Innovation in der Industrie : Innovation in der Krise: Sechs radikale Thesen, die alles verändern könnten

Internationale Wettbewerber ziehen vorbei, banhnbrechende Technologien kommen aus dem Ausland, und radikale Geschäftsmodellinnovationen entstehen - trotz Patentrekorde - nur mehr selten in hiesigen Zentralen. Warum ist das so - und was können wir dagegen tun?
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Die gute Nachricht: Wir sind noch wer. Betonung auf noch. In vielen Nischen, ob Maschinenkomponenten oder Anlagenbau, gelten heimische Unternehmen als Benchmark. Dennoch mehren sich hierzulande, allenthalben auch beim Nachbarn Deutschland, die Anzeichen, dass die Innovationskraft bröckelt. Internationale Wettbewerber ziehen vorbei, banhnbrechende Technologien kommen aus dem Ausland, und radikale Geschäftsmodellinnovationen entstehen - trotz Patentrekorde - nur mehr selten in hiesigen Zentralen. Die Frage, wie wir wieder innovativ werden, ist daher keine rein akademische.
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INDUSTRIEMAGAZIN bat sechs Expertinnen und Experten, zu benennen, wo wir uns verändern müssen. Klar ist: Wer wieder an die Spitze will, muss mehr ändern als Produkte. Es geht um Führung, um Organisationslogiken. Und um den Mut, Routinen zu brechen. Sechs Thesen zur Steigerung der Innovationsfähigkeit.
These 1: Nutzt KI!
Innovation ist keine Technikfrage, sondern eine Kulturfrage. Wer heute bestehen will, braucht also keine zusätzlichen Meetings. Auch keine weiteren Change-Projekte – sondern digitale Kompetenz und eine Sprache, die zum Handeln führt. Es sind nicht die lautesten Ideen, die zählen, sondern die, die umgesetzt werden. Das gelingt, wenn Unternehmen Routinen schaffen und KI intelligent einsetzen. Während sich viele aber noch mit technischer Ausstattung beschäftigen, sieht Isabell Welpe, Lehrstuhlinhaberin für Strategie und Organisation, Technische Universität München (TUM), den eigentlichen Wandel an anderer Stelle: in der Führung. Es geht nicht mehr um Kontrolle, sondern die Fähigkeit, mit Unsicherheit umzugehen. In Zeiten rasanter technologischer Entwicklungen müssen Unternehmen beweglich bleiben. Isabell Welpe: „Wir sind leider erst am Anfang der Beschleunigung und es wird nie mehr so langsam wie jetzt.“ Technologien wie KI, Blockchain oder Quantum Computing stellen die Spielregeln auf den Kopf. Wer darauf wartet, dass sich der Sturm legt, statt mit ihm zu surfen, bleibt zurück.
Unternehmen, die sich auf alten Erfolgsrezepten ausruhen, laufen also Gefahr, zu jenen 90 Prozent der Fortune-500-Unternehmen zu gehören, die seit 1960 vom Markt verschwunden sind. Der Vergleich, den Manager heute wählen, um ihre Arbeit zu beschreiben, ist treffend: Whitewater-Rafting statt Kreuzfahrt. Es geht nicht mehr darum, einen festen Kurs zu planen, sondern darum, flexibel zu navigieren – und dabei nicht unterzugehen.
Spiel aufs eigene Tor
Welpe: „Innovation heißt ganz oft, sich selbst anzugreifen, aufs eigene Tor zu spielen.“ Komplexere Anfragen übernehmen weiterhin Menschen – allerdings zukünftig vermutlich gegen Aufpreis. So entsteht ein hybrides Modell, das Effizienz mit Servicequalität verbinden kann, wenn es gut organisiert ist. Welpe zitiert den Vergleich der KI-Entwicklung mit der Entdeckung eines neuen Kontinents voller Arbeitskräfte, die keinen Arbeitslohn verlangen. KI-Agenten kosten kaum etwas, arbeiten rund um die Uhr, brauchen keinen Urlaub und machen keine Fehler – solange sie richtig trainiert sind. Aber: KI ist nur so gut wie die Prozesse, die ihr vorgegeben werden. „Wenn Sie KI nutzen, um schlechte Prozesse zu automatisieren, wird das nur schlimmer“, sagt Welpe. Sie sagt: „Nichts ist schlimmer, als einen überflüssigen, schlechten Prozess automatisch immer schneller ablaufen zu lassen.“ Deshalb gilt: Erst Prozesse hinterfragen und auch löschen, dann automatisieren.
