Produktion : Supermarkt für die Produktion

Der Tonfall ist höflich, aber bestimmt. "Das Thema kommunizieren wir nicht", heißt es im globalen Headquarter des Werzeugmaschinenbauers DMG Mori im schweizerischen Winterthur – und das ist nur konsequent: Auf der Metallverarbeitungsmesse METAV im Februar wurde die Online-Börse Matool.com zwar vorgestellt. Ein PR-Event wurde daraus aber nicht gestrickt. Dabei würde es so viel zu sagen geben über die Idee der Kapazitätenbörse, die Community-Mitgliedern wechselseitig Auslastung oder freie Kapazitäten bringen soll und im ersten Schritt DMG-Mori-Maschinen-Besitzern vorbehalten ist: Etwa, wie erfolgreich sich die Vorgängerplattform (DMG Marktplatz) schlug. Oder wie der Betreiber der Plattform mit Sitz in Ruggell, Liechtenstein, das Tool jenen DMG-Maschinenbetreibern schmackhaft zu machen gedenkt, die sich grundsätzlich nicht "zum Subunternehmer einer anderen Firma" machen lassen wollen, wie es ein deutscher Gildemeister-Großkunde nüchtern formuliert.
Neue Märkte, neue Chancen
Die Idee ist bestrickend – vielleicht, weil sie so simpel ist: Zum Abfangen von Auftragsspitzen – etwa infolge eines gerade hereingekommenen Großauftrags – greift ein Bearbeiter auf die Maschinenkapazitäten eines Partners in derselben Region zurück. Der wiederum profitiert von einer besseren kapazitativen Auslastung. Am Ende verfügen beide Unternehmen – Stichwort Umsatzgenerierung – über besser eingesetzte Maschinenressourcen. Für "außergewöhnlich sinnvoll" befindet die Idee einer solchen Kapazitätenbörse Hemut F. Karner, Gastprofessor an der Donau-Universität Krems und Berater. Denn die Rechnung sei mit Hinblick auf die Anlagenabschreibungen einfach: "Fährt ein Lohnfertiger nur einschichtig, lässt er wegen der zu hohen Anlagenabschreibungen Geld liegen", sagt Karner. Laut Matool böte die Plattform "schnellen Zugang" zu freien Maschinenkapazitäten und "Chancen für neue Geschäftsmöglichkeiten." Ein Schweizer Fertiger hat sich etwa schon registriert, um zusätzliche Kapazitäten in die eigene Fertigung zu kriegen. "Wir sehen großes Potenzial, wenn der Stein erst mal ins Rollen gekommen ist", heißt es in dem Betrieb. Ist die Zeit, in der Fertigungsbetriebe bei einem Maschinenausfall oder anderen Unwägbarkeiten in ein Auftragsdefizit laufen, damit endgültig vorbei?
Alte Idee neu interpretiert
Die Idee von Kapazitätsplattformen gebe es schon länger, "sie haben sich nur nie zur Gänze durchgesetzt", meint Wilfried Sihn, Geschäftsführer des Bereichs Produktions- und Logistikmanagement bei Fraunhofer Austria. Ende der 90er-Jahre wagte ein St. Gallener Technologiemanagement-Institut in der Bodensee-Region den Vorstoß mit einer virtuellen Fabrik. "Damals war die Zeit noch nicht reif für solche Visionen", glaubt Sihn. Heute dagegen falle diese Grundidee im Zuge von Industrie 4.0 und der Digitalisierung der gesamten Lieferkette auf fruchtbareren Boden. "Ich sehe Kapazitätsbörsen als absolut realistisches Szenario an", sagt Sihn. Ein Vorbild für derartige Tauschbörsen sieht Sihn in Tier-One-Zulieferern wie Magna. "Die machen ja auch nichts anderes, als ihren Lieferanten Kapazitäten dort zuzuteilen, wo sie es nicht selber machen wollen oder können", meint Sihn. Mit einem entscheidenden Unterschied. Autozulieferer würden erst einmal tagelang mit ihren Partnern verhandeln. Bei KMU, die an der Globalisierung mitpartizipieren wollen, könnte die Entscheidungsfindung über eine Kapazitätsplattform schneller vonstatten gehen. Die Offenheit für Kooperationen nehme laut Sihn derzeit jedenfalls dramatisch zu: "Das Thema Flexibilität wird ein ganz dramatisches werden", sagt Sihn. Kapazitätsbörsen könnten dabei eine wesentliche Rolle spielen – sofern sie so einfach wie etwa der Onlinemarktplatz willhaben.at handzuhaben sind.
