Chaostage bei ZF Friedrichshafen: Der Autozulieferer am Abgrund – und jetzt? | INDUSTRIEMAGAZIN
Friedrichshafen – eine Stadt am Bodensee, weltbekannt für Luftschiffe, Ingenieurskunst und für den Autozulieferer ZF. Doch statt Erfolgsgeschichten schreibt der Konzern heute Schlagzeilen über Krise, Proteste und Führungschaos.
Mitten in den entscheidenden Gesprächen über einen massiven Stellenabbau die überraschende Wendung: Der Vorstandschef Holger Klein muss gehen – mit sofortiger Wirkung. Und auch der Chef der Nutzfahrzeugsparte, der immer wieder als Nachfolger von Klein gehandelt wurde, Peter Laier, verliert seinen Posten.
Für den Konzern, der über 160.000 Menschen beschäftigt und weltweit auf Platz zwei der größten Zulieferer steht, ist das ein Erdbeben. Jetzt übernimmt ein neuer Mann – mitten im Sturm. Die Frage: Ist das die Rettung oder der Beginn des Niedergangs?
Der lange Schatten der Übernahmen
Um zu verstehen, was bei ZF passiert, lohnt sich ein Blick auf das, was ZF eigentlich ist. ZF – das steht für Zahnradfabrik Friedrichshafen, gegründet 1915. Ursprünglich für Getriebe von Luftschiffen.
Heute liefert der Konzern alles, was ein Auto bewegt und sicher macht: Getriebe, Fahrwerke, Lenkungen, Airbags, Elektronik. Von der Kupplung bis zum autonomen Fahrassistenzsystem.
ZF ist kein Nischenanbieter – sondern ein Riese mit Kunden von Volkswagen über Daimler bis Tesla. Und ZF ist, mit einem Umsatz von 41 Milliarden Euro, der zweitgrößte Automobilzulieferer der Erde.
Zum globalen Giganten geworden ist ZF im letzten Jahrzehnt: Für 12 Milliarden Dollar hat der Vor-Vorgänger von Peter Klein, Stefan Sommer, im Jahr 2015 den US-Zulieferer TRW übernommen.
Damit erweiterte das Unternehmen das Portfolio in Bereichen wie Sicherheitssysteme, Fahrerassistenz, Brems- und Fahrassistenzsysteme und um den amerikanischen Markt.
Der Vorgänger Holger Kleins, Wolf-Henning Schneider fädelte eine weitere Mega-Überahme ein: Wabco, Bremsensysteme für LKWs, für 7 Milliarden Euro.
Die Strategie: ZF sollte ein Global Player werden, fast so mächtig wie Bosch. Die Folge: ein Schuldenberg von über zehn Milliarden Euro. Das bedeutet heute: jedes Jahr rund eine halbe Milliarde Euro allein für Zinsen. Ein Geldstrom, der fehlt, um zu investieren – in Elektromobilität, Digitalisierung, Innovation.
Der Sparkurs und seine Grenzen
Um der Schuldenlast, die seine Vorgänger dem Unternehmen aufgebürdet haben, abzubauen setzte Holger Klein 2023 ein ambitioniertes Sparprogramm durch: sechs Milliarden Euro an Ausgaben sollen bis Ende 2025 gekürzt werden: Harte Neuverhandlungen mit Vorlieferanten, gestrichene Entwicklungsprojekte, Personalabbau in der Verwaltung und Zurückhaltung bei neuen Investitionen: Mit aktuellem Stand sind 5,8 der geplanten 6 Millliarden geschafft.
Doch trotzdem rutscht der Konzern weiter ins Minus: Denn die Umsatzverluste seit 2023 sind größer als gedacht und fressen große Teile des Sparpakets, das eigentlich zum Schuldenabbau dienen hätte sollen. Im ersten Halbjahr 2025 alleine: ein Minus fast 200 Millionen Euro.
ZF spart sich klein – aber kauft sich damit keine Zukunft.