These 2: Denkt interkulturell!
Die Digitalisierung verändert nicht nur Produkte und Vertriebskanäle, sondern auch die Anforderungen an Führungskräfte. „Digitale Geschäftsmodelle im industriellen Umfeld erfordern eine andere Prägung – und oft auch ein Abweichen von gewohnten Strukturen“, sagt Jens Förderer, Inhaber des Lehrstuhls für Information Systems II an der Fakultät für Betriebswirtschaftslehre der Universität Mannheim. Während klassische Industrieführung stark auf Produktqualität und technische Exzellenz fokussiert war, tritt heute die Fähigkeit in den Vordergrund, interdisziplinäre Teams zu befähigen und Innovationsprozesse zu moderieren. Auch er sagt: Eine der größten Herausforderungen liegt im internationalen Recruiting. Viele Unternehmen sind gegenüber globalen Talenten noch verschlossen.
Das ist nicht nur eine gesellschaftliche, sondern vor allem eine unternehmerische Frage. Sprachbarrieren spielen dabei eine zentrale Rolle. In manchen Betrieben wird auch nach Feierabend ausschließlich Deutsch gesprochen. Sprachkurse in Englisch werden zwar angeboten, doch fällt es vielen Beschäftigten schwer, diese als Chance zur Integration zu sehen. „Hier muss man angreifen – die Sprache ist ein Schlüssel“, betont Förderer. Ein Kulturwandel beginnt bereits bei der Stellenausschreibung: Wenn internationale Fachkräfte gewonnen werden sollen, darf Deutsch nicht zwingend als Einstellungsvoraussetzung genannt werden. Entscheidend ist, neue Mitarbeiter willkommen zu heißen und ihnen eine reibungslose fachliche Integration zu ermöglichen – unabhängig von der Sprache.
Demokratischere Produktentwicklung
Im digitalen Umfeld arbeiten Teams enger, agiler und demokratischer. Entscheidungen entstehen weniger im Top-down-Verfahren, sondern in gemeinsamer Abstimmung. Mitarbeiter erwarten Mitsprache und wollen Verantwortung übernehmen. Dies erfordert von Führungskräften nicht nur technische Kompetenz, sondern auch interkulturelle Fähigkeiten. Pünktlichkeit, direkte oder indirekte Kritik, Meetingkultur oder der Umgang mit Small Talk – all diese Aspekte unterscheiden sich je nach kulturellem Hintergrund und beeinflussen die Produktivität.
Förderer verweist etwa auf Unterschiede zwischen deutscher und italienischer Meetingkultur: Während hierzulande der Fokus schnell auf sachliche Inhalte gerichtet wird, kann ein informeller Einstieg für Arbeitsklima und Kreativität förderlich sein.
Vom Manager zum Enabler
Das Führungsverständnis verändert sich grundlegend: weg vom klassischen Manager, hin zum Enabler. Gefragt sind Empathie, aktives Zuhören, individuelle Förderung und die Fähigkeit, Freiräume zu schaffen – insbesondere im Software- und IT-Bereich. Selbstorganisierte Teams benötigen Führungskräfte, die Entscheidungen ermöglichen, nicht vorgeben.
Internationale Vorbilder zeigen, dass temporäre Jobwechsel, Mentoring-Programme oder „Shadowing“ – etwa das Begleiten einer Führungskraft über eine Woche – wertvolle Entwicklungsimpulse geben können. In den USA ist die Flexibilität größer, Jobprofile werden häufiger angepasst und experimentelle Projekte schneller gestartet. Förderer sieht in der öffentlichen Präsenz von Führungskräften eine wichtige Komponente moderner Unternehmensführung. Topmanager, die sich auf LinkedIn oder anderen Kanälen nahbar zeigen, schaffen eine emotionale Bindung – sowohl zu bestehenden Mitarbeitern als auch zu potenziellen Bewerbern.
