EU-Sicherheitspolitik : Globale Machtwende: Sicherheitsexperte warnt Europa vor Kontrollverlust

Industriekongress 2025 Walter Feichtinger

Prof. Dr. Walter Feichtinger am Industriekongress: Sicherheit beginnt im Kopf. Wer vorbereitet ist, kann handeln.“ 

- © Matthias Heschl

Beim diesjährigen Industriekongress stellte Prof. Dr. Walter Feichtinger, ehemaliger österreichischer Brigadier des Bundesheeres, renommierter Sicherheitsexperte und langjähriger Leiter des Österreichischen Instituts für Europa- und Sicherheitspolitik, die geopolitischen Verschiebungen in den Mittelpunkt seines Vortrages. Mit präzisem Blick und klaren Worten skizzierte er eine Welt im Umbruch – und forderte von Europa eine entschlossene, resiliente Antwort.

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Während Europa zunehmend als politisch fragmentiert und sicherheitsstrategisch wenig handlungsfähig wahrgenommen wird, gilt der Nahe Osten als Schlüsselregion für Einfluss – und der Indopazifik als Schauplatz des eigentlichen geopolitischen Wettbewerbs. Feichtinger warnte, dass diese veränderte Wahrnehmung der transatlantischen Beziehungen gravierende Folgen für Europas Einfluss haben werde, wenn der Kontinent nicht schleunigst lernt, selbst sicherheitspolitische Verantwortung zu übernehmen. Ein handlungsfähiges, geeintes Europa sei nicht nur im Eigeninteresse, sondern auch Voraussetzung für künftige strategische Partnerschaften.

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"Unsere Regeln verlieren an Bedeutung"

Feichtinger machte deutlich, dass die Nachkriegsordnung, die jahrzehntelang auf westlichen Werten und Institutionen beruhte, zunehmend brüchig wird. „Unsere Regeln nach 1945 verlieren weltweit an Bedeutung. Und es gibt kaum mehr jemanden, der bereit ist, sie durchzusetzen“, sagte er mit Verweis auf die USA, deren geopolitische Prioritäten sich längst in Richtung Indopazifik verschoben haben. In Ländern wie Indien sei das westliche Regelwerk nie akzeptiert worden – nicht aus Feindschaft, sondern weil es nie ein globaler Konsens gewesen sei. „Jetzt ist Zeit für neue Regeln – für andere Regeln“, so die Botschaft, die unter anderem beim Raisina Dialogue in Indien offen artikuliert wurde.

Unsere Regeln nach 1945 verlieren weltweit an Bedeutung. Und es gibt kaum mehr jemanden, der bereit ist, sie durchzusetzen.
Prof. Dr. Walter Feichtinger

BRICS als Gegengewicht zum Westen

Die BRICS-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – sowie deren neue Partner wie Indonesien, Ägypten oder Äthiopien gewinnen nicht nur wirtschaftlich an Bedeutung. Sie repräsentieren mittlerweile rund 40 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung und fast die Hälfte der Weltbevölkerung. „Dort entsteht die neue Dynamik. Und Europa muss sich dieser Realität stellen, statt in alten Machtstrukturen zu verharren“, warnte Feichtinger.

Er identifizierte das zentrale Konfliktmuster unserer Zeit als einen Wettstreit zwischen Status-quo-Mächten (vornehmlich der Westen) und revisionistischen Akteuren, die neue Gestaltungsmacht beanspruchen. Russland mit seinem aggressiven Verhalten sei ebenso Teil dieser Dynamik wie Indonesien, das mehr Mitsprache auf internationaler Bühne fordert.

Die BRICS-Staaten gewinnen nicht nur wirtschaftlich an Bedeutung. Sie repräsentieren mittlerweile rund 40 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung und fast die Hälfte der Weltbevölkerung.

- © Matthias Heschl

Sechs Arenen geopolitischer Machtverschiebung

In seiner Analyse beschrieb Feichtinger sechs globale Regionen, in denen sich die geopolitische Neuordnung konkret zeigt:

  1. Indopazifik & Südchinesisches Meer: China strebt danach, die amerikanische Eindämmungspolitik zu durchbrechen. Der Aufbau einer gewaltigen Marineflotte zeigt, dass der Machtkampf längst begonnen hat.
  2. Arktis: Die Erschließung neuer Seewege durch das Schmelzen des Eises bringt strategische Bedeutung – und neue militärische Aktivitäten.
  3. Panama & Karibik: Chinas und Russlands Einfluss im vermeintlichen „Hinterhof“ der USA wächst. Washington reagiert zunehmend nervös.
  4. Afrika: Europa hat wirtschaftlich an Boden verloren, China dominiert den Handel. Internationale Friedensmissionen werden durch russische Söldner ersetzt.
  5. Naher Osten & Nordafrika (MENA): Der arabische Frühling ist gescheitert. Stabilität ist brüchig, Konflikte nehmen zu.
  6. Osteuropa & Russland: Der Ukraine-Krieg und die ungewisse US-Unterstützung werfen Fragen über Europas Sicherheitsarchitektur auf.

Walter Feichtinger hat sechs globale Regionen identifiziert, in denen sich die geopolitische Neuordnung konkret zeigt

- © Matthias Heschl

Europa muss Resilienz aufbauen

Angesichts dieser komplexen Herausforderungen betonte Feichtinger die Notwendigkeit strategischer Resilienz. Europa dürfe nicht in Schockstarre verfallen, sondern müsse seine Sicherheits- und Wirtschaftspolitik grundlegend neu denken. „Resilienz bedeutet, vorbereitet zu sein – mit Plan B, alternativen Lieferketten, technologischer Eigenständigkeit und strategischer Partnerschaft“, so Feichtinger.

Dabei warnte er vor der Illusion völliger Entkopplung – ob von China oder Russland. Stattdessen brauche es ein „De-Risking“: Risikominimierung ohne vollständige Abhängigkeit. Die EU müsse globale Diversifizierung aktiv betreiben – wirtschaftlich wie sicherheitspolitisch. Indien und andere aufstrebende Staaten bieten dabei neue Chancen, wenn Europa bereit ist, strategische Weichen zu stellen.

„Sicherheit beginnt im Kopf. Wer vorbereitet ist, kann handeln.“ Europa müsse lernen, auf globaler Ebene wieder als strategischer Akteur aufzutreten – nicht als Zuschauer in einem Spiel, das längst begonnen hat. „Resilienz ist keine Option – sie ist eine Notwendigkeit.“

Zur Person: Prof. Dr. Walter Feichtinger

Funktion

Präsident des Center for Strategic Analysis (CSA), zuvor langjähriger Leiter des Österreichischen Instituts für Europa- und Sicherheitspolitik (AIES)

Expertise

  • internationale Sicherheitspolitik
  • Geopolitik, Konfliktanalyse
  • Militärstrategien

Hintergrund

Offizier des österreichischen Bundesheeres, Studium der Geschichte und Politikwissenschaft, zahlreiche internationale Lehr- und Vortragstätigkeiten

Schwerpunkte

  • geostrategische Entwicklungen
  • hybride Bedrohungen
  • transatlantische Beziehungen
  • sicherheitspolitische Resilienz Europas

Bekannt für: 

  • klare sicherheitspolitische Analysen
  • strategische Denkansätze
  • kritische Betrachtung globaler Machtverschiebungen