Industrial AI : Siemens-Manager May: Ist KI bald Commodity?

Org Position: Head // Department: Business Analytics & Monitoring

"ChatGPT weist in eine Zukunft, in der Arbeiter mit Fließbändern sprechen."
Michael May, Head of Company Core Technology Data Analytics & AI, Siemens

- © Siemens AG

Rasend schnell erwischte Microsofts Chatbot-Technologie ChatGPT Beobachter auf dem falschen Fuß. Die jüngste AI aus dem Repertoire der Transformer-Methodiken schaffte etwas ungeheuerliches: Sie fusionierte die bislang nur getrennt auftretenden AI-Felder Sprache, Bild und Text. In einer Zeit, in der AI Identitäten durcheinanderwirbelt und womöglich die letzten Vertrauensbildungen des Geschäftsalltags erschüttert, sind die Herausforderungen für Unternehmen damit gewaltig: Sie müssen Sandboxes errichten, mit AI experimentieren und neue Engineering-Skills aufbauen.

Die gute Nachricht: Viele stellen sich dem neuen Wettlauf. Entweder, um die Gewinnmaschine AI anzuwerfen, oder um Prozesse abzusichern oder künstlich zu optimieren. Bereits mittendrein im Paradigmenwechsel, schrauben sie an performanten KI-Systemen. INDUSTRIEMAGAZIN stellt die Industrial-AI-Vordenker der Industrie vor.

Siemens-Experte: Künstliche Intelligenz erfindet von Fall zu Fall Fakten

Seit mehr als 30 Jahren eine AI-Abteilung, hunderte AI-Vorentwickler allein in München, dazu die Gewissheit, im Patentranking die Nummer elf weltweit zu sein, nur einen Rang hinter der der Google-Mutter Alphabet: "Wir haben nicht das Gefühl, dass Big-Tech-Firmen uns vor sich hertreiben", sagt Michael May, der die AI- und Datenanalyse-Forschung des Elektronikriesen Siemens leitet. Und trotzdem: Es sind schon besondere Zeiten für einen Technologiekonzern, der seine Geschäftsmodelle aus der alten, freilich digitalen Ära in eine neue Zeitrechnung überführen muss. "Eine spannende Zeit", sagt May. In der es ein Fehler wäre, an "Tempo zu verlieren", sagt May.

Denn neben dem "Zusammenwachsen von Sinnesmodalitäten" eröffne ChatGPT allein schon durch sein Sprachmodul zahllose Möglichkeiten. So ließe sich eine Zukunft erdenken, in der Werker sich "mit dem Fließband unterhalten", sagt May. Vorausgesetzt, der AI könnte durch Anreicherung von Daten - also durch Zuführung von Industriewissen - deren Drang, "Fakten zu erfinden" ausgetrieben werden.

AI-Einsatz bei Siemens: "Anpassung von Modellen an spezifische industrielle Aufgabenstellungen"

- © Siemens

Herausbildung eines offenen Markts für Sprachmodelle

"Es stimmt, dass Microsoft und OpenAI mit ChatGPT sehr schnell und überraschend auf den Markt gestoßen sind", sagt Siemens-Österreich-AI Forscher Daniel Schall. Doch geht er - wie sein Chef May - davon aus, dass aus dem AI-Markt für Sprachmodelle ein Commodity-Markt wird. May etwa rechnet mit Chancen in der - wie er sagt - "Domänenadaption". Er versteht darunter die Anpassung der Modelle an spezifische industrielle Aufgabenstellungen.

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Zudem würden kleinere, aber gut adaptierte Transformer-basierte Sprachmodelle wie BERT und Nachfolger - erstere nutzt Siemens schon produktiv - dort ihren Zweck erfüllen, wo es "statt Riesendialogen" nur kontextrelevante Antworten braucht wie "etwa im Qualitätsmonitoring", sagt May.

Dieser Text ist Auszug einer Artikelserie zu Industrial-AI in INDUSTRIEMAGAZIN-Ausgabe 05/23.

ZUM UNTERNEHMEN

Siemens ist ein deutscher Mischkonzern mit den Schwerpunkten Automatisierung und Digitalisierung in der Industrie, Infrastruktur für Gebäude, dezentrale Energiesysteme, Mobilitätslösungen für den Schienen- und Straßenverkehr sowie Medizintechnik. Der Konzern erwirtschaftete 2022 einen Umsatz von 71,977 Milliarden Euro und hat 311.000 Mitarbeiter. In Österreich arbeiteten 2021 rund 8.900 Menschen bei Siemens. Der Umsatz von Siemens Österreich lag im Geschäftsjahr 2021 bei rund 2,7 Milliarden Euro.