Interview : "Die Definition der Gier der Manager ist übertrieben"

Mondi-Aufsichtsratschef und ehemaliger IV-Präsident Veit Sorger
© Christian Jungwirth

Herr Sorger, Sie sind Aufsichtsrats-Vorsitzender beim globalen Verpackungsriesen Mondi, Stellvertreter des Aufsichtsrats-Vorsitzenden beim Faserhersteller Lenzing und der Greco-Holding, Vorstand der Soravia Privatstiftung und mit 6,8 Prozent am Umwelttechnikunernehmen Binder+Co beteiligt. Mit ihrem breiten Überblick und tiefen Einblick in die Geschäftsverläufe: Wie geht es der Wirtschaft bzw. Industrie derzeit?

Veit Sorger Dass wir jetzt alle in besonderen Umständen leben, die wir vorher nicht kannten, ist evident. Wir haben durch die Pandemie nun Einbrüche, das sind wir einfach nicht gewohnt. Es geht nicht immer nur aufwärts, wir müssen in unseren Überlegungen und Zukunftsplänen inkludieren dass es abwärts gehen kann. Nachdem wir jetzt aber ziemlich tief unten sind geht es sicherlich bald wieder aufwärts.

Sie haben übrigens noch eine Tätigkeit vergessen, die ich ausübe: Ich bin auch Unirats-Vorsitzender der TU in Wien. Warum ich das erwähne ist weil mir diese Position besondere Freude bereitet weil es einen Ausgleich braucht zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Es ist mir ein Anliegen, dass das in meinem Portfolio erwähnt wird.

Es ist zu beobachten, dass Industrieunternehmen - aktuelle Beispiele sind etwa Semperit oder Andritz – überraschend deutlich bessere Zahlen als noch vor wenigen Monaten meldeten. Kann es sein, dass die Industrie aus dieser Krise viel besser herausgeht als gedacht?

Sorger Da muss man stark differenzieren – manche gehen besser aus der Krise heraus, manche trifft sie hart. Bereiche wie Infrastruktur, automotive Teile und Zulieferung – also solche, die in Österreich ein hohes Maß an wirtschaftlicher Tätigkeit ausmachen – brauchen sicher noch eine Zeit, bis sie sich erholen. Und dann gibt es eben krisenresistentere Unternehmen wie die angesprochenen. Semperit hat hier allerdings einen Sonderfaktor weil sie im medizinischen Bereich tätig sind und deren Produkte gerade jetzt stark nachgefragt werden. Neben den Restrukturierungserfolgen, die Semperit hat, muss man schon sagen dass die Gunst der Stunde durch den medizinischen Bedarf, der sich entwickelt hat, gegeben war.

Welche Maßnahmen braucht Österreichs Industrie während und nach der Corona-Krise am dringendsten?

Sorger Die Agenda Austria, an deren Gründung ich mitbeteiligt war, hat sehr pointiert gezeichnet was wirklich notwendig ist, um den Aufschwung sicherzustellen: Wir müssen uns sowohl mit unseren Staatsfinanzen und dem Pensionssystem intensiv beschäftigen, als auch mit Bildung, Weiterbildung und universitären Entwicklungen. Was ganz schlecht wäre, und da hat sich auch an meinen Aussagen im Laufe der Zeit nichts verändert: jede zusätzliche Form von Steuern ist Gift. Das würde die Begeisterung der Unternehmen, am Wiederaufbau tätig zu sein, im Keim ersticken.

Sie waren von 2004 bis 2012 Präsident der Industriellenvereinigung (IV). Haben Sie das Gefühl, dass die Bedeutung von Institutionen wie der IV in Zukunft eher zu- oder abnehmen wird?

