Abfallwirtschaft : Abfallwirtschaft: Heimische Entsorger unter Druck
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Was Anlagen der heimischen Abfallwirtschaft können, zeigt sich zum Beispiel im oberösterreichischen Hörsching. Hinter den weißen Wänden einer großen Halle dröhnt dort eine Sortieranlage der Energie AG Umweltservice. Verpackungen aus Plastik und Metall fahren rasend schnell über ein Förderband. Die Anlage strahlt sie mit einem Nahe-Infrarotscan an, berechnet über die Reflexion das jeweilige Material und schießt es wenige Meter weiter mit Luftdruck heraus. So wird ein Haufen Müll wieder in wertvolle Ressourcen verwandelt, nämlich in etwa 15 verschiedene Sorten Kunststoff, Metall, Nicht-Eisen-Metall. Jetzt sind die Stoffe bereit für eine Wiederverwertung in der Produktion. Oder als Energieträger in einer Verbrennungsanlage, die das Gift aus den Abgasen so weit herauszieht wie möglich. 40.000 Tonnen schafft die Hörschinger Sortieranlage pro Jahr – rein rechnerisch entspricht das 110 Tonnen an jedem einzelnen Tag.
Bei Kunststoffen sei das Recyclingmaterial in Österreich vergleichbar mit Rohöl, sagt Franz Sauseng, Geschäftsführer von Interseroh Österreich. "Die modernen Anlagen hierzulande schaffen eine Sortiertiefe von 95 Prozent und mehr. Das ist schon sehr besonders." Ein fundiertes Urteil, denn der Job von Sauseng ist es, Vergleiche anzustellen. Hierzulande tritt Interseroh gegenüber Kommunen und Industrieunternehmen als unabhängiger Berater und Dienstleister für Abfallmanagement auf. Außerhalb Österreichs ist es als Teil der deutschen Alba Group eines der zehn größten Recyclingunternehmen der Welt.
Veränderungen in den Vorzeigebetrieben
Etwa 1.100 Hightech-Anlagen für die Abfallverarbeitung stehen hierzulande, und mit ihnen erreicht die heimische Abfallwirtschaft eine Recyclingquote von knapp 60 Prozent – einer der besten Werte Europas. Gerade laufen die meisten Anlagen auf Hochtouren. Das Wifo erwartet für heuer ein Wachstum von 1,7 Prozent, und die Entsorger sind ein guter Konjunkturindikator. "Die Betriebe sind alle gut ausgelastet. Das Abfallaufkommen steigt. Wir alle haben gut zu tun", sagt Stefan Tollinger, Geschäftsleiter für Österreich und Deutschland beim Kremser Familienunternehmen Brantner, der Anlagen in sieben Ländern Europas und der Türkei betreibt. Dann fügt Tollinger allerdings hinzu: "Doch die Umsätze der Entsorger steigen nur marginal. Und auf die Branche kommen massive Anpassungen zu."
Tatsächlich sind es diese Anpassungen, die in den Kantinen und Chefetagen der Abfallbetriebe gerade für Gesprächsstoff sorgen. Zwei große Trends treiben die Branche zur Zeit ganz besonders um: Erstens eine Instabilität der Preise, die in dieser bodenständigen Branche noch vor Kurzem völlig unbekannt war. Zweitens das Kreislaufwirtschaftspaket der EU, das die gesamte Abfallwirtschaft Europas neu aufstellen will. Und schließlich die ganz gewöhnlichen Herausforderungen des Alltags wie etwa neuartige Stoffe aus der Industrie, die auch die modernsten Anlagen und Filtersysteme überfordern.
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Massive Verwerfungen: Höhere Preise kommen
Das zentrale Thema, das die Branche derzeit umtreibt, ist die neue Volatilität der Preise am Markt. "Der Abfall ist ein internationales Gut geworden", sagt Ralf Mittermayr, Marketingvorstand bei Saubermacher, einem der größten heimischen Entsorgungsbetriebe. Konkret: Bei den Mengenvolumen und den Preisen für Altmetalle, Altöl, Altholz oder Kunststoffen gibt es seit rund einem Jahr Schwankungen, die in dieser Branche bis dato völlig unbekannt waren. Während die Nachfrage nach Verbrennungsanlagen aktuell höher ist als ihre Kapazitäten, drücken bei Altöl oder Metallen die Verwerfungen am Weltmarkt die Rendite der heimischen Entsorger in den Keller. Und gleichzeitig verändern sich diese Märkte und Mengen ständig.