Digitalisierung mit wirtschaftlichem Blick
Digitale Transformation erfordert auch ein Umdenken in Budget- und Entscheidungsstrukturen. Neben dem Tagesgeschäft („Run“) müssen gezielt Mittel für Innovationszellen bereitgestellt werden, die experimentieren dürfen, ohne sofort Ertrag liefern zu müssen. Erfolgreiche Beispiele wie Heidelberg Materials zeigen, wie selbst traditionelle Industrien durch gezielte Digitalisierung ihre Wettbewerbsposition stärken können – etwa durch KI-gestützte Betonmischer, die präziser arbeiten, oder durch die Öffnung eigener Plattformen für Partnerunternehmen. In den USA fällt das Experimentieren leichter: Der regulatorische Rahmen ist oft flexibler, die Risikobereitschaft bei Kunden und Mitarbeitern höher. In Deutschland dagegen bremsen häufig rechtliche Unsicherheiten und kulturelle Zurückhaltung den Innovationsdrang.
These 3: Seid People Manager!
Eine Industrie, die vor einem grundlegenden Paradigmenwechsel steht, ist die europäische Automobilindustrie. Während traditionelle Hersteller über Jahrzehnte ihre Wertschöpfung in langen Modellzyklen organisierten, agieren neue Wettbewerber in einem völlig anderen System: Sie nutzen das Internet als Fundament, verknüpfen Fahrdaten, Logistik und Kundenfeedback in Echtzeit – und innovieren permanent. Software, „over-the-air“-Updates und datenbasierte Services sind zur strategischen Kernkompetenz geworden. Nach Ansicht von Andreas Boes, Soziologe am ISF München, muss die europäische Autoindustrie nun zweigleisig vorgehen: Kurzfristig gilt es, ins neue Paradigma der Wertschöpfung einzusteigen. Mittelfristig müssen Hersteller Mobilität systemisch und ganzheitlich denken – weg vom Standalone-Produkt Auto, hin zu vernetzten Verkehrssystemen. Europas Vorteil liege dabei in der Vielfalt funktionierender Verkehrsträger: Schienenverkehr, Fahrradinfrastruktur, autonome Systeme und On-Demand-Dienste könnten digital vernetzt werden.
Ein Kernproblem vieler Konzerne ist die tayloristische Trennung von Planung und Ausführung – perfektioniert über Jahrzehnte. Diese Strukturen verhindern schnelle Lernschleifen. Manager verbringen ihre Zeit in Sitzungen, ohne echte Entscheidungskompetenz an die Fachteams zu geben. Agilitätsinitiativen scheitern oft, weil Methoden eingeführt werden, ohne die dahinterliegende Kultur zu verändern. Beispiel: In einer Abteilung für autonomes Fahren, die nach agilen Prinzipien arbeitete, wurde die diese Kultur des Arbeitens vom oberen Management außer Kraft gesetzt. An die Stelle gemeinsam vereinbarter Sprintpläne traten tägliche Status-Meetings und ein autoritärer Führungsstil. Die besten Entwickler verließen das Unternehmen. Die vorher ausgeprägte Innovationskultur ging verloren.
Gewohnheiten schlagen gute Absichten
Boes betont, dass agile Organisationen ein eigenes Führungskonzept benötigen – das etwa in der deutschen Autoindustrie derzeit kaum vorhanden ist. Gefragt sind „People Manager“, die vernetzen, Blockaden aus dem Weg räumen und ein Umfeld schaffen, in dem hochqualifizierte Fachkräfte langfristig bleiben. Ohne diese Bedingungen helfen weder hohe Gehälter noch umfangreiche Benefits – Spitzenentwickler verlassen Unternehmen oft schon nach wenigen Wochen, wenn die Kultur nicht stimmt. Das Anwerben internationaler Top-Talente ist nur der erste Schritt. Entscheidend ist, ihnen ein Umfeld zu bieten, in dem sie ihre Arbeit ohne bürokratische Hürden umsetzen können. Fälle, in denen hochkarätige Spezialisten an banalen Beschaffungsprozessen oder internen Genehmigungsschleifen scheitern, sind keine Seltenheit. Auch das Controlling-System steht zur Disposition. Solange Unternehmen nur Zwischenschritte und Margenvorgaben messen, aber nicht den Outcome, bleibt die Transformation blockiert. "Transformation erfordert die Bereitschaft, Unsicherheit über Jahre auszuhalten", sagt Boes.
These 4: Sprecht mit toughen Kunden!
