Operation Lopez: Der große Ausverkauf bei Thyssenkrupp

Die neue Warmbandstraße im Stahlwerk in Duisburg-Bruckhausen – fast eine Milliarde Euro schwer, glüht wie ein Monument aus einer Zeit, in der Stahl noch die große Zukunft versprach. Doch hier schlägt heute das Sorgenherz von Thyssenkrupp.

Mit rund 27.000 Mitarbeitern ist die Stahlsparte des Essener Konzerns einer der größten Produzenten Europas. Doch man leidet,  wie die europäische Konkurrenz, unter Nachfrageeinbruch, Billigimporten aus China und Indien – und hohen Energiekosten, die eine Produktion immer unrentabler macht. Die teure Umstellung auf klimafreundliche Produktion – allein die Wasserstoffanlage in Duisburg kostet drei Milliarden Euro – tut ihr übriges.

Auch deshalb will der CEO von Thyssenkrupp, Miguel López den Konzern radikal umbauen. Zerlegen, neu zusammensetzen, einiges verkaufen. Eine Operation am offenen Herzen des Konzerns. Von seinen Eigentümern hat er dafür gerade grünes Licht bekommen – samt Vertragsverlängerung bis 2029.

Stahl, Automotive, Marine und die Grüne Hoffnung im Konzern, das Dekarbonisierungs-Geschäft – keine Sparte bleibt von Verkaufsplänen verschont. 

Die Rettung für den schwierigsten Teil – die Stahlsparte – soll Daniel Křetínský heissen. Er ist schon im Jahr 2023 mit 20 Prozent in die Stahlproduktion von Thyssenkrupp eingestiegen. Nun soll ein 50:50-Joint Venture zwischen Kretynskis EPCG Holding und der Thyssenkrupp AG entstehen. 

Für den reichsten Mann Tschechiens, der rund um Handelsunternehmen wie Metro sowie Energieunternehmen ein Milliardenimperium erschaffen hat, ist das Stahlgeschäft ein strategisches Investment. Eine Schlüsselindustrie im wichtigsten EU-Land, die nach der Transformation wieder an Wert gewinnen dürfte. Für Thyssenkrupp besteht immerhin die Hoffnung auf Synergien bei der Energieversorgung. 

Doch niemand schließt aus, dass die Mehrheit an Thyssenkrupp Steel  irgendwann auch noch nach Prag wandern könnte. Strittig ist derzeit nur noch, wie hoch die Mitgift ist, die der Thyssenkrupp der Stahlsparte bei der geplanten Ausgliederung mitgeben muss. 

Derzeit wird die „Braut aufgehübscht“: 5.000 Stellen fallen weg, 6.000 werden ausgelagert. Zwei der vier Hochöfen in Duisburg gehen vom Netz, die jährliche Rohstahlproduktion wird von elf auf neun Millionen Tonnen zurückgefahren.

Die Autozuliefer-Sparte war lange ein Stabilitätsanker für Thyssenkrupp. Fahrwerke, Lenkungen, Dämpfungssysteme – fast alle großen Hersteller von VW bis Toyota zählen zu den Kunden der Essener. Doch die Absatzkrise der Automobilindustrie und die Transformation zur Elektromobilität, die Motorenkomponenten für Verbrenner überflüssig macht lassen die Zahlen dramatisch einbrechen.

2023/24 sank der Umsatz um 11 Prozent auf 7,5 Milliarden Euro, der Gewinn schrumpfte auf 245 Millionen Euro. Im ersten Quartal 2024/25 brach der bereinigte Gewinn sogar um 75 Prozent ein. 

Deshalb wird das Automotivegeschäft von Thyssenkrupp jetzt aufgespalten um es perspektivisch für Investoren, den Kaptialmarkt und Partnerschaften zu öffnen. Im Oktober dieses Jahres sollen vier neue Gesellschaften, in denen die ertragreichen Geschäftsteile im Bereich Chassis, Komponenten, Aftermarket und Schmiedegeschäft gebündelt werden, gegründet werden. 

Die bestehenden Bereiche Automotive Body Solutions, Automation Engineering und Springs & Stabilizers gehen nicht in der neuen Struktur auf, sondern werden separat fortgeführt – und sollen Partnerschaften mit Mitbewerbern eingehen oder verkauft werden. 

Auch im Automotive Bereich sollen die Unternehmen kapitalmarktfähig gespart werden: Im Frühjahr wurde ein Kostensenkungsprogramm mit Schließung des Federnwerks in Hagen und Kürzungen an Standorten in Baden-Württemberg sowie insgesamt 2000 Stellenkürzungen verkündet. 

Während andere Sparten schwächeln, erlebt die Sparte Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) – angetrieben von geopolitischen Spannungen - einen Höhenflug.

Mit 8.000 Beschäftigten erzielte die Sparte zuletzt rund 2,2 Milliarden Euro Umsatz und 125 Millionen Euro Gewinn. Die Auftragsbücher sind übervoll – fast 18 Milliarden Euro stehen derzeit darin. 

Das ist auch der Grund, warum die Abspaltung der Marinesparte schon am weitesten gediehen ist. Anfang August segneten die Aktionäre den Börsengang ab. Thyssenkrupp behält mit 51 Prozent die Mehrheit, während Anteilseigner insgesamt 49% zusätzlich handelbare TKMS-Aktien erhalten. 

Wenn TKMS im Oktober an die Börse geht ist das für Thyssen-Krupp ein Signal, dass der Konzernumbau an Fahrt gewinnt: Denn neben der Stahl-, der Automotive und der Marinesparte sollen auch alle anderen bestehenden Bereiche wie das  Geschäft mir der Dekarbonisierungstechnologie, das grüne Hoffnungspaket von Thyssenkrupp, immerhin über 3 Milliarden Euro Umsatz schwer, sowie das Handelsgeschäft verselbständigt werden. 

Im Herbst wird sich Miguel López vom Aufsichtsrat den wohl radikalsten Umbau in der Konzerngeschichte endgültig absegnen lassen. Nach seiner vorzeitigen Vertragsverlängerung im Juni gilt das als reine Formsache.

Ob der Umbau aber auch gelingt – das ist eine ganz andere Frage.

 

Thyssenkrupp: Was bleibt?

Hier, hoch über dem Ruhrtal in Essen, in der Villa Hügel, schrieb Thyssenkrupp einst Industriegeschichte. Von hier aus lenkte auch die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung seit den 1960er Jahren eines der mächtigsten Unternehmen Deutschlands.

Heute steht die Frage im Raum: Was bleibt von dem Unternehmen dessen Aufstieg hier auf dem Hügel begann – wenn die, nennen wir sie mal, „Operation López“ umgesetzt wird?

Tatsache ist: Die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, mit rund 21 Prozent größter Einzelaktionär – und traditionell die Hüterin der Einheit des Unternehmens, stützt den Kurs von López. Kritiker sehen damit erstmals das Stiftungswohl vor das Unternehmenswohl gestellt. 

Und den Weg hin zu einem Unternehmen bereitet, das eher Finanz- und Beteiligungsgesellschaft als Industriekonzern ist: eine Holding, die Beteiligungen verwaltet, Minderheiten wie Mehrheiten koordiniert – aber kaum noch selbst aktiv steuert.

Doch vielleicht ist das auch nur die logische Konsequenz: Denn gesteuert wurde bei Thyssenkrupp in den letzten Jahrzehnten – aber oft in die falsche Richtung.