Zahlen, Daten und Fakten : Der Abstieg der deutschen Autoindustrie – worunter VW & Co. wirklich leiden

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Worunter die deutsche Auto-Industrie wirklich leidet. 

- © Paul Langrock / laif / picturedesk.com

Produktivitätseinbußen, schrumpfende Gewinne und starke Konkurrenz aus China…das sind nur einige Schlagwörter die derzeit im Zusammenhang mit der deutschen Autoindustrie häufig zu hören sind. Werksschließungen und Personalabbau sind die Folge, wie nicht nur das Beispiel VW zeigt. Auch die Zulieferindustrie ist stark betroffen. Die gesamte Branche ist in einem Umbruch. Die Produktivität soll rauf, die Kosten runter. Die Konjunkturflaute, Versäumnisse beim Thema E-Mobilität und Managementfehler sind Erklärungsversuche dafür, wie es soweit kommen konnte.

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- © Industriemagazin

+30 Prozent Umsatzplus seit Corona, 70 Prozent seit 2008: Unter welcher Krise leidet die Autoindustrie eigentlich?

Ein Blick auf die Umsatzentwicklung der deutschen Autoindustrie zweigt ein ganz anderes Bild. Laut Statistischem Bundesamt erzielten die deutschen Autobauer im Jahr 2023 Rekorderlöse. Insgesamt wurden 567,2 Milliarden Euro mit der Herstellung von Kraftwagen und deren Komponenten erzielt. Gegenüber den Vor-Corona-Jahren eine Steigerung um 29,2 Prozent. Vergleicht man die Werte mit dem Jahr 2008 ergibt sich ein Plus um 69,8 Prozent. Von so einer Krise können andere Branchen nur träumen.

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Volkswagen führte das Feld mit einem Umsatz von rund 322,3 Milliarden Euro an. BMW folgte mit einem Umsatz von 142,6 Milliarden Euro. Trotz dieser beeindruckenden Zahlen sahen sich die deutschen Autobauer im Jahr 2024 mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert. Im dritten Quartal 2024 sank der operative Gewinn (EBIT) von Volkswagen, BMW und Mercedes-Benz zusammen um etwa 50 % im Vergleich zum Vorjahr und lag bei rund 7,1 Milliarden Euro. Der Umsatz der drei Unternehmen ging im selben Zeitraum um fast 6 % auf 145,4 Milliarden Euro zurück.

Besonders betroffen war BMW, dessen Umsatz im dritten Quartal 2024 um knapp 16 % auf 32,4 Milliarden Euro schrumpfte. Die Ursachen für diese Rückgänge sind vielfältig. Die schwächelnde Nachfrage, insbesondere nach Elektrofahrzeugen, sowie der zunehmende Wettbewerb durch chinesische Hersteller setzen die deutschen Autobauer unter Druck. Zudem belasten hohe Produktionskosten und geopolitische Spannungen das Geschäft. 

Produktivitätssteigerung in der Auto-Industrie 2008 bis 2023
Produktivitätssteigerung in der Auto-Industrie 2008 bis 2023 - © Dominique Otto

Zu hoher Personalstand in der Autoindustrie? Seit 2008 wuchs der Umsatz pro Mitarbeiter um 278.000 Euro

Die Umsätze zeigen jedoch nur einen Teil der Entwicklung. Kostensteigerungen sind evident, die Energiepreise liegen auf Rekordniveau. Gespart werden soll nun aber bei den MitarbeiterInnen.

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Tatsächlich ist die Anzahl der Beschäftigten der Autobranche seit Jahrzehnten mehr oder weniger stabil. Im Jahr 2023 wurden rund 790.000 MitarbeiterInnen beschäftigt, 2008 waren es 770.000, eine Steigerung von etwas mehr als drei Prozent - in 16 Jahren. Die Umsätze pro Mitarbeiter gingen jedoch durch die Decke: erzielte ein Mitarbeiter im Jahr 2008 durchschnittlich noch 434.000 Euro pro Jahr, schoss der Wert bis 2023 auf 712.000 Euro. Eine derartige – wertmäßige - Produktivitätssteigerung kann weder durch Inflation, noch Lohnsteigerungen negiert werden.

Die Personalkosten in der deutschen Automobilindustrie sind in den letzten Jahren signifikant gestiegen, was die Wettbewerbsfähigkeit der Branche zunehmend unter Druck setzt. Laut einer Analyse von Reuters betrugen die Arbeitskosten bei Volkswagen im Jahr 2023 15,4 Prozent des Umsatzes, während sie bei BMW, Mercedes-Benz und Stellantis zwischen 9,5 und 11 Prozent lagen.

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Laut einer Analyse von Reuters betrugen die Arbeitskosten bei Volkswagen im Jahr 2023 15,4 Prozent des Umsatzes - © APA/dpa/Julian Stratenschulte

Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass die deutschen Automobilhersteller die höchsten Arbeitskosten verzeichnen. Daten des Verbands der Automobilindustrie (VDA) zufolge lagen die Arbeitskosten in Deutschland im Jahr 2023 bei über 62 Euro pro Stunde, gefolgt von den Niederlanden mit 60 Euro und Österreich mit 49 Euro.

