Digitalisierung : Betriebsrat 4.0: Wie Personalvertreter zur Digitalisierung stehen
Das Fazit der arbeitssoziologischen Untersuchung "Industrie 4.0" fällt unmissverständlich aus: Nicht Technik entscheidet darüber, wie die Digitalisierung Produktion und Arbeit künftig umkrempeln wird. Die Gestaltungsmöglichkeiten liegen vielmehr bei der Gesellschaft. Drei mögliche Konstellationen hat die Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt FORBA in ihrer Studie - erstellt für die AK - herausgearbeitet. Erstens - das Positivszenario für Mitarbeiter: Intelligente sozio-technische Systeme, das Beschäftigte ergonomisch entlastet und sie Techniken eigenverantwortlich, qualifiziert und selbstorganisiert als smarte Werkzeuge nutzen lässt.
Zweitens - das Negativszenario: Das fortgesetzte Beschreiten der Pfade des Taylorismus, der inhaltlichen Entleerung von Industriearbeit bei gleichzeitig kleinteiliger Kontrolle von Beschäftigten durch vernetzte Technologien.
Und drittens - der Mittelweg: Unterschiedliche Mischformen „kontrollierter Autonomie“ oder „hybrider Steuerung“.
Kein alter Wein in neuen Schläuchen ist demnach für AK-Oberösterreich-Präsident Johann Kalliauer die jüngste Digitalisierungsströmung. Im Gegensatz zu jener Auslegungsart von Automatisierung, die nur der Rationalisierung dient, sei beim Internet der Dinge ein Nutzen für Mitarbeiter erwartbar: Körperliche Entlastung, neue Job-Descriptions und Entwicklungsmöglichkeiten.
Dort, wo es notwendig sei, durchaus selbstbewusst den Pflichten einer Interessensvertretung nachzukommen, damit kann Kalliauer freilich ebenso dienen: Arbeitsbelastung, Arbeitszeiten, betriebliche Qualifikation, die Verteilung der Digitalisierungsgewinne - Themen, für die es sich lohnt, die Mitbestimmungsinstrumente noch einmal deutlich nachzuschärfen, findet er genug.
Qualifizierung
Eine neue Qualität der Mitbestimmung: Die fordert auch die Produktionsgewerkschaft. Pro-ge-Boss Rainer Wimmer verhehlt nicht, wer seiner Meinung jetzt in der Pflicht sei, die Mitarbeiter für die neue Produktionspraktiken vorzubereiten: "Weiterqualifizierung ist ein existentieller Punkt - und die hat der Arbeitgeber bereitzustellen", sagt er. Eine Argumentationslinie, die Roland Sommer, Chef des Vereins Industrie 4.0 Österreich, bekannt ist: Der Verein, in dessen Vorstand Vertreter der Industrie und Verbände sitzen, hat sich den "breiten Schulterschluss bei den Veränderungen in Produktion, Dienstleistung und Arbeitswelt" auf die Fahnen geschrieben. Und darf sich laut Sommer rühmen, von europaweit zwölf derartigen Plattformen eine von nur dreien (Deutschland, Österreich, Schweden) zu sein, in der mit der Pro-ge auch die Gewerkschaft vertreten ist.
Sein Eindruck von der bisherigen Vereinsarbeit ist ein sehr positiver: "Wir ziehen an einem Strang", gibt er zu Protokoll. Auch Thomas Stoimaier, Betriebsratsvorsitzender beim Autozulieferer Magna Steyr, sieht in der Aus- und Weiterbildung Herausforderungen, denen man sich zu stellen habe: "Es liegt in unserer Grundverantwortung, Arbeitnehmern die Hemmungen vor den neuen Entwicklungen zu nehmen", sagt er. Und auch die Politik sei gefordert, im 4.0-Zeitalter die künftigen Aufgaben der Gesellschaft und die Rolle von Technologien zu definieren: Stoimaier sehe das als Teil eines notwendigen gesellschaftlichen "Friedensprojekts".
"Kein Kuschelkurs".
Zugleich sieht so mancher Betriebsrat jetzt die Stunde der Gewerkschaften gekommen, für jahrzehntealte sozialpartnerschaftliche Errungenschaften zu kämpfen. "Kuschelkurs wünsche ich mir definitiv keinen", meint ein Angestelltenbetriebsrat eines niederösterreichischen Fertigungsbetriebs. Er selbst sei zwiegespalten, was er von der Digitalisierung zu halten habe. Er wolle deren Möglichkeiten keinesfalls verunglimpfen - aber auch kein Szenario, in dem Maschinen den Hilfarbeitern in Legion den Job wegnehmen. Vor allem aber fürchtet er - als Belegschaftsvertreter eines Standorts, der selbst massiv von Standorteinsparungen getroffen wurde - die Spaltung: Die Teilung von Platzhirschen in immer kleinere Produktionseinheiten mache angreifbar. "Und ich will keine Welt voller Ich-AGs", sagt er.
Konsenssuche.
Mit Betriebsvereinbarungen setzen sich Personalvertreter deshalb auch weiterhin dort zur Wehr, wo sie die Mitbestimmung von Mitarbeitern beschnitten oder schützenswerte Interessen übergangen sehen. So nahm der Betriebsrat eines deutschen Stahlkochers mit einer Fülle an betrieblichen Einzelvereinbarungen einem von Belegschaftseite gefürchteten Digitalisierungsprojekt seine Wucht - der Vorstand kochte.
Viel häufiger aber sucht und findet man den schnellen Konsens. Kürzlich reichte bei einem heimischen Maschinenbaustandort schon die richtige Argumentationslinie aufseiten der Personalvertreter, um die Digitalisierungs-Roadmap im Konzern umzuschreiben: Eine vom deutschen Vorstand geplante Harmonisierung der Produktionssteuerungssysteme über Standorte - sie hätte Mannjahre verschlungen - wendete der österreichische Betriebsrat durch die richtigen Argumente ab. Jetzt setzt man auf eine deutlich zukunftsträchtigere Lösung.