Gasmarkt : Gaspreise: Hebelwirkung

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Horrende Energiepreise? Knebelverträge mit Russland? Bedrohung durch neue Konkurrenz aus den USA, die mit Schiefergas auftrumpft? Hört man Gerhard Roiss zu, könnte man meinen, diese Probleme der heimischen Industrie gehören schon bald der Vergangenheit an. Sein Konzern habe sich riesige Lagerstätten im Schwarzen Meer und in der Nordsee gesichert, erzählte der OMV-Boss vor wenigen Tagen in einem Interview. Bereits Ende 2013 sollen die ersten Bohrungen starten. Die Vorkommen seien so groß, dass die OMV schon bald „halb Europa“ mit billigem, eigenen Erdgas versorgen könnte – und die Türkei dazu. Es klang wie ein Märchen. Preisschere öffnet sich Den Alltag der Gasversorgung prägt heute allerdings ein anderes Bild. Lieferanten aus Russland und weiteren Ländern halten die heimischen Abnehmer, Landesversorger und Großhändler im Würgegriff. Weite Teile der Großkunden in Österreich hängen in immer teurer werdenden Langfristverträgen mit den russischen Anbietern fest – und können einstweilen zusehen, wie an den Spotmärkten die Preise seitwärts driften. Der Preisunterschied zwischen dem Direkthandel (OTC) und den heimischen Importpreisen, die sich im Wesentlichen anhand der Langfristverträge berechnen, nimmt entsprechend rasant zu. Laut E-Control beträgt er schon heute satte zehn Prozent – Tendenz steigend. „Der wirtschaftliche Nachteil der langfristigen Verträge zeichnet sich schon das vierte Jahr in Folge ab“, bilanziert die Kontrollbehörde wenig euphorisch. „Desaströse“ Lage Die Lage auf den Gasmärkten werde zunehmend desaströs, bestätigt ein Manager des Gasgroßhändlers Econgas gegenüber dem INDUSTRIEMAGAZIN. Nächste Seite: Die Flucht aus den Langfristverträgen

Wer kann, ergreift deshalb die Flucht aus den Langfristverträgen – und sattelt um auf eine Versorgung über Terminmärkte. „Wir haben keine langfristigen Verträge mehr“, berichtet so ein österreichischer Global Player aus der Chemieindustrie. Auch Wienerberger, Weltmarktführer bei Ziegeln, fährt eine „Hedging-Strategie“ mit Verträgen von sechs bis maximal zwölf Monaten Laufzeit. Die Volatilität an den Energiebörsen nehmen diese Firmen in Kauf. Aber nicht alle Betriebe sind in einer derart komfortablen Situation: Die Mittel, sich aus den Langfristverträgen loszueisen, sind begrenzt. Aber Großabnehmer machen vor, wie es trotzdem gehen kann: Immer öfter erzwingen sie Neuverhandlungen – notfalls sogar vor Gericht. Russische Gaslieferungen seit 1968 Der Löwenanteil der heimischen Lieferungen kommt vom russischen Staatskonzern Gazprom. Als erstes westliches Land schloss Österreich 1968 einen Liefervertrag mit der Sowjetunion ab, andere Staaten machten es bald nach. Jahrzehntelang lieferten die Russen zuverlässig – und Westeuropa war heilfroh, sich eine stabile Grundversorgung gesichert zu haben. Aus dieser Zeit stammen auch die Langfristverträge, auf die die Sowjets gepocht haben, um den Bau ihrer Pipelines finanzieren zu können. Was die Situation für westliche Abnehmer so desaströs macht: Die Eckdaten dieser Verträge. Ihre wichtigste Referenz ist die Bindung an den Ölpreis. Außerdem enthalten sie die gefürchteten „Take-or-pay“-Klauseln: Den Zwang zur Abnahme, auch wenn das Gas gar nicht benötigt wird. Und: Die meisten gelten – bei häufig zumindest 30-jähriger Laufzeit – noch bis 2020 und länger. Kontrakte dominieren bis heute Deshalb dominieren diese Kontrakte auch heute den heimischen Markt: „Ungefähr zwei Drittel der gesamten in Österreich gehandelten Gasmenge ist in den Langfristverträgen gebunden“, so Martin Rainer, Leiter des Energiehandels der Salzburg AG. Und: Über 70 Prozent des heimischen Gasverbrauchs gehen in die Produktion und an die Kraftwerksbetreiber.Nächste Seite: Der Markt ist in Bewegung geraten

