KTM-Eigentümer Bajaj: „Die Industrie in Europa ist tot. Und die Autoindustrie hat das längst verstanden“
Es ist ein Interview, das für Aufsehen sorgt – und dessen Nachhall bis nach Mattighofen reicht. Mitte August trat Rajiv Bajaj, Mehrheitseigentümer der indischen Bajaj-Gruppe und nun dominierender Eigentümer der KTM-Gruppe, vor die Kameras des indischen Ablegers des Wirtschaftssenders CNBC. Mit einer Offenheit und Direktheit, die in Europa kaum vorstellbar wäre, skizzierte er seine Sicht auf die Zukunft der Industrie in Europa.
Zur Erinnerung: Noch im Frühjahr war KTM ohne den Einstieg Bajajs akut gefährdet. Der damalige Minderheitseigner verhinderte mit einer Kapitalspritze von 800 Millionen Euro den Kollaps der österreichischen Kultmarke. Seit gut einem Monat laufen in Mattighofen die Bänder wieder – allerdings nur im Einschichtbetrieb.
Rund zehntausend Stück der LC4-, Motocross und Enduro-Modelle sollen im ersten Monat der Produktion, im August gefertigt worden sein. Doch die Fragezeichen mehren sich. Und Bajajs Auftritt hat die Befürchtungen, dass Produktion abwandern könnte nicht gedämpft – im Gegenteil.
Denn in dem Interview äussert sich Bajaj drastisch zum Produktionsstandort in Europa – und zur Kostenstruktur bei KTM in Mattighofen.
Die Produktion in Europa ist tot, so Bajaj im Interivew. Die europäischen Automobilhersteller hätten das längst verstanden, allerdings seien sie poiltisch und auch aus sozialen und politischen Gründen gezwungen, nicht die gesamte Produktion nach Asien zu verlegen. Der eher allgemeinen Aussage zum Produktionsstandort ließ er ein konkretes Beispiel folgen:
Der britische Motorradhersteller Triumph, ein Kooperationspartner von Bajaj, habe schon vor 15 Jahren die gesamte Fertigung nach Thailand verlagert und produziere mittlerweile auch in Indien. Wenn Triumph das vor 15 Jahren machen konnte, warum prinzipiell nicht auch KTM? – so die rhetorische Frage von Bajaj.
Bei KTM beeilt man sich zu betonen, dass es derzeit keine Pläne gibt, Teile der Produktion ins Ausland zu verlagern. CEO Gottfried Neumeister reiste mit seinem Management-Team Ende Juli – unmittelbar vor dem Neustart in Mattighofen – in die Bajaj-Zentrale nach Pune. Dort dürfte neben dem Produktionshochlauf vor allem ein Thema auf der Agenda gestanden haben: die hohen Kosten.
Tatsächlich arbeitet das neue KTM-Management offenbar derzeit an einem umfassenden Kostensenkungsprogramm bei dem es vor allem um die Materialkosten gehen soll – ein schlechtes Omen für die mehr als 500 Vorlieferanten des Unternehmens, von denen viele schon durch den Forderungsverzicht im Rahmen der Insolvenz schwer getroffen wurden.
Branchenkenner vermuten zudem, dass einzelne neue Modelle künftig nicht mehr im Innviertel, sondern in Indien gefertigt werden könnten – was zumindest keine Schlagartige Reduktion der Belegschaft bedeuten würde.
Der Plan Neumeisters, KTM wieder auf gesunde Füße zu stellen, sieht vor allem vor, sich stärker auf die drei Marken KTM, Husqvarna und GasGas zu konzentrieren.
Das ist eine leichte Übung, denn große Teile des restlichen Geschäftes – von der Kult-Motorradmarke MV Agusta über das Fahrradgeschäft bis zur KTM Sportcar Gruppe wurden im Zuge der Insolvenz ohnehin verkauft.
Für KTM Sportcar gibt es übrigens seit wenigen Tagen einen neuen Eigentümer: Der weltgrößte Brauereikonzern Anheuser-Busch hat sich für 16 Millionen Euro die Marke sowie eine Immobilie in Graz gesichtert.
Der Sitz des Autobauers wandert von Mattighofen nach Graz, wo die zweisitzigen Sportwagen-Modelle seit 2008 in Kleinserie gefertigt werden. Bis heute hat KTM rund 1700 Fahrzeuge ausgeliefert – davon 80 Prozent in Straßenversion. Pro Jahr verlassen rund 100 Einheiten die Grazer Fabrik.
Ob dem KTM-Standort Mattighofen ein ähnliches Schicksal droht wie Triumphs Werk in Hinkley, das Rajiv Bajaj in seinem CNBC-Interview als Beispiel nannte, ist offen. Klar ist: Triumph hat wesentliche Teile der Entwicklung, des Designs und der Komponentenfertigung in Großbritannien behalten. Und obwohl die Produktion längst nach Thailand – dem „Detroit Asiens“ für Motorräder – verlagert wurde, blieb die Marke in der Wahrnehmung fest mit britischer Heritage verbunden.
KTM dagegen lebt von seiner Nähe zum Rennsport, von Offroad-Exzellenz und vom Premium-Engineering – und damit auch stark von seiner „Made in Austria“-Aura.
Eine umfassende Verlagerung nach Indien könnte dieses Image gerade in den Kernmärkten Europa und USA empfindlich beschädigen.