Sicherheit : Teure Normen für Werkzeugmaschinen

Maschinen fürs schmale Budget. Nach ihnen lechzten im Vorjahr viele. Neugerät mit kleinem Preistaferl lässt sich derzeit besser beim Chef durchargumentieren als eine monströse Kapitalanlage. Im Westen Wiens ließen sich deshalb gute Geschäfte machen: Seit dem Vorjahr vertreibt die precisa CNC-Werkzeugmaschinen in Österreich drei- und fünfachsige Bearbeitungszentren der Marke Quaser. Die Neuzugänge aus Taiwan (ab 70.000 Euro) sind preislich attraktiver, aber kaum weniger untadelig als etwa Yen-belastete Maschinen aus Japan. Eine Botschaft, die von der Industrie gehört wurde: Drei Quaser-Maschinen konnte precisa-Chef Anton Köller in kurzer Zeit an den Mann bringen. "Kein schlechter Start", wie Köller findet. Doch zum Jahreswechsel überraschte ihn sein taiwanesischer Maschinenpartner mit einer unangenehmen Nachricht. Eine Kurskorrektur sei nötig, hieß es sachlich: "Maschinen würden ab sofort um bis zu 10.000 Euro teurer", gibt Köller den Lagebericht seines Geschäftspartners wieder. Ursache? "Der Einsatz einer anderen Steuerungsserie", wurde argumentiert. Ein empfindlicher Preisanstieg im unteren Maschinensegment, der Käufer verschrecken könnte. "Die neuen Sicherheitsnormen ließen aber keine Wahl", beteuerte die europäische Quaser-Niederlassung.

Normendickicht.

Um im Normen- und Verordnungsdickicht den Durchblick zu behalten, ist nicht selten kriminalistischer Eifer gefragt. Lange war die EN954-1 aus 1996 in aller Munde. Sie gab für sicherheitsbezogene Teile von Steuerungen den Weg vor. Definierte sie doch den strukturellen Aufbau von Steuerungssystemen. Doch per 31.12.2011 lief sie endgültig aus. Nun sind zwei Folgenormen zu verwenden. Für elektrische, elektronische und

anwenderprogrammierbare Sicherheitsfunktionen die EN IEC 62061. Für elektrische, hydraulische, pneumatische und einfach programmierbare Sicherheitsfunktionen die EN ISO 13849-1. Letztere birgt Sprengstoff. Einerseits ergibt sich für Maschinen- und Anlagenbauer daraus nicht unerheblicher Mehraufwand durch neue Prüfkapitel. Und auch aus einem anderen Grund bringt sie Werkzeugmaschinenbauer und Maschinenhändler wie Anton Köller in die Bredouille. Bisher lieferte Köller Quaser-Maschinen mit einer Fanuc-Steuerung der Serie 16i aus. Schon länger überwacht die Steuerung die Maschinen zweikanalig. Dabei werden im Millisekundenbereich Positionen und Geschwindigkeiten von Achsen und Spindeln gemessen. Bei den gut eingeführten Fanuc-Steuerungsserien – also auch der 16i – erfolgte dieser Messmarathon unter dem Schlagwort "Dual Check Safety". Aktuelle Ist-Geschwindigkeiten und Ist-Positionen bewegter Maschinenteile – etwa Achsen und Spindeln – werden dabei mit den Geschwindigkeits- und Positionsdaten aus den Sicherheitsparametern verglichen. Wichtig ist die Redundanz: Zwei getrennte Prozessoren prüfen die jeweiligen Daten "gegeneinander". Droht Gefahr, schaltet die Steuerung schnell: Es kommt zu einem „Not-Aus“.

Sprachbarriere.

Doch die liebgewonnene 16i bekommt precisa CNC-Werkzeugmaschinen-Chef Anton Köller nicht mehr – „die Serie läuft aus", heißt es bei Fanuc FA Deutschland knapp. Der Wiener Händler müsse wegen der Norm nun zur – viel leistungsstärkeren – 31i greifen, hat ihm Quaser verständlich gemacht. Und so argumentieren die Taiwanesen auch Mehrkosten von 10.000 Euro pro Maschine durch. Die erschwinglichere Fanuc-Steuerung 0-MC sei nur bei „allereinfachsten Anwendungen eine Alternative“, weiß Köller. Stellt sich die Frage: Warum schicken die Japaner die – bestens eingeführte – 16i aufs Altenteil?

"Mit den Serien 30i/31i/32i haben wir die Sicherheitsfunktion (Dual Check Safety, Anm.) flexibler ausgerichtet und zusätzlich die Inbetriebnahme vereinfacht", erklärt Edgar Weiter, Fanuc-Spezialist für Sicherheitstechnik. Seinem Schweizer Kollegen, René Scherz, entlockt man schon mehr: Fanuc hätte früh begonnen, "mit Redundanz auf die Normensituation Rücksicht zu nehmen", erzählt der Vertriebler. Doch mit der bisherigen Sicherheitsfunktion spielte man offenbar nicht in der Oberliga. „Zwei Programmiersprachen mussten beherrscht werden – eine Riesenarbeit kam also auf den Anwender zui", sagt Scherz. Und er übertreibt nicht: In der Schweiz wurden ältere Steuerungen deshalb beim Kunden fast flächendeckend durch solche „mit neuer Sicherheitsfunktion ersetzt“.

Standardsprache.

Dass eine einfachere Sicherheitsprogrammierung der 16i ein längeres Leben beschert hätte, hält Scherz "für möglich". Anton Köller, Chef der precisa CNC-Werkzeugmaschinen, wäre dann vielleicht leichter ums Herz. Einen Mehrpreis von 10.000 Euro muss er dem Kunden im hart umkämpften Billigsegment erst einmal erklären. Auch wenn die 31i nun sicherheitstechnisch mit einer Standardsprache beherrschbar sei, wie es bei Fanuc lobend heißt. „Jede Achse und Spindel lässt sich separat programmieren", sagt Fanuc-Mann Edgar Weiter. Auch die Maschinenhersteller – in dem Fall Quaser – haben aber zu schlucken: Maschinenbauer müssen seit dem Jahreswechsel mit den Mitteln der Wahrscheinlichkeitsrechnung "die sicherheitstechnische Eignung der Sicherheitsfunktionen von Maschinen – durch Fehlerraten und Ausfallswahrscheinlichkeiten – nachweisen", weiß Gerhard Stockhammer, Abteilungsleiter Services beim Automatisierungstechniker Pilz. Kein Honiglecken – und für viele auch nicht nachvollziehbar: "Drei Viertel der Unfälle haben nicht-technische Ursachen", weiß Heinrich Mödden, Experte für Maschinensicherheit beim Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken. Daniel Pohselt