Diese steigenden Personalkosten haben bereits konkrete Auswirkungen auf die Branche. So plant Volkswagen, aufgrund hoher Kosten und geringer Auslastung, Werksschließungen und einen Stellenabbau. Die IG Metall hat daraufhin zu flächendeckenden Warnstreiks aufgerufen, um gegen Lohnkürzungen und den Abbau von Arbeitsplätzen zu protestieren.

Strategische Fehler und hohe Kosten

Gleichzeitig muss gespart werden. Aber wo? Energiepreise sind nur schwer verhandelbar und hohe Investitionen in die E-Mobilität alternativlos. Die Versäumnisse, rechtzeitig in eigene Software und Batteriezellen-Technologie zu investieren, müssen heute teuer zugekauft werden. Gespart wird also nicht dort wo es sinnvoll ist, sondern dort wo man kann: Dem Personal.

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Die Argumentation ist einfach: Gleich viele MitarbeiterInnen produzieren immer weniger Autos. Die Folge: sinkende Produktivität. Betrachtet man die Entwicklung der Stückzahlen ist die Lage tatsächlich prekär: Laut dem Verband der Automobilindustrie wurden im Jahr 2023 rund 4,1 Millionen PKW in Deutschland produziert, 2008 waren es noch über 5,5 Millionen. Ein Rückgang um über 25 Prozent – bei gleichbleibenden MitarbeiterInnen - lässt bei jeder Industrie die Alarmglocken läuten.

Absatzseitiger Produktivitätsrückgang in der Auto-Industrie
Absatzseitiger Produktivitätsrückgang in der Auto-Industrie - © Dominique Otto

Dieser Rückgang ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen:

1. Globale Wirtschaftskrisen und Handelskonflikte

Die Weltwirtschaft hat seit 2008 mehrere Krisen durchlaufen, darunter die Finanzkrise 2008/2009 und die durch die COVID-19-Pandemie ausgelöste Rezession. Diese Ereignisse führten zu einem Nachfragerückgang auf den internationalen Automobilmärkten. Zudem haben Handelskonflikte, insbesondere zwischen den USA und China, die globalen Lieferketten gestört und die Exportmöglichkeiten deutscher Hersteller beeinträchtigt.

2. Strukturwandel und Transformation zur Elektromobilität

Die Automobilindustrie befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel hin zur Elektromobilität. Dieser Transformationsprozess erfordert erhebliche Investitionen in neue Technologien und Produktionsprozesse. Währenddessen sinkt die Nachfrage nach traditionellen Verbrennungsmotoren, was zu Anpassungen und teilweise Reduzierungen der Produktionskapazitäten führt.

3. Hohe Produktionskosten und Standortnachteile

Deutschland hat im internationalen Vergleich hohe Arbeits- und Energiekosten. Diese Faktoren beeinflussen die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie negativ und führen dazu, dass Hersteller Teile ihrer Produktion in Länder mit günstigeren Bedingungen verlagern.

4. Lieferkettenprobleme und Materialengpässe

In den letzten Jahren kam es vermehrt zu Engpässen bei wichtigen Zulieferteilen, insbesondere Halbleitern. Diese Knappheit hat die Produktion in deutschen Werken erheblich beeinträchtigt und zu Produktionsausfällen geführt.

5. Verschärfte Umweltauflagen und regulatorische Anforderungen

Strengere CO₂-Grenzwerte und das geplante Verbot von Verbrennungsmotoren in der EU setzen die Hersteller unter Druck, ihre Modellpaletten anzupassen. Dies erfordert nicht nur technologische Umstellungen, sondern beeinflusst auch die Produktionsplanung und -kapazitäten.

Im Zweifel ist China Schuld

Die Frage „Wieso immer weniger PKW verkauft werden“, wird oft mit sinkenden Verkaufszahlen in Fernost versucht zu beantwortet. China habe inzwischen konkurrenzfähige Produkte zu einem besseren Preis. Das treffe insbesondere VW, ist doch der chinesische Absatzmarkt der inzwischen größte des deutschen Herstellers. Ob man damit Werksschließungen in Deutschland rechtfertigen kann ist dennoch fraglich.

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Die Exportstatistik zeigt, dass im Jahr 2023 gerade einmal 216.000 PKW aus deutscher Produktion in die Volksrepublik verkauft wurden. Zwar geht aus der Statistik nicht hervor, wie viele sonstige Komponenten exportiert wurden, eine Größenverordnung ist damit dennoch möglich. Knapp fünf Prozent aller in Deutschland hergestellten PKW werden nach China exportiert. Eine enorme Bedeutung für die deutsche Produktion lässt sich davon nur schwer ableiten. 

Die Krise am chinesischen Markt ist zwar dennoch da, Werksschließungen in Deutschland zu rechtfertigen ist bestenfalls gewagt. 