„Der Stand des Innovationsmanagements ist – im Vergleich zu Vertrieb, Produktion oder Qualitätsmanagement – oft unterentwickelt“, betont Frank T. Piller von der RWTH Aachen. Der Professionalitätsgrad sei vielerorts „grottenschlecht“. Häufig würden Innovationsinitiativen auf wenige Workshops mit ausgewählten Kunden reduziert – systematische Ansätze fehlten. Ein zentrales Missverständnis: Forschung und Entwicklung werden mit Innovation gleichgesetzt. Technische Exzellenz wird an bestehenden Produkten bewiesen – doch an der Entwicklung zukunftsfähiger neuer Geschäftsfelder mangelt es. Das führe dazu, dass selbst in attraktiven Märkten wie Medizintechnik oder Defence die vorhandenen Fähigkeiten nicht in neue Geschäftsmodelle übersetzt werden.
„Front-End-Innovation“, also die systematische Erkundung neuer Chancen, findet selten statt. Unternehmen sprechen zu selten mit schwierigen oder neuen Kunden, um radikal andere Perspektiven zu gewinnen. Etablierte Methoden wie technologiegestütztes Forecasting oder Lean-Startup-Ansätze werden nur vereinzelt eingesetzt – und oft nicht konsequent priorisiert.
Innovation als kontinuierlicher Prozess
Für Piller ist klar: „Innovation darf kein Projekt sein, sondern muss als System verankert werden.“ Das bedeute einerseits, bürokratische Hürden abzubauen, und andererseits klare, aber sinnvolle Kennzahlen einzuführen. Dabei gehe es nicht um reine Output-Metriken wie Patentzahlen oder die Anzahl neuer Ideen – diese seien im KI-Zeitalter wenig aussagekräftig. Wichtiger seien qualitative Kriterien wie die Diversität der Ideen oder der Anteil an Projekten außerhalb des Kerngeschäfts. Internationale Beispiele zeigen, dass Fehlerkultur ein entscheidender Faktor ist. Während in deutschen Unternehmen Scheitern oft zu einem Karriereende führt, setzen US-Firmen wie die Bank of America auf Mindestfehlerquoten, um Innovationsbereitschaft zu signalisieren.
Innovationskultur erfordert veränderte Führungsrollen. Statt klassischer Linienhierarchie sind Führungskräfte gefragt, die als Enabler agieren, Ressourcen bereitstellen und Schutzräume für Experimente schaffen. Anreizsysteme sollten nicht nur Erfolge belohnen, sondern auch den Mut, kalkulierte Risiken einzugehen.
Accelerator-Programme können eine wichtige Rolle spielen, um frische Impulse aus dem Startup-Umfeld zu holen. Doch Piller warnt vor der Illusion, dass daraus direkt große Business Units entstehen können: „Speedboats“ sollten gezielt genutzt und nach einer Testphase in skalierungsfähige Strukturen überführt werden – oder konsequent beendet werden, wenn der Nutzen ausbleibt.
These 5: Provoziert!
„Uns geht es zu gut, um innovativ zu sein“, sagt Kathrin Möslein, Inhaberin des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik, insbesondere Innovation und Wertschöpfung, und Vizepräsidentin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). Nach dem Zweiten Weltkrieg habe Deutschland aus der Not heraus einen beispiellosen Innovationsschub erlebt. Heute fehle dieser äußere Druck. Das „Innovator’s Dilemma“ treffe besonders erfolgreiche Unternehmen: Wer bestehende Produkte perfektioniert, verliert oft die Fähigkeit zu Sprunginnovationen. Möslein plädiert dafür, die eigene Komfortzone bewusst zu verlassen. „Wir sind ein Ingenieursland – wir könnten uns mehr Provokationen leisten.“
Inkubatoren wie der „Zollhof“ in Nürnberg zeigen, wie die Konfrontation zwischen etablierten Unternehmen und Start-ups frische Impulse erzeugen kann. Entscheidend sei, diese Zusammenarbeit als systemischen Motor für Innovation zu verstehen – nicht als gelegentliches Projekt. Start-ups bringen Emotion, Leidenschaft und Geschwindigkeit ein, etablierte Firmen dagegen Erfahrung und Ressourcen. Zusammen können sie Ideen aus der Forschung in marktfähige Produkte überführen – vorausgesetzt, sie arbeiten auf Augenhöhe.
Fehler zulassen – Verantwortung fordern
Ein wesentliches Hindernis für Innovation ist laut Möslein die tief verankerte Null-Fehler-Kultur. Zertifizierungen, Normen und Prozessoptimierung haben zwar Qualität gesichert, aber auch die Bereitschaft zum Risiko reduziert. „Mehr Verantwortung muss auf einzelne Mitarbeiter übergehen – und zwar mit der Akzeptanz, dass nicht jede Entscheidung mit Kuchen und Kerzen gefeiert wird.“ Open-Innovation-Ansätze können hier helfen: Mitarbeitende aus unterschiedlichen Bereichen, Altersgruppen und Hierarchieebenen bringen neue Perspektiven ein.
