Konjunktur : Ist Österreichs Automotive-Branche in Gefahr?

Diese Zahl dürfte es eigentlich nicht geben. 6,6 Prozent stehen bei Österreichs 50 größten Automotive-Unternehmen als kumuliertes Umsatz-Plus für 2015. Zahlreiche Firmen schafften zweistellige Zuwächse. Im Vorjahr sah es ähnlich aus. Und im Jahr davor waren es immerhin vier Prozent. Die Branche befindet sich also in kontinuierlichem Steigflug.
Oder auch nicht. Denn es gibt auch andere Daten. Im Frühjahr 2016 veröffentlichte die ARGE Automotive Zulieferindustrie die dritte Folgestudie zum internationalen Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte. Und die Botschaft ist eine unerfreuliche: Angesichts massiven Strukturwandels, so die Autoren, steigt der Druck auf die Industriebetriebe spürbar. Ein gesunder Industriestandort wäre demnach notwendiger denn je. Doch im internationalen Vergleich fällt Österreich diesbezüglich seit Jahren zurück. Basierend auf den Daten des jährlich erstellten Global Competitiveness Report des World Economic Forum, verliert der Standort Jahr um Jahr an Boden.
„Die gesamtwirtschaftliche Betrachtung unserer Studie ist genauso objektiv wie die Umsatz-Entwicklung der großen Zulieferbetriebe real ist“, sagt Dietmar Schäfer, Vorsitzender der ARGE und Geschäftsführer von ISI Automotive. „Die heimischen Unternehmen behaupten sich tatsächlich noch sehr gut, die Qualität der Firmen und der gesamten Branche ist hoch. Doch die Frage drängt sich auf: Wo könnten wir sein, wären die Standort-Bedingungen besser? Und wollen wir wirklich darauf warten, bis sich das ändert, bis eine Negativspirale einsetzt? Ich halte das für ein sehr gefährliches Spiel.“
Abgerutscht
Und wie erklärt sich die geradezu gegenläufige Umsatz-Entwicklung? Gute Zahlen, meint Herwig Schneider, können leicht die grundlegenden Schwachstellen in einem System überdecken. Der Geschäftsführer des Industriewissenschaftlichen Instituts in Wien, das die Studie für die ARGE erstellte, glaubt, dass viele der großen Zulieferbetriebe auch von der Performance der vergangenen Jahre leben: „Diese Unternehmen haben hohe Summen in Forschung und Entwicklung investiert, sie sind Leitunternehmen in allem, was man unter Industrie 4.0 subsumiert: kluge Produktion, Logistik und Vernetzung. Sie haben in diesem Bereich extrem viel geleistet, und das führt natürlich zu einer guten Performance. Ich habe aber den Verdacht, dass hier in vieler Hinsicht der Plafond erreicht ist.“ Eine leichte Steigerung, und sei es nur eine Seitwärtsbewegung mit Hang nach oben, sei natürlich erfreulich, räumt Schneider ein. Doch das Abrutschen im internationalen Standort-Vergleich sei sehr bedenklich.
„Dass sich die Industrie innerhalb der Grenzen Österreichs so gut hält, ist erfreulich“, meint auch Dietmar Schäfer, „doch wir stehen im globalen Wettbewerb, und an den Grenzen geht es ja erst richtig los.“
„Kein stringentes Standort-Management“
Profitiert haben die österreichischen Zulieferer im Vorjahr wohl auch vom Geschäftsverlauf der OEM. Während die Emerging Markets schwächelten, verlief die Kurve der Autoverkäufe in der EU – und im für die heimischen Zulieferer wichtigen Deutschland – leicht nach oben. „In fast allen Bereichen gab es mehr Kfz-Verkäufe, aber das ist natürlich nur die kurzfristige Sicht“, befürchtet Horst Bernegger, Geschäftsführer der PwC Salzburg. „Standortprobleme aber sind langfristige Probleme, schlagen sich also in aktuellen Umsatzentwicklungen noch nicht zwingend nieder.“ In der von Hybridität geprägten heimischen Branche unterscheidet Bernegger zwei grundlegende Typen von Zulieferern: auf der einen Seite die „Prozess-Optimierer“, die sich auf einige wenige oder sogar nur ein Produkt konzentrieren, dessen Produktion aber längst perfekt beherrschen. Die in diesem Bereich ohnehin knappen Margen sieht er weiter unter Druck geraten.
Auf der anderen Seite: die Innovatoren, die permanent Patente in den Markt bringen und die technologischen Umbrüche befördern. Gute Karten, meint Horst Bernegger, haben sie nicht zuletzt angesichts des Charakters des Branchen-Strukturwandels: „Ich bin sicher, dass der Wettbewerb um den Kundennutzen immer stärker über die Digitalisierung gehen wird. Dieser Bereich ist also ein relativ neues, aber vor allem hochinteressantes Thema auch für die österreichischen Zulieferbetriebe. Klar ist aber auch, dass hier plötzlich völlig neue Anforderungen an die Lebenszyklen entstehen. Und das macht natürlich Sorgen, auch wenn die Umsätze aktuell gut sind.“
Die für Innovation notwendige Unterstützung durch einen starke Standort sieht Bernegger im Bereich der Innovationsförderung durchaus gegeben – „Hier ist Österreich eigentlich gut aufgestellt.“ Probleme sieht er eher in der Verfügbarkeit junger, bestens ausgebildeter Techniker, aber auch in der „extremen Bürokratisierung Österreichs, die ein echtes Hemmnis für jede Form technologischer Erneuerung ist“.
Dietmar Schäfer fallen darüber hinaus noch viele Wünsche seitens der Industrie ein – „nehmen Sie alleine die abenteuerliche Lohnnebenkosten-Thematik“ – doch seine Kritik will er nicht auf einzelne Punkte herunterbrechen: „Die Politik muss sich dringend die Frage stellen, was eigentlich die KPIs unseres Staates sind. Jedes Unternehmen der Welt agiert so, warum nicht der Staat? Ich sehe ganz einfach kein stringentes Standort-Management.“
Lösung Hybrid-Modell?
Und ausgerechnet die viel gepriesene Hybrid-Strategie zahlreicher österreichischer Automotive-Unternehmen bereitet IWI-Chef Herwig Schneider zusätzliches Kopfzerbrechen: „Diese traditionelle Strategie kann in meinen Augen auch zu einer zu geringen Investitionsdynamik im Automotive-Bereich führen. Derzeit ist es meines Erachtens wirklich schwierig, klug zu investieren.“
Viele Parameter also, die ihm Sorge bereiten. Und während seiner Meinung nach in den Krisenjahren ab 2007 in der Bevölkerung durchaus so etwas wie eine verstärkte „Industriegesinnung“ erwacht sei, fragten sich angesichts guter Umsatzentwicklungen nun wieder viele Menschen, worüber die Industrie denn eigentlich raunze. Einen ähnlichen Effekt könnte auch die allgegenwärtige Diskussion über Industrie 4.0 haben: „Smart Services sind wichtig und faszinierend“, sagt Horst Bernegger, „aber wir werden weiterhin Produzenten brauchen. Konservative Produktion in moderner Weise gerät in meinen Augen unter Druck. Und das halte ich für sehr gefährlich.“