Autobauer : Automobilberater: "Mittelfristig ist das eine Katastrophe"
Aktive Mitgliedschaft erforderlich
Das WEKA PRIME Digital-Jahresabo gewährt Ihnen exklusive Vorteile. Jetzt WEKA PRIME Mitglied werden!
Sie haben bereits eine PRIME Mitgliedschaft?
Bitte melden Sie sich hier an.
Engelbert Wimmer ist Vorstandsvorsitzender und Gründer der e&Co. INDUSTRIEMAGAZIN traf ihn zum Interview.
INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Wimmer, die Angebotsverknappung hat spannenderweise nicht zu einem Absinken der Gewinne vieler OEM, vor allem des oberen Premiumsegments, geführt. Jetzt, wo die Gewinne sprudeln: Wird das Geld wenigstens gut angelegt?
Engelbert Wimmer: Die Autobauer nehmen mit, was geht. Sie stecken Übergewinne in die Elektrooffensive. Die nächste Runde wird entscheidend. Da spielt vieles hinein: grundsätzliche Erschütterungen wie die Frage, inwieweit uns die Globalisierung bedroht. Die gigantischen Energierisiken, die Europas Lieferketten im Rucksack haben. Die Weiterbeschäftigungszwänge der deutschen Automobilindustrie in einer Epoche, in der sich Jobs aus der Fertigung immer öfter in die vorgelagerten Bereiche wie den Batteriebau schieben. Und natürlich: Aufholbedarf beim Verschmelzen von Produkt- und Fertigungsplanung.
Autofabriken, die nicht mehr wie Autofabriken aussehen, erblickt man hauptsächlich in Videos, die Fahrzeughersteller in ihren Produktionslaboren drehen. Macht es nicht vielleicht doch Sinn, länger an den klassischen Produktionslayouts festzuhalten?
Wimmer: Die Sequenzen der Produkt- und Fertigungsplanung getrennt voneinander laufen zu lassen, ist angesichts des heutigen Digitalisierungspotenzials archaisch. Auch vor dem Hintergrund einer 400-Kilo-Batterie. Die muss ja mit hinein in die Produktion. Ebenso wie Software, die einen riesigen Anteil dessen übernimmt, was die Produktion nun ausmacht. Das alles sehe ich noch längst nicht im Einklang. Boshaft formuliert stellt sich bei den Produktionssystemen die Frage: Wer humpelt am schnellsten durch die Zielgerade?
Lesen Sie auch: Mehr Gewinn trotz Chipmangel – die Strategie von Toyota, BMW und Co.
Findet man diesen Einklang bei Tesla?
Wimmer: Da der Mensch kein Organ zur Wahrnehmung langsamer Veränderungen besitzt, könnte man schlussfolgern: nein. Doch Tesla ist extrem weit, die klassische Idee der Planungszyklen im Takt der jeweiligen Produktreihe durch kontinuierliche und eher evolutionäre Prozesse innerhalb der Fahrzeugklasse abzulösen. Die Komplexitätsreduktion, die Tesla in seinen Gigafactorys vorlegt, ist gemessen an seinem industriellen Footprint gigantisch. Das integrierte Verpressen ganzer Unterböden, statt sie konventionell mit zahllosen Teilen zu schweißen, ist ein Hinweis auf ein gänzlich anderes Herangehen ans Fahrzeug. Das ist ein smoother integrierter Produktionsoptimierungsprozess. Und eben kein Erfüllungsakt eines Fahrzeugingenieurs, der auf Basis seiner Architektur von Fahrzeuggeneration zu Fahrzeuggeneration mit einer immer größeren Zahl von Zulieferern versucht, die explodierenden Kosten aus dem Produkt zu bringen.
Dann bleiben wir beim Amerikaner. Wie wird man wie Tesla? Kommt das Equipment von der Stange?
Wimmer: Der Grad der Automatisierung ist sicher das eine. Blickt man jedoch in die Gigafactorys von Musk, sieht man gewaltige Investitionsaggregate mit wenigen hundert Mitarbeitern und unendlich viel Umbau. Einerseits hochautomatisierte Druckstraßen, in denen auf Anlagen Lithium-Bänder mit extremer Geschwindigkeit mit Anoden- und Kathodenmaterial besprüht werden, bevor es zum Wickeln und den Verbau in große Zellen geht. Andererseits eine Fabrikevolution, an denen die Maschinenlieferanten natürlich ihren Beitrag haben. Tesla lässt diese kontinuierliche Veränderung bewusst zu – Stichwort „Battery Days“ – während die Europäer in Hüben und starren Investitionszyklen, respektive in einmal klar geplanten Fabriken denken.
Europas Antwort auf ein altes Konzept
Sie haben die Überkapazitäten angesprochen. Jobabbauprogramme laufen doch bei etlichen Playern…
Wimmer: Die europäischen Autobauer haben es verabsäumt, Überkapazitäten in der Krise abzubauen. Mittelfristig ist das eine Katastrophe. Zudem wurde anorganisch auch nicht im richtigen Ausmaß im Softwarebereich zugekauft.