Flexibilität im Maschinenpool
Speziell Mittelständlern sollen sie mehr Flexibilität bringen. Großkonzerne denken ohnedies im großen Maßstab und haben notfalls auch die Mittel dazu, eine optimale Auslastung zu erzwingen: "Sie kaufen ein Unternehmen dazu oder verkaufen notfalls eins", sagt Franz Staberhofer, Leiter des Logistikums Steyr. Für Mittelständler würden sich Fertigungsverbünde schon eher rechnen. Staberhofer sieht die Idee trotzdem skeptisch: Auch er räumt ein, dass das Scheitern früherer Projekte nicht zähle, da digitale Technologie vieles erst ermöglicht habe. Und speziell bei relativ leicht standardisierbaren Spritzgießkapazitäten könne er sich einen Verbund von Lohnspritzern durchaus vorstellen. Bei CNC-Fertigungen sieht er aber Konflikte. "In den meisten Produktionen gibt es so viele Adaptierungen und Sonderfertigungen, dass der Austausch wohl nicht ganz einfach wäre", meint Staberhofer. Und von der Zertifizierung vieler Betriebe – und damit ganz konkret aufkommenden Herausforderungen im Maschinenpool – hat man da noch gar nicht gesprochen.
Marktführer als Treiber
Keine unlösbaren Aufgaben sieht dagegen Berater Hemut F. Karner. Bis auf eine. Das – wie eben offenbar jetzt DMG Mori – Maschinenbauer ihre Furcht vor Stückzahleneinbrüchen durch neue Nutzermodelle ablegen. "Kapazitätenbörsen widersprechen eindeutig der früheren Philosophie von Maschinenherstellern, ausschließlich im Neumaschinenabsatz ihr Heil zu suchen“, sagt er. Regelrecht tabuisiert seien neue Vertriebsmodelle gewesen. Die jetzt an Glaubwürdigkeit gewännen, wie ein Beispiel aus dem Spritzgießbereich zeigt: Immer mehr Betriebe sind Besitzer einer Spritzgussmaschine – "aber nicht ihr Eigentümer", beobachtet Karner. Kapazitätsbörsen würden nun ebenfalls für einen gesunden ökonomischen Ausgleich sorgen, wenn man die ineffiziente Anlagenabschreibung durch nicht optimale Auslastung betrachtet. "Das Missverhältnis von Investition und Produktion wird korrigiert", sagt Karner. Lohnfertiger, die sich an einem solchen Netzwerk beteiligen, könnten profitieren.
Fest steht für Karner übrigens auch, dass die Idee einer solchen Kapazitätenbörse nur von einem Marktführer, wie für den Zerspanungsbereich eben DMG Mori, kommen kann. "Der allein hat die kritische Masse an Maschinen im Feld und kann sich einen langfristigen Aufbau einer solchen Plattform leisten", sagt er. Und dann weiß Karner doch noch möglichen Hemmschuhe für Kapa-Börsen à la Matool: Es gebe immer noch zu viele "Künstler" in der Arbeitsvorbereitung, die in der elektronischen Verplanung der Produktionskapazitäten fehlende Forecasts "durch Zaubern" ersetzen und relativ rückständig seien. Und: Auch mittelständisches Kleinhäuslertum – Karner spricht von"„Schrebergartenmentalität" – könne eine solche Idee entsprechend behindern.
