Mineralölkonzern : OMV-Chef Rainer Seele: "Wir wollen die Mehrheit an den Nordsee-Assets behalten"

Herr Seele, Sie sind seit Juli 2015 Chef des größten heimischen Unternehmens mit einem Staatsanteil von 31,5 Prozent. War Ihnen vorab klar, welche politische Aufmerksamkeit ihr neues Amt bedeuten würde?
Ehrlich gesagt hat mich das Ausmaß des öffentlichen und medialen Interesses überrascht. Es war mir neu, dass viele wirtschaftliche Bereiche der OMV sehr stark politisiert werden. Das ist in meiner beruflichen Laufbahn ein Novum. Ich habe aber relativ rasch gelernt, dass die Kommunikation unserer strategischen Neuausrichtung sehr intensiv und sehr genau sein muss.
Wie unterscheidet sich das von ihrer bisherigen Tätigkeit für die BASF-Tochter Wintershall?
BASF ist zwar börsenotiert, hat aber keine staatlichen Anteilseigner. Das ist bei der OMV bekanntlich anders. Und dies verändert die Art, wie Dinge besprochen und kommentiert werden. Dazu kommt, dass die Natur der OMV durch den Syndikatsvertrag zwischen ÖBIB und IPIC (Anteilsverwaltung Abu Dhabi) stark geprägt wird. Der Vertrag, durch den die beiden größten Anteileigner gemeinsam die Mehrheit stellen, ist von entscheidender Bedeutung. Für mich ist sehr wichtig, dass der Schutzmechanismus des Kontrakts gerade in schwierigen Zeiten des Unternehmens Bestand hat. Damit wird eine feindliche Übernahme praktisch ausgeschlossen.
Wie gefährdet ist die OMV?
Wir dürfen uns nichts vormachen. Wer die hohe Werthaltigkeit der OMV-Assets in den Büchern analysiert und dies der Marktkapitalisierung gegenüberstellt, wird schnell zu einem eindeutigen Ergebnis kommen. Es wäre sehr attraktiv, das Unternehmen über die Börse zu übernehmen. Derzeit ist die Aktie unterbewertet.
Sie waren Mitte April mit dem österreichischen Finanzminister in St. Petersburg um einen sensiblen Vertragsentwurf mit Gazprom zu verhandeln. War die Rolle von Dr. Schelling als Aufpasser oder als Aufputz zu verstehen?
(lacht) Ich fand dies gut und die Aufmerksamkeit hat die OMV geehrt. Aber der Finanzminister kann nicht Aufpasser sein. Das ist der Aufsichtsratsvorsitzende…
…der durch die ÖBIB bestellt wird und seit dem Vorjahr wissen wir, dass diese wieder im Einflussbereich des Finanzministers steht….
Seele (lächelt und macht eine Pause): In St. Petersburg war auch der Ölminister von Abu Dhabi dabei. Die Vertreter der beiden Hauptaktionäre haben unterstrichen, dass sie die Strategie der OMV unterstützen. Das war für die OMV ein sehr starkes Zeichen nach außen.
Politische Rückendeckung spielt bei Geschäften in Russland eine große Rolle. Entsprach die Minister-Begleitung einer in Russland unverzichtbaren politischen Flankendeckung?
Die OMV ist in einem politischen Geschäft. Energieversorgung war und ist immer politisch – egal in welche Weltregion. Der Eintritt der OMV in Verhandlungen mit dem Iran hat ebenso eine politische Unterstützung erfahren wie die Vertiefung unserer Verbindungen zu Abu Dhabi, wo wir uns Mitte März an einem riesigen Gasfeld beteiligt haben. Auch da haben uns Finanzminister und Ölminister begleitet. Das ist für die OMV notwendig und hilfreich, um in diesen Märkten Aktivitäten zu entfalten. Das gehört zu unserem Alltag.
Das Geschäft mit Gazprom wurde im Vorfeld heftig kritisiert. Haben diese Zwischenrufe Ihr Verhandlungspouvoir verringert?
