier ist Manufacturing-X. Manufacturing-X ist unter dem Dach der Plattform Industrie 4.0 entstanden und wird vom deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) koordiniert. Ziel ist es, einen sicheren und vor allem dezentralen Datenraum für die gesamte Industrie zu schaffen, egal ob Konzern, KMU oder Start-up. Alle Unternehmen sollen das System nutzen können und auch eigene Anwendungen entwickeln, ohne dabei die eigene Datenhoheit aufgeben zu müssen.
Manufacturing-X ist ein weltweites Projekt
„Das klingt jetzt sehr nach einem deutschen Projekt, es ist aber wichtig zu betonen, dass Manufacturing-X ein globales Projekt ist“, sagt Roland Sommer, Geschäftsführer der österreichischen Plattform 4.0, die ebenfalls an Manufacturing-X mitarbeitet. Wichtigstes Vehikel zur Umsetzung ist das Manufacturing-X Council, für das es am 15. und 16. Februar in Paris das Kick-off Meeting gab. Mit dabei sind nicht nur europäische Länder, sondern etwa auch die USA, Kanada oder Korea. „Wir überlegen uns in diesem Gremium, wie man die Datenökosysteme im Produktionsbereich auf eine globale Ebene heben kann. Wir arbeiten an Standards, die weltweit eingesetzt werden können“, sagt er und verweist auf die Hannover Messe Ende April, wo es mehr Details geben soll.
Manufacturing-X ist ein übergeordnetes Programm, unter dessen Dach eine ganze Reihe von Projekten, speziell angepasst für die Bedürfnisse der verschiedensten Industrien, entstehen sollen. Dazu gehören etwa Aerospace-X (Luft- und Raumfahrt), SemiCo-X (Halbleiter), oder ChemX (Chemie). So soll beispielsweise bei Aerospace-X die Tatsache, dass in der Aerospace- Industrie besondere Anforderungen an die Produktsicherheit gestellt werden, besonders adressiert werden. Ziel all dieser Projekte ist es, die Digitalisierung der Fertigungsindustrie voranzutreiben, um Resilienz, Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit zu fördern.

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Neuer Ansatz für die Datenökonomie
Dazu ist vor allem eine neue Art der Datenaustauschkultur notwendig. Derzeit basieren die etablierten Datenökonomien noch auf zentralen Plattformen. Die Unternehmen liefern ihre Daten ab und bekommen bestimmte Berechtigungsprofile. „Das funktioniert auch gut in einem Umfeld, in dem jeder jeden kennt und vertraut und wo es eventuell auch schon Verträge zwischen den Unternehmen gibt“, erklärt Georg Kube, zuständig bei SAP für Manufacturing-X. „Aber das ist leider nicht der komplette Umfang von Firmen, mit denen man zusammenarbeiten muss. Und wenn man dann mit Unternehmen zusammenarbeiten will, die nicht zu diesem inneren Kreis gehören, dann funktioniert es nicht mehr.“ Das bedeutet aber, dass es dann für solche Plattformen einen Skalierungsproblem gibt. Der Kreis lässt sich kaum noch erweitern, nach einem anfänglichen, oft schnellen Wachstum stagniert die Zusammenarbeit. „Wir haben erkannt, dass wir nur dann skalieren können, wenn wir einen vertrauensbasierten Austausch haben“, sagt Kube.
Bei Manufacturing-X werden deshalb die Daten nicht außer Haus gegeben, sondern nur ein Katalog, indem steht, dass diese vorhanden sind. Außenstehende können anfragen, ob sie darauf zugreifen können. Das Unternehmen, das sie besitzt, kann dann immer noch entscheiden, ob es der Anfrage zustimmt.
Die Motivation, dies zu tun, ist hoch, der Datenaustausch kann für beide Unternehmen Vorteile bringen. Beispielweise kann ein Maschinenbauer so genau erfahren, wofür seine Produkte eingesetzt werden und sie entsprechend anpassen. Für die Informationslieferanten könnte es Geld-Prämien geben – die Datensätze könnten beispielsweise mit 10 oder 20 Euro vergütet werden. Vorstellbar sind sogar Auktionen.