Immerhin gibt es doch Projekte wie die Einheits-Cloud Catena-X für Europa…
Wimmer: Was wir jetzt in Europa launchen, ist die Antwort auf ein bisher veraltetes Konzept. Es fehlte eine klare Architektur, um mit Google, Apple und anderen Playern zum Beispiel aus China auf Augenhöhe mithalten zu können. Unser Problem: wir denken immer in Inseln. Bei der Produktion und im Produkt. Und sogar im Ladenetz. Tesla hatte schon lange – wir sprechen vom Jahr 2012 – verstanden, dass Energie- und Ladenetz eine Einheit darstellen müssen. Deswegen ist das eigene Tesla-Ladenetz auch gleichzeitig ein Datennetz mit breitbandigem Zugang zum Herstellernetz. Dort lädt man nicht nur Strom, sondern eben auch Daten.
Tesla war klar, dass das Fahrzeug über seinen Lebenszyklus immer wieder Software-Updates benötigt und dass die Daten aus dem Fahrzeug ein großer Schatz sind. Wir hingegen entwickeln diese Dinge in Silos und wundern uns dann, dass das Zusammenspiel nicht klappt.
So ist zum Beispiel das, was wir als Over-the-air-Updates erhalten, eigentlich ein Etikettenschwindel: Damit schaltet man lediglich minimale Funktionen frei oder parametrisiert diese. Eine zentrale Cloud hilft schonmal dabei, über viele Hersteller hinweg für Services und Datenversorgung eine gemeinsame Infrastruktur zu haben. Sie ersetzt aber nicht den notwendigen Wandel im vernetzten Denken zwischen Produkt, Produktion, Lebenszyklus und Service-Anbietern.
Wechseln wir die Perspektive. Wo machen sich Europas Mitbewerber gerade das Leben schwer?
Wimmer: Japans Autobauer sind aggressive Kostenoptimierer und sie waren lange zu risikoavers. Deswegen tun sie sich schwer, wirklich neue Dinge ins Fahrzeug zu bekommen. Die Amerikaner haben das Kleinwagensegment eigentlich verlassen. Das könnte sich rächen: Es gilt nun die verbleibenden sehr großen, sehr schweren Volumenmodelle zu elektrifizieren. Sie begreifen die Elektrifizierung im Grunde als Beimischung für ein geringes Volumen im urbanen Bereich und verbauen sich damit den Weg in eine Verbrenner-freie Zukunft.
Die Koreaner haben ihre Lieferanten in das viel billigere chinesische Festland verschoben. Was nun aber heißt, dass das Wohl und Wehe Koreas an den chinesischen Zulieferern hängt – und damit an der chinesischen Covid-19- und Außenpolitik.
Entdecken Sie jetzt
- Lesen
- Videos
-
Podcasts
- VW-Sparplan: Automobil-Zulieferindustrie durch Volkswagen-Krise massiv unter Druck | IM News 09.10.2024
- AT&S: Chaostage in Leoben, CEO Gerstenmayer tritt ab | Stillstand der Autoindustrie | IM News 09.10.2024
- KTM-Chef Pierer verkauft Automobilzulieferer Leoni AG an Luxshare nach China | IM News 25.09.2024
Ein letztes Jahrzehnt Verbrenner
Hat die Feststoffbatterie, mit der jetzt vermehrt auch chinesische Autobauer in den Markt fahren, das Zeug zum Gamechanger?
Wimmer: Diese Fahrzeuge wird man aus Prestigegründen bald auf den Straßen sehen. Als Konzept. Jedoch lange nicht im industriellen Maßstab. Die Technologie wird uns auf kurze Sicht nicht erlösen. Bis 2035 gibt es keine Alternative zur Lithium-Ionen-Batterie.
Was halten Sie von Europas Strategie, die E-Mobilität zu forcieren und zugleich dem Verbrenner zum Ausklang noch ein letztes Jahrzehnt zu vergönnen?
Wimmer: Die Entscheidung pro Elektromobilität war schon richtig. Ebenso, auf übertrieben religiösen Eifer beim Auslaufen von Verbrennervolumen zu verzichten. Es war politisch und ökonomisch klug, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen.
Was macht Ihnen Hoffnung, dass Europas Fahrzeugindustrie die Transformation am Ende doch besser meistert?
Wimmer: Ich hoffe nicht, dass es eine schwere Wirtschaftskrise braucht, um den nötigen Anpassungsdruck herbeizuführen. Die Alternative lautet einfach, unternehmerisch zu handeln. Das braucht es an allen Ecken und Enden. Das schließt auch ein, einmal die Abrissbirne zuzulassen. Wenn wir immer am Alten festhalten, wird der Erneuerungsbedarf irgendwann nicht mehr zu stemmen sein.
ZUR PERSON
Engelbert Wimmer, 52, ist Vorstandsvorsitzender und Gründer der e&Co. AG, einer internationalen Beratungs- und Beteiligungsgesellschaft. Er ist seit über 25 Jahren passionierter Unternehmer und Managementberater, sowie Autor mehrerer Sachbücher und Fachartikel. Der gebürtige Österreicher studierte Telematik an der TU Graz und promovierte in Philosophie an der Universität Bremen.