Ich habe das als Überreaktion wahrgenommen. Es wurde über viele Dinge geredet, über die ich an dieser Stelle aber nicht sprechen werde. Aber diese Bedenken waren für unsere Verhandlungsführung nicht bestimmend.
Durch den Gazprom-Deal steigt die Befürchtung, Österreichs ohnehin beträchtliche Energieabhängkeit von Russland würde wachsen. Verstehen Sie diese Ängste?
Natürlich. Ich will sie aber auch entkräften. Die Russlandgeschäfte haben in der öffentlichen Aufmerksamkeit eine dermaßen starke Position, die ihnen strategisch nicht zukommt. Lediglich fünf bis zehn Prozent unserer Neuinvestitionen im Upstream-Bereich gehen nach Russland, um dieses neue Geschäft aufzubauen. Was wir suchen, ist eine breite Versorgung unserer Märkte zu akzeptablen Förderkosten. Das ist das entscheidende Kriterium. Wir müssen in Regionen mit niedrigem Produktionsaufwand. Russland ist da nur eines der Eisen, die wir im Feuer haben.
Die da sind?
Drei Zielmärkte unserer Strategie sind jetzt schon sichtbar. Neben Russland ist dies Abu Dhabi, wo wir unsere Aktivitäten stark gesteigert haben. Und es gibt den Iran, der wieder ins internationale Geschäft zurückkehrt. In diesen drei Ländern arbeiten wir intensiv daran, Öl und Gas zu niedrigen Gestehungskosten zu gewinnen. Dass wir gleichzeitig auch intern an enormen Kostensenkungen arbeiten, geht in diesem Russland-Hype vollkommen unter. Wir restrukturieren unser Gasgeschäft vollkommen neu, wir ordnen das Tankstellengeschäft in der Türkei neu – das sind Maßnahmen, die sind in ihrer Tragweite für die Profitabilität der OMV von ebenso grundlegender Bedeutung wie die Gasfelder in Westsibirien. Es ist einfach zu kurz gegriffen, die neue Ausrichtung der OMV auf das Russlandgeschäft zu reduzieren.
Wie viele Prozent der Erdgasförderungen der OMV werden aus Russland kommen?
Derzeit haben wir in der OMV bei Öl und Gas ein 50:50 Portefolio. Das wird sich in den kommenden fünf Jahren leicht in Richtung Gas verschieben.
Wie viel davon kommt aus Russland?
2020 wird die Produktion in Urengoy anlaufen. Dann werden es etwas um die zehn Prozent der OMV-Gesamtproduktion sein, die aus Westsibirien kommen sollen.
Die Gazprom soll dabei die Betriebsführerschaft übernehmen. Das ist für die technologischen Standard eines Förderunternehmens von grundlegendem Wert. Wird die OMV ihren technologischen Selbstanspruch nach unten revidieren?
Das stimmt so nicht. Wir diskutieren derzeit die Gründung einer Joint Operating Company, die ab Sommer arbeiten soll. Es ist mir wichtig, dass wir unsere Leute in diese Betriebsgesellschaft delegieren, damit wir das Förder-Know how eines westsibirischen Gasfeldes nach Wien holen. Dann sind wir eines der wenigen Unternehmen außerhalb Russlands, die mit Bohrungen im Permafrost umzugehen wissen. Glauben Sie mir, dass wir uns aktiv in diese Betriebsgesellschaft einbringen werden.
Die in St. Petersburg präsentierte Vereinbarung mit der Gazprom hat noch keinen Preis. Erst bis Sommer wird festgesetzt, welche OMV-Beteiligungen in der Nordsee im Abtausch gegen die 24,98 Prozent der Urengoy-Anteile abgeben wird. Kann man da von einem fertigen Deal sprechen?
