Milliarden-Deal: Warum Infineon mit Marvell-Technologie die Datenautobahn erobern MUSS
Autos – und damit auch die Autoproduktion – haben sich in den letzten 140 Jahren immer wieder neu erfunden. Begonnen hat alles im 19. Jahrhundert mit der mechanischen Ära: Innovation lag in Motorentechnik, Karosserie, Fahrwerk. Das Auto – ein Meisterwerk der Ingenieurskunst.
Mechatronische Ära (1980er–2000er)
In den 80ern hielt die Elektronik Einzug. ABS, Airbags, Motorsteuergeräte. Fahrzeuge wurden „softwareunterstützt“. Die Software? Damals nur Beifahrer.
Vernetzte, elektronische Ära (2010er–heute)
In den 2010ern startete die vernetzte Ära: Bis zu hundert Minicomputer – sogenannte Steuergeräte – kontrollieren heute jede Funktion: Antrieb, Sicherheit, Infotainment. Doch die Software ist noch fragmentiert, verteilt auf Inseln in allen Ecken des Fahrzeugs.
Softwaredefinierte Ära (beginnt jetzt)
Mit dem softwaredefinierten Auto ändert sich das grundlegend: Funktionen entstehen künftig durch Software, nicht durch zusätzliche Hardwaremodule. Updates „over the air“ – wie beim Smartphone. Und: neue Geschäftsmodelle wie Abos oder Features on Demand.
Von Grund auf neu gedacht wird dabei der elektronische Aufbau im Auto. Statt eines Wildwuchses von hundert Steuergeräten übernehmen wenige Zonencontroller und ein bis zwei Hochleistungsrechner die Steuerung.
Es sind vor allem die Autobauer selbst die mit Hochdruck an der Zonen-Architektur schrauben. Warum? Um Kosten, Gewicht und Komplexität zu senken – aber vor allem: Weil die Hersteller damit die Kontrolle über das „Betriebssystem Auto“ zurückhaben wollen.
Tesla hat den Startschuss gegeben: Der FSD-Computer ersetzt dort längst Dutzende ECUs. Die Deutschen ziehen nach: VW mit Cariad, Mercedes mit MB.OS, BMW mit der Neuen Klasse – alle zonal gedacht.
Schlag für das Infineon-Geschäftsmodell
Um bis zu 85 Prozent weniger Chips werden zukünftig in den neuen Architekturen der Autohersteller verbaut. Die softwarebasierte Auto-Architektur ist damit ein frontaler Schlag auf das bisherige Geschäftsmodell von Infineon.
Denn das beträchtliche Volumensgeschäft von Infineon gerät damit stark unter Druck. Ein Faktum, das Infineon CEO Jochen Hahnebeck mit Sicherheit schon länger schlaflose Nächte bereitet.
Zwar sind die neuen Controller leistungsfähiger und teurer, was einen großen Teil des Umsatzrückganges wettmachen dürfte. Doch die neuen zonalen Steuergeräte brauchen viel leistungsfähigere Chips – und das zieht neue Mitbewerber unter den globalen Halbleiter-Giganten ins Spiel. Die Machtverhältnisse im Auto-Chip-Markt könnten damit sich völlig neu sortieren. Und der Kuchen neu verteilt werden.
Die Mitbewerber von Infineon sind jedenfalls hungrig. Die weltweite Nummer Zwei, NXP hat sich zuletzt sehr offensiv gezeigt: Mit einigen großen Zukäufen im Zonen-Controlling wollen die Holländer jetzt Hardware und ein Software-Ökosystem anbieten und als Systemarchitekt, nicht nur Lieferant gelten.Tech-Giganten wie NVIDIA oder Qualcomm, die nicht zur „alten Auto-Zulieferwelt gehören“ werden ins Auto gezogen.
NVIDIA, dessen Plattform Mercedes oder Range Rover mittlerweile Basis für ihr gesamtes Fahrzeugbetriebssystem verwenden, liefert immer erfolgreicher Chips im High-End-Performance-Bereich. Auch deshalb greift Infineon-Boss Hahnebeck tief in die Tasche: Für 2,5 Milliarden Dollar in bar hat er im August den Ethernet-Bereich von Marvell übernommen.
Eine kleine Einheit mit nur ein paar Hundert Leuten, und bisher einem Umsatz in der Größenordnung von einer viertel Milliarde Dollar – was einem zehntel des Kaufpreises entspricht. Aber eine Einheit mit einer Schlüsselrolle: Sie ist führender Hersteller von Komponenten, mit denen sich Daten innerhalb von Fahrzeugen übertragen lassen.
Die Idee Hahnebecks: Für die Zonenarchitektur unverzichtbar ist es, dass die wenigen Zonencontroller ihre Daten verlässlich aus „ihrem Bereich“ via Ethernet ins Fahrzeugnetz einspeisen. Und Infineon soll in Zukunft die Datenautobahn dazu liefern.
Maue Geschäftslage
Die Geschäftslage bei Infineon ist derzeit alles andere als rosig. Weder der Elektro-Boom noch das softwaredefinierte Auto sorgen für Rückenwind. Im Gegenteil: Der Auftragsbestand ist binnen eines Jahres um vier Milliarden Euro geschrumpft – auf jetzt 18 Milliarden.
Das Autogeschäft schwächelt: Die Erlöse sanken zuletzt um drei Prozent auf knapp 1,9 Milliarden Euro, und die operative Marge gab um sechs Punkte nach – und liegt mit fast 20 Prozent deutlich unter den versprochenen 25 Prozent.
Infineon will in Zukunft also nicht länger nur den Strom im Auto lenken, sondern auch den Datenverkehr. Ob der Milliarden-Deal mit Marvell am Ende zur Überholspur oder zur Sackgasse im Geschäftsmodell wird – das entscheidet nicht allein München, sondern vor allem die Frage, wer am Ende das Betriebssystem Auto beherrscht.