Der Absturz der Russischen Autoindustrie: Vom deutschen Traum zum chinesischen Standard
Die Eröffnung des Volkswagen-Motorenwerks in Kaluga im Jahr 2015 war der Stolz der deutsch-russischen Partnerschaft. Aus einem Montagewerk in dem seit Beginn der 2000er Jahre importierte Bausätze von Passat, Jetta und Tiguan zusammengeschraubt werden, sollte eine Fabrik mit echter Wertschöfungstiefe werden - die erste Motorenfertigung eines westlichen Herstellers in Russland überhaupt.
Ein Symbol für Vertrauen und Integration. Doch schon bei der Eröffnung der über drei Jahre zuvor geplanten Fabrik lag ein Schatten über der Freundschaft: die Annexion der Krim 2014.
Erst seit wenigen Wochen herrscht im Werk in Kaluga wieder so etwas wie Betriebsamkeit. Nach fast drei Jahren Stillstand läuft hier endlich wieder soetwas wie Produktion – doch statt Volkswagen entstehen hier nun Omoda-Modelle aus chinesischen Bausätzen. Avilon, der neue Eigentümer, hat das Werk für einen symbolischen Preis übernommen. Noch heuer soll dort zusätzlich die Marke Tenet anlaufen, ein Joint Venture mit dem chinesischen Hersteller Chery.
Kaluga steht damit sinnbildlich für den Zustand der russischen Autoindustrie: Vom westlichen Vorzeigeprojekt zum über weite Teile Stillstehenden Schraubplatz chinesischer Importkits.
ABSTURZ UND SCHEIN-ERHOLUNG
Nach dem Februar 2022 brach die russische Autoproduktion dramatisch ein. Wurden 2021 noch 1,35 Millionen Fahrzeugen produziert, so waren es im ersten Kriegsjahr 2022 nur 450.000 Stück. Ein Minus von zwei Dritteln, nachdem der russischen Industrie die Lieferketten und das Know How der westlichen Automarken abhanden gekommen ist.
2023 kam eine leichte Erholung, 2024 sogar ein kräftiges Plus von 48 Prozent auf 750.000 Autos. Doch selbst dieser Aufschwung liegt noch fast 45 Prozent unter Vorkriegsniveau. Für 2025 erwarten russische Auto-Experten einen deutlichen Einbruch in der Produktion. Doch dazu später.
MOSKAU: MOSKVICH STATT RENAULT
Weniger trist als in Kaluga war in den letzten Jahren die Stimmung im Moskauer Moskvich-Werk. Hier rollen schon bald nach Kriegsbeginn 2022 wieder Autos vom Band – offiziell als Wiedergeburt einer sowjetischen Traditionsmarke.
Die Umbenennung des Werkes, das einst von Renault gebaut wurde, wurde offiziell zelebriert. Gebaut wird in Moskau der Moskwitsch 3, auf Basis chinesischer Automodelle wie dem JAC Sehol E40X – technisch nahezu unverändert, nur mit russischem Logo. Die Fertigung entspricht dabei im Wesentlichen einer Semi-Knocked-Down-Montage: Karosserie und Antrieb kommen fix und fertig aus China, in Moskau werden sie lediglich zusammengesetzt.
TOLJATTI: KRISE IM „DETROIT RUSSLANDS“
Das Herz der russischen Autoindustrie schlägt noch immer in Tojatti an der Wolga. Das Detroit Russlands, in dem der russische Autokonzern AvtoVAZ das größte Autowerk Europas betreibt, hat nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine einen wahren Boom erlebt.
Zwar stand auch der Hersteller der legendären Marke Lada nach Kriegsbeginn vor massiven Herausforderungen: Mit dem Krieg ging dem Konzern der Miteigentümer Renault und seine Lieferketten verloren. Die Lada-Produktion brach fast völlig zusammen.
Doch der Konzern brachte die Lada-Produktion schrittweise zurück, mit vereinfachten Modellen (ohne Airbags, ABS oder Automatikgetriebe) – und profitierte massiv davon, dass fast alle westlichen Mitbewerber vom Markt gefegt waren. Im Vorjahr wurden fast 436.000 Stück der Kultmarke verkauft – mit 28% Marktanteil ist Lada absoluter Marktführer.
Doch hier in Toljatti wird auch die tiefe Krise, in der sich die Branche befindet, am sichtbarsten: Ab Ende September eine Vier- statt Fünftagewoche eingeführt werden. Damit drohen Lohnkürzungen von 20 Prozent. Die Kurzarbeit ist noch nicht endgültig beschlossen, aber allein die Diskussion zeigt die angespannte Lage.
DER KATER NACH DEM „SUGAR-HIGH“
Denn die Automobil-Nachfrage ist in den letzten Monaten massiv eingebrochen. Von einem Rückgang von bis zu 25% auf Jahressicht berichten lokale Medien. Der Grund: Nach den Boom-Jahren der Kriegswirtschaft in den Jahren 2023 und 2024, in denen durch hohe Rüstungsausgaben und Transferzahlungen die Industrieproduktion, die Löhne – und damit auch der Konsum stark angestiegen sind, zeigen sich jetzt die Schattenseiten. Das Mega-Konjunkturpaket heizt die Inflation an, ein Leitzinsssatz von 18-20 Prozent würgt Investitionen außerhalb der Kriegswirtschaft ab und dämpft den Konsum.
Für den Automarkt am bedeutsamsten sind die hohen Zinsen: Autokäufe laufen in Russland traditionell stark über Kredite – mit Zinssätzen über 15 Prozent wird die Finanzierungen trotz starker Lohnsteigerungen schlicht unerschwinglich.
DIE CHINA-WALZE
Gleichzeitig dominieren die Chinesen den Markt. Von den rund 1,57 Millionen verkauften Neuwagen 2024 stammten nur 28 Prozent aus russischer Produktion, fast ausschließlich Lada.
62 Prozent kamen von Marken wie Haval, Chery, Geely oder Changan. Produziert großteils - und stärker als vor dem Krieg die westlichen Marken – im Ausland.
Die Chinesen liefern eine breite Palette, füllen die Lücken in den Showrooms, bauen eigene Kreditangebote auf und expandieren aggressiv im Vertrieb. Aus der „Notlösung“ nach dem Abzug des Westens ist der neue Standard geworden.
ZOLL-HAMMER UND „RECYCLINGGEBÜHR“
Hohe Zölle und zusätzliche, so genannte Recyclinggebühren, die bis zu 7000 Euro für ein einzelnes Import-Fahrzeug ausmachen können, sollen den russischen Heimmarkt zumindest ein wenig schützen. Der schwache Rubel verteuert das vorwiegend chinesische Angebot zusätzlich.
Ein Beispiel: Der Hyundai Solaris, produziert einst im Hyundai Werk in St. Petersburg, kostete 2021 noch unter einer Million Rubel, also rund 10.000 Euro. Heute ist ein vergleichbarer Chery Tiggo um mehr als das Doppelte, ab zwei Millionen zu haben – größere Modelle sind mit drei bis fünf Millionen Rubel ein Vielfaches teurer.
Kaluga, Moskau, Toljatti. Drei Werke, drei Schicksale – sie stehen für den Zustand der russischen Autoindustrie. Und sie sind zugleich ein Spiegelbild des Landes: abhängig, eingeschränkt, teuer – und immer stärker im Schatten Chinas.