Europa : Wie wahrscheinlich ist eine abfallfreie europäische Industrie?

Im zweiten Anlauf sollte es dann klappen. Nachdem die EU-Kommission ihr Paket zur Kreislaufwirtschaft im Vorjahr überraschend zurückzog und unter Umweltaktivisten Aufruhr und in Teilen der Industrie zumindest Unverständnis auslöste, liegt seit Dezember nun ein Aktionsplan vor. 25 Seiten ist das Schriftstück stark, es strotzt vor Aufbruchsstimmungs-Vokabular. Die Schlussfolgerung der Verfasser auf der letzten Seite: "Mit diesem Aktionsplan wird ein konkretes, ehrgeiziges EU-Mandat erteilt", steht dort. Ein Budget von sechs Milliarden Euro umfasst das Paket, das Europa zu einer ökologischen Vorzeigeregion machen soll – und es gibt Zuspruch: "Wir unterstützen den ambitionierten Plan", hieß es etwa in einer ersten Stellungnahme eines deutschen Industrieverbands. Dass sich – wohl auch wegen des Umfangs des nun vorgestellten Pakets – auch Kritik an den Plänen Brüssels äußert, war zu erwarten. Die Intensität, mit der dies geschieht, nicht unbedingt: "Bei uns poltert niemand", heißt es etwa bei einem heimischen Industrieverband. Wohl aber stoße man sich "an der Vielzahl offener Formulierungen", die der Plan Brüssels beinhalte.

"Lippenbekenntnis"

Nicht jeder freilich geht so weit wie Ulrike Lunacek, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments und Delegationsleiterin der österreichischen Grünen. "Eine Ansammlung von Lippenbekenntnissen" nennt sie den Vorschlag Brüssels. Er bleibe sogar hinter der ursprünglichen und später zurückgezogenen Fassung zurück. Die grüne Mandatarin stößt sich besonders an der Streichung der verbindlichen Ziele für Ressourceneffizienz. Der ursprüngliche Plan sah gegenüber 2014 eine Steigerung um 30 Prozent bis 2030 vor. "Ohne verbindliche Ziele wird dieser Vorschlag zum zahnlosen Tiger", so Lunacek. Schwammigkeit attestiert dem Plan auch die Industrie – wiewohl ihre Kritik naturgemäß auf andere Punkte abzielt. "Derzeit sieht es so aus, als wäre ein nicht unbeträchtlicher Teil der Maßnahmen von der Produzentenseite zu tragen", glaubt eine Verbandsexpertin. Ziel müsse aber sein, "geteilte Verantwortlichkeiten auf allen Ebenen des Abfallmanagements zu schaffen", sagt sie.

Österreich ist Musterschüler

Neue Recyclingquoten würden Österreich freilich nicht sonderlich hart treffen. "Hier sind wir sehr gut im Rennen und würden die neuen Vorgaben locker erfüllen", heißt es in der Industrie. 65 Prozent der Siedlungsabfälle sowie 75 Prozent der Verpackungsabfälle – diese Quoten gilt es bis 2030 EU-weit zu erfüllen, Österreich tut das in beiden Fällen heute schon. "Ich kann mich nicht erinnern, wann in Österreich kein Müll getrennt wurde", meint ein Industrieexperte dazu salopp. Auch beim Rückzug aus der Deponierung ist Österreich Vorreiter und für neue Vorgaben besser gewappnet als andere. Die Reduktion der deponierten Abfälle auf zehn Prozent in den kommenden 15 Jahren sei europaweit gesehen "ein sehr ambitioniertes Ziel", meint der Verband Österreichischer Entsorgungsbetriebe. Freilich nicht ohne anzumerken, dass dieses Ziel nicht "durch Ausnahmeregelungen aufgeweicht" werden sollte. Andere sehen Lücken in der EU-Kreislaufwirtschaft, die es tunlichst zu schließen gelte: In vielen europäischen Staaten gebe es keine Deponieverbote für verwertbare Produkte, kritisiert der deutsche Maschinenbauverband VDMA. Auch die Verfolgung illegaler Müllexporte aus Europa in Länder außerhalb der EU ist den deutschen Verbandsexperten zu schleißig. "Auf diese Probleme muss sich die Politik mindestens genauso konzentrieren wie auf Produktvorgaben", fordert Naemi Denz aus der VDMA-Hauptgeschäftsführung.

Grünes Produktdesign

Und damit liefert die Verbandsfrau das Stichwort. Den Plänen aus Brüssel, schärfere Vorschriften für Produkte zu formulieren, schlägt ein gesundes Misstrauen vieler Industrievertreter entgegen. Das "Null-Abfall-Programm" für Europa könnte auch Erzeuger von Komponenten wie etwa Pumpen oder ganzer Produktionsmaschinen frühzeitig – nämlich beim Produktdesign – in die Pflicht nehmen. "Besseres Design macht Produkte langlebiger und vereinfacht ihre Reparatur, ihre Nachrüstung oder ihre Refabrikation", heißt es im Brüsseler Aktionsplan. So wurde ein Ökodesign-Arbeitsprogramm 2015–2017 aufgegleist. An Normungsorganisationen ergeht der Auftrag, Standards für Materialeffizienz auszuarbeiten. Gegebenenfalls werde man "Produktvorschriften erarbeiten", heißt es in Brüssel. Frühestens im Sommer könnte der Aktionsplan in seiner finalen Fassung stehen. Die Position der produzierenden Industrie wird sich bis dahin wohl nicht mehr groß ändern. Zu klar sind die Standpunkte: Man wolle im Produktbereich durch Umwelt- oder Effizienzkriterien keine Zweiklassengesellschaft, bei der die einen zum Handkuss kommen und andere nicht. Und grundsätzlicher: Es sei zu diskutieren, ob die ökologische Verantwortung eines Herstellers bis ans Lebensende der Maschine zu gelten habe. "Wir produzieren ja keinen Müll, sondern Produkte", so eine Verbandsexpertin.

Ab 2016

Betonung von Kreislaufwirtschaftsaspekten in künftigen Produktvorschriften

Ab 2016 (verspätet)

Neue Verschärfungen infolge des Ökodesign-Arbeitsprogramms 2015–2017

Ab 2016

Auftrag an EU-Normungsinstitute zur Ausarbeitung von Normen für Materialeffizienz

Ab 2016

Aufnahme von Leitlinien zur Kreislaufwirtschaft in die BVT (Beste verfügbare Technologie)-Merkblätter

Ab 2017

Prüfung von Möglichkeiten zur besseren Anwendung des EU-Systems für Umweltmanagement und Umweltbetriebsprüfung

Ab 2018

Verbesserung der Wissensbasis und Unterstützung von KMU bei der Ersetzung gefährlicher bzw. besorgniserregender Stoffe