Deshalb erwarten alle hier befragten Geschäftsführer der Abfallwirtschaft einen Schritt, der ihre Kunden in der Industrie wie auch bei den Haushalten schmerzen wird: Einen "signifikanten" Anstieg der Preise für die Abfallentsorgung. Dieser finde jetzt schon statt und werde sich im kommenden Jahr nochmals beschleunigen, wie es heißt. Der Erwartung zufolge werden die Tarife für die einzelnen Abfallfraktionen um zehn bis 25 Prozent steigen, zum Teil darüber. "Für die heimische Industrie, die in einem internationalen Wettbewerb steht, ist das nichts Positives. Deshalb versuchen wir immer, Schwankungen zuerst selbst aufzufangen. Aber beim aktuellen Kostenanstieg wird das schwierig", sagt Gerhard Hecker, Direktor für Großkunden bei Saubermacher.
Mit Quartalspreisen gegen die Volatilität
Preiserhöhungen allein werden allerdings nicht reichen, um die Schwankungen auszugleichen. Deshalb stellt sich die Entsorgungsbranche gerade auf eine zweite einschneidende Veränderung ein: Die Umstellung auf kürzere Verträge mit Kunden. "Aufgrund der Volatilität des Marktes sollte durch Abschluss von Quartalspreisen statt längerfristiger Jahresvereinbarungen auf Marktentwicklungen besser eingegangen werden", heißt es in einem internen Papier des VÖEB. Bereits heute dienen bei einzelnen Fraktionen wie Schrott und Metall die Indizes der Londoner Metallbörse LME als die zentrale Orientierungsgröße – bei anderen Fraktionen fehlen solche Indizes und müssen Monat für Monat ausgehandelt werden. Sehr mühsam. Und nicht gerade das, was sich die Kunden am meisten wünschen. "Unser Ziel ist es, wenn es irgendwie geht, auf Volatilität bei Preisen zu verzichten. Mir ist eine faire Preisstabilität sehr viel lieber als eine wöchentlich ausschlagender Preis", sagt Franz Sauseng von Interseroh, der für Betriebe und Kommunen die Verhandlungen mit den Entsorgern übernimmt.
Doch auch für die bodenständige Abfallwirtschaft sind kurzfristige Preise bis heute alles andere als normal, erklärt Stefan Tollinger von Brantner: "Branchen wie die Mineralölindustrie sind Schwankungen seit Langem gewohnt. Wir sind bis jetzt viel weniger darauf eingestellt, und unsere Kunden noch weniger, die meist kein Verständnis dafür haben. Bei einer großen Baustelle zum Beispiel müssen sie ja genau kalkulieren können." Doch trotz aller absehbaren Konflikte mit den Kunden betonen alle hier befragten Abfallbetriebe, dass ihnen angesichts der Gesamtentwicklung keine Wahl bleibt. "Eine Rückkehr zu weniger volatilen Märkten wird es nicht geben. Der Trend ist also unumkehrbar. Wir werden uns deshalb zusammen mit unseren Kunden darauf einstellen müssen", sagt Tollinger.
Drei Treiber hinter den Schwankungen
Was aber sind aktuell die Ursachen für die neue Instabilität? Ralf Mittermayr von Saubermacher nennt den Kern des Problems: "Drei Treiber bestimmen gerade die Situation unserer Branche: Nach Österreich drängen sehr viele Abfallmengen aus dem Ausland herein. Parallel dazu verfallen die Preise für Energie und Rohstoffe. Und dann kommen noch neue Regularien hinzu."
In Deutschland, wo die Entwicklung vergleichbar ist, drückt es der Chef eines westdeutschen Abfallbetriebs gegenüber dem Fachdienst Euwid etwas drastischer aus: "Uns droht ein Entsorgungsnotstand." Auf dem Gelände vieler Betriebe lagern demnach gerade Abfallmengen, die die genehmigten Kapazitäten weit übersteigen – und die Behörden drücken demnach beide Augen zu, weil auch sie keine Lösung für das Problem sehen. Drohen damit auch hierzulande Zustände wie in Neapel? Wohl kaum.
"Das Problem ist die Preisvolatilität. Schwankungen bei den Stoffströmen sind für uns kein Problem", sagt Roland Richter, Geschäftsführer der Energie AG Oberösterreich Umwelt Service.
Müll aus dem Ausland
Mehrere europäische Länder sind nach Jahren des Zögerns gerade dabei, ihre enorm hohen Deponiequoten zu reduzieren, allen voran Großbritannien und Italien. Nicht immer freiwillig. So musste zum Beispiel die Stadt Rom ihre Deponie, die größte Europas, auf Druck der EU schließen. Im August hat Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi bei den Entsorgern in Deutschland und Österreich angefragt, weil sich in Italien keine Entsorger für den Abfall der Hauptstadt finden. Auch Großbritannien will seiner Deponiequote von bis zu 50 Prozent mit neuen Gesetzen einen Riegel vorschieben, doch ausreichend eigene Anlagen hat das Land noch nicht. Deshalb geht der englische Müll auf Reisen, und zwar vorzugsweise dorthin, wo eigentlich genug Kapazitäten vorhanden sind – in Länder wie Deutschland oder Österreich. Wie hoch aktuell der Anteil des Auslandsmülls in Österreich ist, kann niemand sagen. Insider schätzen ihn auf deutlich unter 20 Prozent.