Ein Beispiel: In einem Hörgeräteunternehmen veränderte die Einbindung von Senioren als Testnutzer die Produktentwicklung grundlegend. Umgekehrt brachten Auszubildende bei der Gestaltung von Spiele-Apps Ideen ein, die erfahrene Ingenieure nicht hatten. Finanzielle Anreize allein reichen nicht. Entscheidend ist die intrinsische Motivation – das inhaltliche Interesse am Thema. Hier können sich Unternehmen vom Silicon Valley abschauen, wie Selbstselektion funktioniert: Projekte ziehen automatisch jene Talente an, die für die Aufgabe brennen.
Institutionalisierte Überraschung
Innovation entsteht oft an den Grenzen des Systems – dort, wo Buchhalter, Techniker oder Designer auf unerwartete Probleme stoßen. Möslein empfiehlt, „Zufall zu organisieren“: ungewöhnliche Aufträge, externe Perspektiven, cross-funktionale Teams. Selbst kleine Maßnahmen können große Wirkung entfalten, wenn sie den etablierten Rhythmus unterbrechen.
These 6: Denkt nischig!
Hohe Regulierungslasten, komplexe EU-Vorgaben und eine nationale Umsetzung, die Betriebe zusätzlich belastet, erschweren Innovationsprozesse, sagt Sabine Pfeiffer, die am am Institut für Soziologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zu den Schwerpunkten Technik, Arbeit und Gesellschaft forscht. Dazu kommen steigende Energiepreise, verschärft durch geopolitische Entscheidungen wie den Gasimportstopp. „Das trifft gerade die stark spezialisierten Mittelständler, die für ihre Wertschöpfung auf stabile Rahmenbedingungen angewiesen sind“, so Pfeiffer. Ein wiederkehrendes Muster beobachtet die Wissenschaftlerin in der Beratungsbranche: Methoden, die für Großunternehmen entwickelt wurden, werden 1:1 auf mittelständische Betriebe übertragen – oft mit kontraproduktiven Folgen.
Ein Beispiel ist die Einführung agiler Methoden wie Scrum in Unternehmen, die seit jeher kundenspezifisch und flexibel arbeiten. „Das ist, als würde man Eulen nach Athen tragen. Der Mittelstand ist oft agiler, als es jede Methode abbilden kann.“
Besonders kritisch sieht Pfeiffer standardisierte Stage-Gate-Prozesse, die in der Serienfertigung sinnvoll sein können, im Sondermaschinenbau aber eher Innovationsfähigkeit blockieren. In der Praxis führten solche Prozesse nicht selten zu „Schauspiel-Meetings“, in denen Entscheidungen nur noch pro forma getroffen werden. Das Ergebnis: Zeit- und Ressourcenverschwendung, Demotivation und ein Rückgang echter Innovationstätigkeit.
Organisation ist nur ein Werkzeug
Für Pfeiffer darf Organisation nie Selbstzweck werden: „Das Organisationsmodell muss sich aus der Marktlogik und der Problemstellung ergeben – nicht umgekehrt.“ Innovationsmethoden sollten als Werkzeuge verstanden werden, die situativ eingesetzt werden, statt als starres Korsett. Andernfalls entstehe eine Eigendynamik, die Zeit frisst und Ideen ausbremst. Nicht jede Branche muss radikale Innovationen wie die großen Digitalunternehmen hervorbringen. „Der gesunde Mittelstand zeichnet sich dadurch aus, über lange Zeiträume inkrementell zu innovieren und technische Exzellenz zu halten“, sagt Pfeiffer. Diese kontinuierliche Verbesserung sei ein wichtiger Wettbewerbsvorteil – und oft nachhaltiger als kurzfristige Hypes.
Realistische Innovationskultur statt Theater
Für Pfeiffer ist entscheidend, dass der Mittelstand selbstbewusst bei seinen Stärken bleibt und nicht jedem methodischen Trend folgt. Innovation entstehe nicht durch verpflichtende Methodenprogramme, sondern durch Freiräume, kluge Priorisierung und Nähe zum technischen Kern. „Wir müssen weg vom Innovationstheater und hin zu einer Kultur, in der Verbesserungen – ob groß oder klein – organisch aus der Arbeit entstehen.“
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