Zielländer der in Deutschland produzierten PKW
Zielländer der in Deutschland produzierten PKW 2008 bis 2023 - © Dominique Otto

In den letzten Jahren hat sich der Absatz von Personenkraftwagen (Pkw) in Europa wechselhaft entwickelt. Nach einem pandemiebedingten Einbruch erholte sich der Markt 2023 deutlich. In der Europäischen Union (EU) wurden im Jahr 2023 insgesamt 10.918.509 Pkw neu zugelassen, was einem Anstieg von 13,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. In Gesamteuropa, einschließlich Länder wie Norwegen, Island und die Schweiz, stiegen die Neuzulassungen um 13,7 Prozent auf 12.847.481 Fahrzeuge.

Die größten europäischen Märkte verzeichneten dabei unterschiedliche Wachstumsraten:

  • Deutschland: 2.844.609 Neuzulassungen (+7,3%)
  • Frankreich: 1.774.723 Neuzulassungen (+11,7%)
  • Italien: 1.565.331 Neuzulassungen (+18,9%)
  • Spanien: 949.359 Neuzulassungen (+16,7%)
  • Vereinigtes Königreich: 1.903.054 Neuzulassungen (+17,9%)

Besonders bemerkenswert war der Anstieg bei Elektrofahrzeugen. In der EU legten die Neuzulassungen von Elektroautos (Battery Electric Vehicles, BEV) um 37 Prozent auf 1.538.621 Fahrzeuge zu, was einem Marktanteil von 14,6 Prozent entspricht. Hybridfahrzeuge verzeichneten ein Plus von 29,5 Prozent und erreichten 2.716.963 Einheiten, entsprechend einem Marktanteil von 25,8 Prozent. Trotz dieser Zuwächse dominieren weiterhin Benzinfahrzeuge mit 3.724.646 Neuzulassungen (+10,6%) und einem Marktanteil von 35,3 Prozent. Dagegen sanken die Neuzulassungen von Dieselfahrzeugen um 5,8 Prozent auf 1.433.368 Einheiten, was einem Marktanteil von 13,6 Prozent entspricht.

Die deutschen Automobilhersteller konnten ihren Absatz in Europa ebenfalls steigern. Insgesamt wurden gut 5,9 Millionen Pkw deutscher Konzernmarken in Europa abgesetzt, was einem Anstieg von knapp 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Der Marktanteil deutscher Hersteller blieb damit konstant bei 46,2 Prozent.

Umsatzrekord bei Absatzeinbruch: Die Preisgestaltung

Seit 2016 vergrößert sich die Differenz zwischen Absatz- und Umsatzentwicklung Jahr für Jahr. Deutschlands Autobauer positionieren sich immer mehr als Premiummarken im gehobenen Preissegment. Oder sie verlangen für ein und dasselbe Modell, mit derselben Ausstattung einen höheren Preis. Obwohl weniger Autos verkauft werden, steigen damit die Erlöse.

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Nur im ersten Jahr der Covid-Pandemie wurde dieser Trend 2020 kurz durchbrochen. Ab 2021 nahm die Diskrepanz zwischen Stückzahlen und Umsätzen wieder rasant zu. Die Gewinnspannen stiegen. Die Strategie der deutschen Autobauer immer stärker auf das Premiumsegment zu vertrauen ist jedoch ausgesprochen risikobereit. Einerseits setzt es eine der Konkurrenz überlegene Qualität voraus, was beim Verbrennermotor vielleicht noch argumentiert werden kann, spätestens bei den Batterien oder Software jedoch in Frage gestellt ist. Andererseits machen sich deutsche Hersteller damit angreifbar gegenüber günstigen Produkten aus dem Ausland. 

Preisentwicklung von Neuwagen und Gebrauchtwagen
Preisentwicklung von Neuwagen und Gebrauchtwagen - © Dominique Otto

Der Konjunkturabschwung und stagnierenden Einkommen sorgen für einen zunehmenden Kostendruck auf Kundenseite. Erschwerend kommt hinzu, dass Kunden beim Autokauf die Preise nicht mit jenen des Vorjahres vergleichen, wie das bei klassischen Konsumgütern der Fall ist. Preise werden mit denen des letzten Autokaufs verglichen, dieser liegt in der Regel jedoch 10 bis 15 Jahre in der Vergangenheit. Die Folge ist ein “Preisschock“. Konkret kostet ein Neuwagen im Jahr 2023 um knapp 30 Prozent mehr als 2013. Bei Gebrauchtwagen beträgt der Preisauftrieb sogar 50 Prozent.

Und jetzt?

Die deutsche Autoindustrie steckt in der Krise, die Lösung wird Jahre brauchen. Ein Aufholprozess im Digitalisierungsbereich ist notwendig, dafür braucht es jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr Mitarbeiter, nicht weniger. 

Das Kostenproblem ist jedoch nicht zu leugnen, Sparen ist angesagt. Das Preisproblem muss angegangen werden. Deutsche Autos müssen leistbar sein. Sind sie das nicht, drängt die weltweite Autoindustrie, auf den europäischen Markt. Gewinnmargen sind wichtig, aber den eigenen Heimatmarkt zu schützen, sollte vorgehen. Will man wirklich einen “Volkswagen”- also einen „Wagen für das Volk“ - produzieren, muss er leistbar sein.

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