Wir haben immer gesagt, dass die genauen Strukturen des Asset-Swaps erst im Sommer feststehen werden. Aber die Spekulationen über das Geschäft haben in der Öffentlichkeit überhand genommen und wir mussten die Flucht nach Vorne antreten. Es wurde ja so getan, als ob wir jeden Schreibtisch hier im Headquarter mit einem Gazprom-Fähnchen schmücken. Daher sind wir in Abstimmung mit der Gazprom an die Öffentlichkeit gegangen.
Wie groß ist die Gefahr, dass das Geschäft noch platzt?
Aus unserer Sicht minimal. Wir müssen wirklich nicht mehr viele lose Enden festzurrren. Unser Anteil am Geschäft in Westsibirien ist definiert. Jetzt müssen wir noch viel rechnen, um die Anteile an den Nordsee-Geschäften festzulegen.
Das Nordsee-Engagement der OMV hat vor drei Jahren 2,65 Mrd. Euro gekostet, der größte Industrie-Deal der österreichischen Wirtschaftsgeschichte. Ein Prozent mehr oder weniger machen 26,5 Millionen Euro aus. Kann man sich angesichts dieser Werte so locker mit einem undefinierten Ende zufrieden geben?
Ich weiß, dass wir hier von einem werthaltigen Asset der OMV sprechen. Und ich kann auf alle Fälle sagen, dass wir beabsichtigen, eine Mehrheit an unseren Assets in der Nordsee-Region zu behalten. Wie sich der letzte Rest des Geschäftes gestalten wird, werde ich jetzt im Interesse der Verhandlungen nicht kommentieren.
Wird der in der Nordsee einflussreiche OMV-Förderpartner Statoil den ungeliebten Mitbewerber Gazprom als Mitaktionär überhaupt akzeptieren?
Wir reden über OMV-Anteile, über die wir frei verfügen können und werden. Es ist gute Geschäftspraxis, dass bei Veränderungen unsere Partner miteingebunden werden. Das werden wir auch tun. Aber das macht man erst, wenn man genau weiß, wovon die Rede ist.
Alle reden davon, wie zukunftsträchtig die Nordseeförderung für die Gazprom ist. Warum reduziert die OMV Ihr Engagement?
Es sind hohe Investitionskosten nötig (1 Mrd. Euro, Red). Und da drückt mich der Schuh. Diese sind für die OMV eine Cash Flow-Belastung, die ich bei einem Ölpreis von 40 Dollar gerne auch auf andere Schultern verteile. Die Nordsee bleibt aber ein interessantes Investment.
Sie haben die OMV seit Ihrem Antritt im Juli des Vorjahres auf einen völlig neuen Kurs gebracht. Wie ist aus Ihrer Sicht der Zustand des Unternehmens?
Dass wir so stark restrukturieren müssen, das ist mir am Anfang nicht bewusst gewesen. Aber die OMV hat in der Vergangenheit nur einen schwachen Fokus auf den Cash flow gelegt, (Investitionskraft der Unternehmens; Red.). Selbst bei Ölpreisen von 100 Dollar und mehr, als es einen kräftigen Zufluss an Cash gab, war der Netto-Cash flow nach Dividende negativ. Das hat sehr viel Substanz aus dem Unternehmen geholt. Die Kosten sind zu hoch. Die für ein Förderunternehmen desaströse Entwicklung der Märkte hat jegliche Spielräume beseitigt. Wir mussten 2015 über 3 Mrd. Euro bei unseren Anlagen und Beteiligungen wertberichtigen. Das zieht wie verrückt am Eigenkapital des Unternehmens. Da ist eine Schieflage nicht mehr wegzureden.
Eine alte Managementweisheit besagt, dass ein neuer Chef bei Antritt in der Bilanz tabula rasa macht. Haben Sie dies durch die hohen Wertberichtigungen auch getan?
Der Chef der OMV hat keinen Einfluss auf den Ölpreis. Die neuen Wertansätze werden durch den Markt diktiert. Was auch immer andere Generaldirektoren gemacht haben: Die Wertberichtigungen der OMV sind durch den Verfall der Ölpreise unvermeidbar geworden.