Datenaustausch nutzt auch der Umwelt
Der Datenaustausch kann helfen viele Probleme zu lösen. Im Umweltbereich etwa durch Load-Shifting, das die Fertigung automatisch auf die aktuelle Energieverfügbarkeit und Preise abstimmt. „Manufacturing-X ist auch ein weiterer Schritt in Richtung einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft und nachhaltigeren Produktion – und kann damit einen bedeutenden Beitrag für das Erreichen der Klimaziele leisten,“ sagte Achim Berg anlässlich der Hannover Messe 2023 in seiner damaligen Eigenschaft als Präsident des Branchenverbandes Bitkom
Manufacturing-X ist auch von den gesetzlichen Rahmenbedingungen getrieben. So gibt es auf EU-Seite etwa den Data Act, mit dem Unternehmen verpflichtet werden, Betriebsdaten aus ihren Produkten mit Kunden und Partner zu teilen. Auch ein bereits vorgeschriebener digitaler Produktpass, der alle Informationen zu Produkten, Maschinen oder Komponenten an einer zentralen Stelle bündelt, gehört zu den Treibern. Hinzu kommt das Nachhaltigkeitsberichtswesen (ESG) und das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), auch wenn dieses derzeit von den deutschen Liberalen blockiert wird. All das sind Herausforderungen, denen vor allem kleinere Unternehmen kaum gewachsen sind. Manufacturing-X könnte hier mit seinen Tools einen Ausweg bieten.

Factory-X, das Projekt für die Fertigungsindustrie
Jüngste Initiative unter dem Dach von Manufacturing-X ist Factory-X, die sich vor allem an die Fabrikausrüster und Fabrikbetreiber wendet. Am 19.2 fand in Frankfurt im Rahmen einer Feier mit 300 Gästen das Kick-off-Meeting statt. 57 Partner gehören zum Start-Konsortium, dass sich nun anschickt, die Fundamente und Eckdaten für Factory-X zu legen und etwa auch die passende Software zu entwickeln
Das kostet natürlich auch Geld. Kolportierte 80 Mio. Euro Förderung will das Konsortium von der Bundesregierung lukrieren. Gelder kommen auch aus dem mit 672,5 Mrd. Euro gut gefüllten Topf „Aufbau und Resilienzfazilität“, der Teil des Aufbauinstruments „Next Generation EU“ ist. Noch gibt es keine offizielle Zusage, doch die Bewilligung ist wohl nur noch eine Frage der Zeit. „Wir scharren schon mit den Hufen, um zu starten“, zeigt sich Thomas Hahn, Chief-Software-Experte bei Siemens, gegenüber dem Handelsblatt ungeduldig.
Factory-X soll in die Fußstapfen von Catena-X treten
Für Factory-X gibt es bereits ein Vorbild: Es heißt Catena-X und vernetzt seit einiger Zeit die Automobilindustrie. Eines der ersten Projekte, die hier verwirklicht wurden, ist ein Produktpass für Batterien. Catena-X ist horizontal orientiert, es ist auf die Supply-Chain konzentriert. Zum Gründungskonsortium von Catena-X gehörten etwa BMW, Mercedes Benz und VW, aber auch BASF, Deutsche Telekom, Henkel und Bosch. Auch SAP und Siemens, die treibenden Kräfte hinter Factory-X, sind mit dabei. Die Koordination hat der Verein Catena-X Automotive Network e.V. mit Sitz in Berlin übernommen. Dieses Konsortium erarbeitete die Grundlagen des Projektes, etwa auch die Arbeitsumgebung. Später kamen dann auch die assoziierten Mitglieder hinzu, internationale Player, die nicht von der Bundesregierung gefördert wurden.
Resilienz, sagt Oliver Ganser, Geschäftsführer und Konsortialleiter von Catena-X Automotive Network, war eine der stärksten Motivationen mitzuarbeiten, insbesondere seit Corona die Lieferkette so stark unter Druck gesetzt hatte „Wir haben ein hochkomplexes System und wenn hier eine kleine Störung von außen kommt, dann funktionieren unsere Peer-to-Peer-Netzwerke nicht mehr.“
Ob Factory-X auch die Führungsstrukturen von Catena-X kopieren wird, ist noch unklar. „Das ist eine komplexe Frage in der unterschiedlichste Stakeholder berücksichtigt werden müssen. Wir werden das im Rahmen von Factory-X erarbeiten“, sagt Kube. Klar ist aber, dass es eine solche Stelle, die in ein paar Jahren die Koordination übernimmt, geben muss - wie immer sie dann auch aussehen wird.

