Wer ist der Inder, der Thyssenkrupp kaufen will? I INDUSTRIEMAGAZIN

Wer ist eigentlich Naveen Jindal? Diese Frage stellten sich vergangene Woche wohl etliche Aufsichtsräte und Gewerkschafter von Thyssenkrupp. 

Der Sohn des Firmengründers O.P. Jindal leitet die Stahl-Sparte eines Energie- und Baustoffimperiums, das seine Familie zur drittreichsten Indiens gemacht hat – mit rund 40 Milliarden Euro Vermögen, also in der Größenordnung des Bruttoinlandsprodukts von Kroatien.
Das Zurschau-Stellen ihres enormen Reichtums ist den Jindals fremd.

Seinen Stahlkonzern hat der Mann der schon mal mit kleinem Auto vorfährt in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem der größten Produzenten des Landes geschmiedet. Wirklich berühmt wurde er in Indien aber weniger am Hochofen als vor dem Höchstgericht: Mehr als zehn Jahre lang stritt Jindal darum, die Nationalflagge nicht nur an Feiertagen hissen zu dürfen. 2004 gab der Supreme Court ihm recht – seither gilt er als Ikone für Patriotismus und Bürgerrechte. 

Auch politisch hat Jindal Flagge gezeigt: Zehn Jahre lang saß er für die traditionsreiche Kongresspartei der Gandhi-Dynastie im Parlament. 2024 wechselte er dann die Farben zur BJP von Premierminister Modi – und schaffte prompt sein Comeback im Parlament. Derzeit tritt Jindal vor allem als Unternehmer mit großen Expansionsplänen auf: In indischen Medien wird das Übernahme-Offert für Thyssenkrupp Steel als sein persönliches Herzensprojekt gehandelt.

Was verspricht sich Jindal von Thyssenkrupp?
Im Gegensatz zum deutschen Traditionskonzern hat Jindal bisher kaum Erfahrung im Premiumsegment. Hochfeste Spezialstähle für die Auto- oder Luftfahrtindustrie fehlen im Portfolio. Die Stärke der Inder liegt im Volumengeschäft: Im unteren Segment, mit Baustahl für Straßen und Brücken oder im mittleren Segment mit Edelstahl für Konsumgüter – oder Schienenstahl.

Doch Jindal will höher hinaus: Ins Premiumgeschäft und in den Markt für grünen Stahl. Im indischen Hisar läuft bereits eine Pilotanlage für Wasserstoffstahl - und im Oman soll bis 2028 eine Direktreduktionsanlage entstehen, die Vormaterialien für Grünen Stahl – und, so die Phantasie: möglicherweise gleich direkt für Duisburg – produziert. 

Insgesamt beschäftigt Jindal rund 20.000 Mitarbeiter und produziert rund 20 Mio. Tonnen Rohstahl pro Jahr.  Das ist fast doppelt so viel wie Thyssenkrupp Steel Europe mit seinen 27.000 Mitarbeitern. Vom Umsatz her läge das Schwergewicht bei einer Übernahme allerdings in Zukunft eindeutig in Europa. Jindal erwirtschaftete zuletzt einen Umsatz von rund 6 Milliarden Euro – Thyssenkrupp Steel Europe liegt bei fast 11 Milliarden.

Was verspricht sich Thyssenkrupp vom Einstieg Jindals?  


Formal, zumindest wenn es um den Umsatz geht, wäre eine Übernahme durch die Inder ein klarer Fall von „klein kauft groß“ – doch bei der Rentabilität  kippt das Bild:  Nach zwei Milliarden Verlust im Jahr 2023 schrieb die Stahlsparte von Thyssenkrupp im letzten Jahr 1,5 Milliarden Verlust. Die Stahlsparte gilt für den Thyssenkrupp-Konzern als Unsanierbar. 

Jindal schrieb im Vorjahr einen Gewinn – auch wenn er laut indischen Medien nur 30 Millionen Euro nach Steuern betrug. Aber viel Geld muss Jindal für den Kauf von Thyssenkrupp ohnehin nicht in die Hand nehmen: Thyssenkrupp müsste jeden Verkauf mit Kapital abpolstern – für milliardenschwere Pensionslasten und zumindest große Teile des überfälligen Maschinenparks. Im Gegenzug sollen, so heißt es, die Inder ein Zukunftskonzept in Aussicht stellen: Investitionen in grünen Stahl, Beschäftigungsgarantien und Standorttreue.

Thyssenkrupp öffnet in den nächsten Wochen die Bücher für Jindal – bis Januar könnte er auf Basis der Zahlen ein verbindliches Angebot vorlegen. Ganz fremd sind ihm die Kostenstrukturen der Duisburger allerdings nicht: Schon vor zwei Jahren war er als Käufer im Gespräch. Damals reiste Jindal persönlich nach Duisburg – und winkte anschließend ab, wie das Handelsblatt damals berichtete. 

Vom Fahnenstreit zum Stahl-Deal – Naveen Jindal hat bewiesen, dass er hartnäckig an Herzensprojekten festhält. Ob ihm mit Thyssenkrupp der Sprung vom indischen Volumenanbieter zum europäischen Premiumproduzenten gelingt, entscheiden am Ende Aufsichtsrat, Gewerkschaften – und womöglich auch die Politik. 

Denn für Deutschland und Europa stellt sich die Frage, ob man ein Herzstück einer strategischen Schlüsselindustrie einem Player aus Übersee überlässt. In Zeiten von Handelskonflikten und wachsenden geopolitischen Rivalitäten ist das längst nicht nur eine wirtschaftliche, sondern eine strategische Entscheidung.