Wandel zum Subunternehmer
Die Meinungen in der Praxis zu Kapazitätenbörsen fallen jedenfalls geteilt aus. Grundsätzlich begrüßenswert findet die Idee Franz Massak, Werkleiter im Kunststoffwerk Banner. "Wir ließen lieber zwei, drei Lose vom Mitbewerber fertigen, als aufgrund eines Engpasses in der eigenen Fertigung Gefahr zu laufen, dass der Kunde ein Werkzeug abzieht", sagt Massak. So etwas könne einem Fertigungsbetrieb durchaus länger nachhängen. Die Zertifizierung wäre für einen kurzentschlossenen Kapazitätentausch seiner Meinung nach kein wirklicher Hinderungsgrund. Das betreffe weniger nachgelagerte Fertiger. Sondern – um beim Beispiel Automobilbau zu bleiben – noch eher Tier-One-Zulieferer. Dass trotz der einfachen Handhabbarkeit per Computer die Mitgliedschaft bei einer Kapazitätenbörse durchaus auch Betreuungsaufwand, etwa des Fertigungspartners, mitbringt, glaubt Massak aber schon. Darum dürfte ein einspringender Fertigungsbetrieb auch nicht weiter als 100 Kilometer vom Banner-Standort entfernt liegen: "Alles andere wäre unrentabel", sagt Massak.
"Unser Volumen richten wir am Endkunden aus – und nicht an möglichen Partnern einer Kapazitätenbörse", meint dagegen der Geschäftsführer eines deutschen Fertigungsbetriebs, der einige DMG-Mori-Maschinen unter Span hat. Er will nicht zum "Subunternehmer" einer anderen Firma werden – und das hat er sich gut überlegt: Vor Jahren schon hat er sich auf einem Online-Marktplatz für Zeichnungsteile umgesehen – seine Erfahrungen waren nach eigener Auskunft nicht die besten.
Andere zogen ein freundlicheres Resümee: Kuka, Sandvik oder Atlas Copco suchten auf der Kapazitätenbörse Techpilot nicht nur den erfolgreichen Abschluss – sie fanden ihn auch.
25 sind es an der Zahl. So viele Logistikdienstleister schlossen sich zum ersten Lagernetzwerk zusammen. Auf der Logistikmesse LogiMAT in Stuttgart stellte der Betreiber LogCoop das Projekt vor: Kerndomäne ist das Bündeln und Vermitteln von Lager- und Kontraktdienstleistungen. Die Verträge werden direkt zwischen Verladern und Mitgliedern geschlossen. Netzwerk-Mitglieder, so die Idee, profitieren dabei nicht nur von zusätzlichen Anfragen und Aufträgen, sondern auch durch den Wissenstransfer innerhalb der Gruppe. Insgesamt verfügen die Partner über 40 Lagerstandorte mit einer Gesamtfläche von 1,4 Millionen Quadratmeter. Diese Kapazität kann über die in Meerbusch beheimatete Netzwerkzentrale angefragt werden. LogCoop Lagernetzwerk beantwortet qualifizierte Anfragen innerhalb von nur 48 Stunden. Damit richtet sich die Leistung an Verlader, die ihre Anfragen, Ausschreibungen und Tender bislang hauptsächlich an große Logistikkonzerne richten. "Wir bieten eine schlagkräftige Alternative, kurze Antwortzeiten sowie moderne Lager- und Kontraktdienstleistungen für sämtliche Anforderungen", betont Marc Possekel, Gründer und Geschäftsführer der neuen Kooperation.
Engpassmanagement
Gesellschafter und Mitglieder des LogCoop Lagernetzwerks sind vorwiegend mittelständische und inhabergeführte Logistikunternehmen mit einem Jahresumsatz von bis zu 250 Millionen Euro. Mit dabei sind Speditionen wie Pfenning, Sievert Spedition und Logistik. Der Mitgliederkreis soll weiter wachsen, denn innerhalb der nächsten fünf Jahre will sich die Kooperation zum größten Anbieter von Lager- und Kontraktdienstleistungen in Deutschland entwickeln und "dabei auch über die deutschen Grenzen hinweg wachsen", erklärt Possekel. Die Mission ist klar: "Bei Lagerengpässen schnell und unkompliziert zu helfen."