Erstmalig auch Shopfloor miteinbezogen
Es wird wohl auch ein paar grundlegende Anpassungen gegenüber Catena-X geben müssen. Factory-X ist nämlich vertikal orientiert. Größter Unterschied ist die Integration des Shopfloors. Während bei Catena-X Unternehmen eine Art Knoten im Supply-Network sind, in den etwas hinein und auch wieder hinausfließt, soll Factory-X auch in das Innere blicken. So sollen die Interaktionen und Abstimmungsprozesse der Maschinen erfasst werden, genau wie die Wartungsprozesse. Zudem ist eine enge Verzahnung mit dem ERP-System geplant. Auch das sogenannte Cloud-Edge-Kontinuum, das Fabrikationsdaten im Extremfall auch über IoT-Sensoren in Echtzeit liefert, soll integriert werden. Das könnte dann auch neue Ansprüche an die Plattform in Bezug auf schnelle Datenverarbeitung und Latenzen stellen.
Ganz wichtig für das Projekt sind die KMUs. Bei Catena-X sind etwa 70 Prozent der Zielgruppe Unternehmen mit 10 bis 500 Mitarbeitenden. Diese kleinen Unternehmen haben oft keine eigene IT-Abteilung und auch keine speziellen Fachleute angestellt. Den Betrieb der IT-Infrastruktur stellt meist ein externer Dienstleister sicher. Es ist deshalb wichtig, auch dieser Unternehmensgruppe den Einstieg auch bei Factory-X so einfach wie möglich zu machen. Nach dem Vorbild von Catena-X soll ein Onboarding-Prozess entwickelt werden, der KMUs über das Projekt informiert und hilft, schnell und problemlos von der Initiative zu profitieren. Im Idealfall sollte der Aufnahmeprozess mit ein paar Mausklicks erledigt sein.
Und auch wenn manche Unternehmen Schwierigkeiten mit der Datenaufarbeitung haben, wird sich das Projekt darum kümmern, dass die Daten harmonisiert und syntaktisch und semantisch richtig bereitgestellt werden. Dazu sollen gängige Konnektoren eingesetzt werden, wie etwa der Eclipse Dataspace Connector. Auch die international bereits etablierte Asset Adminstration Shell wird wohl zum Einsatz kommen. Sie wird als Umsetzung des digitalen Zwillings für Industrie 4.0 verstanden und beschreibt die Inhalte von Datenpaketen, die zwischen den Unternehmen ausgetauscht werden. Der Metastandard macht diese maschinenlesbar und schafft so eine herstellerübergreifende Interoperabilität.
Forschung und Wissenschaft sind mit an Bord
Längst sind aber noch nicht alle technischen Probleme geklärt. „Wir sind auch ein gut Stück weit ein Forschungsprojekt“, sagt Kube. Weswegen auch die Universitäten in die Entwicklung involviert sind. Etwa das Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) an der Leibnitz Universität in Hannover. Dort wird unter anderem an Anwendungen für „Manufacturing as a Service“ geforscht. Ziel ist es, horizontale Lieferbeziehungen abzubilden und die vertikale Vernetzung zum Shopfloor zu fördern. Im Rahmen dieses Teilprojektes werden Software-Komponenten zur Ermittlung auftragsspezifischer Kapazitäten, zur kapazitätsorientierten Kalkulation und zur CAM-Automatisierung entwickelt. Weitere Teilprojekte des IFW sind „Autonomous Operations as a Service“, bei dem Expertensysteme zur Prozessparametrierung und zur intelligenten Auftragskalkulation erarbeitet werden sollen.
Und schließlich liegt auch das Teilprojekt „Energy Consumption and Load Management“, das den Energieverbrauch von Prozessketten in der Produktion durchleuchten soll, in den Händen des IFW. Das sind aber noch nicht alle Aktivitäten: „Wir sind auch in das Mittelstand-Digital Zentrum Hannover eingebunden, das insbesondere KMU unterstützt, um die Digitalisierung voranzutreiben. Wir arbeiten dort an Themen Factory-X inklusive Manufacturing-X und Verwaltungsschale als Standard für Digitale Zwillinge“, weiß Pressesprecher Gerold Kuiper zu berichten.
Wird Factory-X ein Erfolg? Georg Kube zeigt sich optimistisch: „Selbstverständlich kann man das nicht voraussehen. Aber wir haben die richtigen Leute eingebunden, wir haben meines Erachtens die Marktsignale verstanden und auch richtig interpretiert und von daher bin ich überzeugt, dass es so sein wird.“