Sie haben in einem Interview gemeint, dass sich die OMV aus ihren Engagements in der Entwicklung alternativer Energien herauslösen wird. Ist dies für ein Unternehmen nicht zu kurz gedacht, dessen Geschäftsmodell durch Ersatz und Ende der fossilen Energien mittelfristig auslaufen wird?
Die DNA der OMV enthält Öl und Gas. Keinen Strom. Das ist, was wir können. Die Exkursion in Strom, ob in türkischen Gaskraftwerke oder auch alternative Stromerzeugung in rumänische Windkraftanlagen, hat dem Unternehmen eine Menge Geld gekostet. Ich muss nicht nur die Technologie, sondern auch die Märkte verstehen. Und das ist bei Strom in der OMV definitiv nicht der Fall. Unsere Heimat liegt in den Öl- und Gasmärkten. Und da werden wir die OMV auch für absehbare Zeit halten.
Auch wenn fossile Energie als Auslaufmodell gilt?
Alle Prognosen, die ich kenne, gehen davon aus, dass Öl und Gas primäre Energieträger bis mindesten 2040 sein werden. Aus Sicht eines Konzerns ist das auch Zukunft. Es ist meine Aufgabe, die OMV in diesem Stammgeschäft von Öl und Gas zu gesunden. Ich darf in der aktuellen Situation keine strategischen Ausflüge machen. Wir müssen die Zeit nutzen, um die Profitabilität des Unternehmens nach vorne zu bringen.
Aber dies ist keine neue Vorgabe….
Wir müssen uns fokussieren. Die OMV braucht ihre Kraft für die Internationalisierung ihres Geschäftes. Das bedeutet, dass der Zugang der OMV zu bestehenden und neuen Vorkommen ermöglicht und gesichert wird. Dafür gibt es interessante und weniger interessante Regionen. In diesen Gegenden muss ich die OMV präsent machen. Das verlangt einen hohen Investitionsbedarf, der keine Streuverluste erlaubt.
Wie limitiert ist die finanzielle Handlungskraft der OMV?
Die OMV ist finanziell nicht so schwach, dass sie handlungsunfähig wäre. Aber wir haben zur Kenntnis nehmen müssen, dass unser Rating um einen Basispunkt abgesenkt wurde. Das ist ein Signal an alle. Ich will den Verschuldungsgrad senken und künftig die Dividenden aus dem Cash flow finanzieren. Wir sind aber immer noch stark genug, um an den Märkten zu agieren.
Herr Seele, Sie sind Präsident der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer, und verfügen spätestens seit Ihrer Zeit bei Wintershall über ausgezeichnete Beziehungen rut russischen Öl- und Gaswirtschaft. Kann man daraus ableiten: Wer Rainer Seele zum CEO der OMV macht, der entscheidet sich gleichzeitig für eine Annäherung der OMV an Russland?
Das stimmt nicht. Ich bin nicht gekommen, um die OMV in das Fahrwasser Russlands zu steuern. Ich bin gekommen, um die OMV ertragreicher zu machen. Der Großteil meines Arbeitstages wird nicht durch das Thema Russland beherrscht sondern durch die Aufgaben der Kostensenkung. Da liegt das Problem der OMV. Wenn ein Generaldirektor der OMV erfolgreich sein will, muss er die Profitabilität steigern, die Arbeitsplätze sichern und einen höheren Börsenwert erzielen. Das ist es, wofür ein Chef hier bezahlt wird. Russland ist dazu nicht mehr als eine strategische Teilkomponente.
In welchem Verhältnis stehen für Sie Profitsteigerung und Arbeitsplätzesicherung?
Das steht im Einklang. Wenn die OMV gesund ist, geht es den Mitarbeitern gut. Und wenn die OMV leidet, dann bekommen das die Mitarbeiter zu spüren. Wir müssen relativ rasch den Output der Produktion steigern. Der Output der Mitarbeiter ist in Ordnung.