Das ging lange gut, weil der Gashandel berechenbar war, die benötigten Mengen auch. „Die Russen waren viele Jahrzehnte auch ein fairer Partner. Dass sie gar nicht liefern, war nie ein Thema“, sagt Gasanalyst Alexander Poegl von JBC Energy in Wien und verweist auf „Swing Supplier“ wie etwa Katar, das sein Flüssiggas einfach dorthin schippert, wo es gerade das meiste Geld zu holen gibt. Versorger verkaufen gelegentlich unter Einkaufspreis Doch seit geraumer Zeit gibt es gewaltige Verschiebungen am Markt. Die Liberalisierung ab 2002 brachte Bewegung auf der Seite der Anbieter. Vor allem aber werden neue Handelsplätze immer wichtiger – heute wird Gas in Leipzig, Paris und an anderen Energiebörsen frei gehandelt. Und während die Nachfrage in Europa schwächelt, wirbeln die USA mit der Förderung von Schiefergas den Weltmarkt durcheinander – einer der größten Energieverbraucher versorgt sich plötzlich zum großen Teil selbst. Die riesigen Gasmengen, die die Amerikaner nicht mehr benötigen, strömen nun zusätzlich auf den freien Markt. Die schwache Nachfrage heizt das Überangebot am Markt zusätzlich an. Besonders unerfreulich ist die Situation für die Energiewirtschaft. Nach Angaben der EVN sind rund 80 Prozent der Gasmengen, die große Landesversorger beziehen, in den Langfristverträgen gebunden. Unter dem Druck der freien Märkte liefern Gashändler und Landesversorger das Gas an ihre Großkunden sogar unter dem Einkaufspreis. Große Kunden wollen neu verhandeln - oder klagen Große Abnehmer reagieren darauf mit Kampflaune. „Es gibt kaum eine Möglichkeit, die Langfristverträge vorzeitig zu beenden – aber in ihnen sind Preisanpassungen vereinbart, in der Regel für alle drei Jahre. Viele in Europa versuchen, diesen Punkt neu zu verhandeln“, sagt Martin Rainer von der Salzburg AG.Nächste Seite: Verhandeln in Wien - und warten auf US-Exporte

Gibt es keine Einigung, ziehen die Vertragspartner vor ein internationales Schiedsgericht. Hier konnte zum Beispiel die Energie Steiermark im Vorjahr mit der österreichischen Gazprom-Tochter GWH eine außergerichtliche Einigung erzielen. Direkte Verhandlungen mit Gazprom Die Großen dagegen verhandeln mit Gazprom direkt. Zehn europäische Gaskonzerne haben aktuell bei dem Staatskonzern Protest eingelegt. Gerade in diesen Tagen findet in Wien wieder ein Kampf um Milliarden statt: Der deutsche Energieriese RWE, der auch an der Kelag beteiligt ist, klagt auf Rückzahlungen und neue Vertragsklauseln. Nicht ganz aussichtslos: Eon erkämpfte sich 2012 einen Ergebniseffekt von einer Milliarde Euro. Auch die heimische Econgas konnte im Vorjahr Nachbesserungen erreichen – und prozessiert aktuell wieder, will aber keine Details nennen. Doch diesmal mauern die Russen – das ganze Land hängt an den Gaseinnahmen. Verbund-Chef Anzengruber deutet es nur an: Die russische Seite verhalte sich „nicht dynamisch“. Bis Druckschluss gab es keine Entscheidung, erwartet wird sie in den nächsten Tagen. Warten auf die US-Exporte Wer wissen will, wohin sich die Preise entwickeln, sollte auch in die USA schauen. Die Amerikaner rollen mit eigenem Schiefergas gerade den gesamten Weltmarkt auf. Doch anders als es Medien meist berichten, exportieren sie nur in ihrer Freihandelszone: Europa sieht von dem US-Gas nichts. Aber: 2015 könnte das Exportverbot fallen. Derzeit werden zwei Terminals vorbereitet, die ausdrücklich für den Export bestimmt sind. „Wie viel die USA dann daraus exportieren und was davon nach Europa kommt, ist die zentrale Frage der nächsten Jahre“, sagt Pögl von JBC Energy. Viele Fracking-Firmen schreiben Verluste - und wollen exportieren Zwar wird Amerikas Industrie dann wohl dagegen sein, allerdings drängen die Gasförderer des Landes schon heute massiv auf höhere Exportquoten. Denn im Gegensatz zu dem Bild, das in der Öffentlichkeit zum Thema Schiefergas verbreitet wird, schreiben viele Förderer mit Fracking heute Verluste. Und viele andere erreichen gerade einmal die Grenze der Profitabilität – was ein offizielles Papier des US Department of Energy Mitte Juni gerade wieder bestätigt hat. Steigen also ab 2015 die US-Exporte an, würde der Gaspreis in den USA leicht nach oben steigen, während er in Europa sinken würde – in diesem Fall gerät Gazprom mit seinen Langfristverträgen noch mehr unter Druck. Geht es nach der OMV, könnte allerdings auch alles ganz anders kommen. Sollten sich die Hoffnungen von OMV-Chef Roiss erfüllen, spielt zumindest hierzulande russisches Gas wohl bald keine Rolle mehr. Und Schiefergas aus den USA auch nicht. (Industriemagazin, Ausgabe 07/2013)