Sorger Mein größtes berufliches Feld war eigentlich meine Tätigkeit bei Frantschach Neusiedler Mondi. Dort war ich dort von 1992 bis 2004 CEO. Wir haben mit einem Umsatz von 250 Millionen Euro begonnen, und ich habe an meinen Nachfolger Peter Oswald mit 5,9 Milliarden und 25.000 Beschäftigten übergeben. Ich habe in dieser Zeit nie eine politische Tätigkeit oder eine Kumulierung von Aufsichtsräten gehabt. Nun zu Ihrer Frage: Die Industriellenvereinigung ist als Organisation von einer unglaublichen Stärke und Geschlossenheit und auch geprägt von hochinteressanten Persönlichkeiten – das wird immer seinen Stellenwert haben. Manche Regierungen sehen die IV als unterstützende Organisation und manche als Konkurrenzsituation. So wie beispielsweise Bundeskanzler Schüssel oder auch Gusenbauer die Notwendigkeit und Stärke der IV bewusst unterstützt und gefördert haben so hat es andere gegeben, die den Einfluss und die Unterstützung nicht geben wollten. Werner Faymann war jemand, der in seinen acht Jahren sein Interesse an der wirtschaftlichen Entwicklung und damit auch an der IV nicht in den Vordergrund gestellt hat.

Wie bewerten Sie die Situation derzeit?

Sorger Heute gibt es ein sehr intaktes Verhältnis, die jetzige Regierung kooperiert eng mit der IV, die IV hat die Möglichkeit ihre Themen vorzubringen, Generalsekretär und Präsident leisten hervorragende Arbeit. Gleichzeitig hat sich auch die Wirtschaftskammer mit Mahrer entsprechend modernisiert.

Vor acht Jahren ist ein Buch mit Gesprächen erschienen, die Sie mit Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft geführt haben. Sie haben darin etwa über „Managergier“ mit Gregor Henckel-Donnersmarck gesprochen. Wie gierig sind Manager heute im Vergleich?

Sorger Manchmal beobachtet man Auswüchse, aber ich finde schon dass die Definition der Gier der Manager, umso mehr, wenn sie von Kirchenträgern apostrophiert wurde, reichlich übertrieben ist. Es gibt immer Auswüchse auf der einen und auf der anderen Seite, aber das kann man nicht verallgemeinern.

Mit Alfred Heinzel – sie beide sind große Jagd-Fans – haben Sie über Netzwerken und gemeinsames Jagen gesprochen. Wie funktioniert Netzwerken heute? Werden wichtige Entscheidungen immer noch so „informell“ getroffen?

Sorger Dieser Mythos des Netzwerkens und dass alles unter der Decke ausgemacht wird, ohne Transparenz und Objektivierung, konnte ich nie nachvollziehen. Jagen ist etwas fröhliches, kameradschaftliches, es gibt auch einen gewissen Wettbewerb - und so ist es auch innerhalb der Unternehmen. Jeder versucht für sein Unternehmen das Beste zu machen, die größte Wettbewerbsfähigkeit und Gestaltungskraft zu bringen. Aber zu meinen dass das alles mit einem dichten Netz verbunden ist wo untereinander alles vereinbart und abgesichert ist, ist ein reiner Mythos. Das habe ich in meiner Karriere nie erlebt.

Nach Ihrer IV-Präsidentschaft wollten Sie Ihre „Aktivitäten neu ordnen“ und sich in das eine oder andere sozial- oder gesellschaftspolitische Projekt einbringen. Ist das gelungen?

Sorger Teils ja, teils nein. Ich habe im Laufe der Zeit immer wieder Mandate abgegeben, aber auch neu dazu genommen. Es war ein Glücksfall dass ich mitinitiieren konnte, dass Agenda Austria zustande kommt. Das war ein Projekt das mich wirklich begeistert hat. Die Ista (Institute of Science and Technology Austria, Anm.) in Korneuburg war ein anderes Lieblingsprojekt, das international große Aufmerksamkeit erhalten hat. Es ist das meist honorierte und geförderte Projekt aus Brüssel, 700 Wissenschaftler arbeiten dort an hochinteressanten Grundlagenforschungsprojekten. Auch das Volksbegehren für den Wehrdienst als Antipode zum Hannes Androsch war mir ein Anliegen. Die damalige Innenministerin Johanna Mikl-Leitner hat mir einen Assistenten an die Seite gestellt, damit die ganze Bewegung eine politische Absicherung und Background hat. Er wurde später Staatssekretär und Minister und ist heute Parteichef. Wir haben damals aus einer hoffnungslosen Situation grandios gewonnen. Das war das erste Mal dass ich eine Art Wahlkampf geführt habe – es war auch gottseidank das einzige Mal.