Besonders kritisch ist die Lage in der sogenannten Division E. Das ist die Antriebssparte – das Herzstück von ZF. Hier entstehen Getriebe für Verbrenner, für Hybride, für Elektroautos.
Doch dieses Herz pumpt unregelmäßig: Bei Elektroautos kommt die Nachfrage langsamer als gedacht. Klassische Getriebe lohnen kaum noch. Und jahrelang nahm man Aufträge an, die nicht einmal die Kosten deckten – Hauptsache, das Volumen stimmte.
Vorstandschef Klein wollte deshalb eine radikale Lösung: die Ausgliederung der Sparte. Der Betriebsrat blockierte, doch Ende Juli setzte sich Klein durch: ZF soll Motoren und Inverter künftig nicht mehr selbst bauen. Für viele Mitarbeiter klingt das nach Ausverkauf. Und es trifft ausgerechnet die Einheit, die ZF immer als Zukunftskern sah.
Der Sturz von Holger Klein
Holger Klein, 55, erst im Jahr 2023 zum Vorstandschef ernannt, sollte ZF sanieren. Doch er wirkte oft wie ein Fremdkörper. McKinsey-Methoden, Beraterprojekte, gescheiterte Vorhaben wie eine Chipfabrik im Saarland. Und ein Sparkurs, der für die Mitarbeiter eher nach Kahlschlag als nach Zukunftsstrategie klang.
Wenige Stunden vor seinem Abgang traf er bei der Eröffnung der IAA noch auf den deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz. Klein appellierte: bessere Rahmenbedingungen, sonst koste das Arbeitsplätze. Wenige Stunden später war er selbst seinen Job los.
Offiziell im ‚gegenseitigen Einvernehmen“: In Wahrheit war der Druck zu groß – von Aufsichtsrat, Betriebsrat und Belegschaft. Auch Nutzfahrzeug-Chef Peter Laier muss gehen. Ein Manager mit Ambitionen – und mit Rivalität zu Holger Klein. Ihr Verhältnis galt als angespannt.
Viele sahen in Laier den logischen Nachfolger. Doch am Ende sind beide Geschichte – eine gesichtswahrende Lösung, die aber eine große Lücke reißt.
Kann Miedreich es richten?
Jetzt übernimmt Mathias Miedreich. 50 Jahre alt und erst seit Januar bei ZF. Er leitete in den letzten acht Monaten die Division E. Die Antriebssparte – das stotternde Herzstück von ZF.
Bis ins Vorjahr war er CEO beim Batterierecycler Umicore, davor Stationen beim Autozulieferer Faurecia, bei Continental und Siemens. Kein Unbekannter in der Branche, aber ein Neuling bei ZF.
Sein Ziel ist klar: Die Division E soll wieder Gewinn bringen. Mit oder ohne Partner – wie er sagt. Ein so genannter Rampdown, also ein Einstellen der Antriebssparte, wie es einst auch im Gespräch war dürfte mit ihm nicht in Frage kommen.
Die Frage ist: Kann er in kürzester Zeit das Vertrauen von Belegschaft, Kunden und Politik gewinnen?
ZF ist kein Einzelfall. Die gesamte deutsche Zulieferbranche steht unter Druck. Bosch, Continental, Schaeffler – sie alle leiden unter Auftragsflauten und sinkender Fahrzeugproduktion. Dazu der globale Wettbewerb: chinesische Hersteller drängen mit Billigpreisen und staatlicher Unterstützung auf den Markt.
Für deutsche Zulieferer ist das eine doppelte Bedrohung: Sie verlieren Volumen in China – und müssen gleichzeitig dort gegen subventionierte Konkurrenz bestehen.
ZF ist damit ein Brennglas für die gesamte Branche: Wie gelingt der Spagat zwischen Schuldenlast, Transformation und globalem Preisdruck? Das Schicksal von ZF entscheidet mit über die Zukunft der ganzen deutschen Automobilindustrie. Denn wenn ein Gigant wie ZF ins Straucheln gerät ist in Autodeutschland niemand mehr sicher.