Zumindest für die Verbrennungsanlagenbetreiber ist das eindeutig positiv. "Die heimischen Verbrennungsanlagen wären allein mit den in Österreich anfallenden Mengen nicht zur Gänze ausgelastet", sagt Stefan Tollinger. So aber übersteigt die Nachfrage nach Anlagekapazitäten das Angebot – und jene Betriebe, die eine Verbrennungsanlage betreiben, können ohne Zusatzkosten deutlich höhere Preise verlangen. An anderer Stelle müssen sie dafür einen Rückgang der Einnahmen hinnehmen, etwa beim Verkauf von Strom und Fernwärme aus thermischen Anlagen, was massiv von den gesunkenen Strompreisen im Großhandel beeinflußt wird. Oder die Entsorger sehen sich selbst mit steigenden Kosten konfrontiert – weil bei vielen Abfallsorten inzwischen der Weltmarkt das Geschehen bestimmt.
Weltmarkt als Treiber
Die von China dominierte Stahlschwemme drückt auch die Preise für Schrott und Altmetalle nach unten. In Deutschland melden Unternehmen bei Stahlschrott für 2015 einen Rückgang der Erlöse um knapp 30 Prozent. Der Einbruch der Ölpreise wiederum sorgt für einen Verfall bei Kunststoffen und Altölen. Für Kunststoffverarbeiter rechne sich das Geschäft mit Granulat aus Recycling-Kunststoffen erst ab einem Rohölpreis über 45 Euro, heißt es beim deutschen Fachverband BDE. Liegt der Preis darunter, greifen die Hersteller lieber zum neuen Granulat. Und der Ölpreis, der lange deutlich weniger als 30 Euro betragen hat, dümpelt derzeit bei 40 Euro herum. Eine vergleichbare Situation beim Altöl: Als der Ölpreis noch immer weiter stieg, bekamen Unternehmen vom Entsorger häufig eine Vergütung – inzwischen schließt man beim VÖEB nicht mehr aus, dass Kunden für die Abnahme eine Zuzahlung leisten müssen. In Deutschland müssen sie heute schon draufzahlen. "Ein nicht ganz einfacher Prozess, diesen Wandel mit den Kunden zu diskutieren", heißt es beim Bundesverband Altöl.
Neue Verordnungen sorgen für Wirbel
Für Bewegung nicht nur beim Preis hat heuer die neue Recycling-Baustoffverordnung gesorgt. Ziel der Novelle war es, Bauschutt in einer höheren Qualität aufbereiten zu lassen, damit das Material im Sinne einer Kreislaufwirtschaft besser wiederverwendet werden kann. Damit verbunden ist aber auch eine umfangreiche Dokumentationspflicht und Analyse von Schadstoffen. Weil aber immer mehr Schadstoffe verbaut werden und der Aufwand für Prüfungen so groß war, stieß die Novelle auf erbitterten Widerstand bei den Abfallbetrieben und auch bei der Bauwirtschaft. Das Argument: Die Novelle erhöhe keineswegs die Recyclingquoten bei Bauschutt, sondern steigere nur den Andrang auf die immer knapper werdenden Deponiekapazitäten – und schraube zugleich die Kosten der Entsorgung massiv in die Höhe.
"Diese Verordnung bringt eine ganze Branche ins Trudeln", meinte im Frühjahr Gerald Hanisch vom Linzer Recyclingmaschinen-Hersteller Rubblemaster und startete eine eigene Petition gegen das Regelwerk. Selbst der Stahlriese Voestalpine soll dem Vernehmen interveniert haben. Schließlich versprach Umweltminister Andrä Rupprechter eine Novellierung der Verordnung. Unter dem Strich bleibt allerdings auch hier ein eindeutiger Effekt: Die Kosten für die Entsorgung des Bauschutts sind spürbar gestiegen.
Schwemme bei Altholz
Mit Spannung erwarten die Entsorger auch die Verordnung zum Recyclingholz, die 2017 kommen soll und voraussichtlich eine deutlich höhere Recyclingquote vorschreiben wird. Derzeit fallen in Österreich etwa 760.000 Tonnen Altholz pro Jahr an, davon übernehmen 600.000 Tonnen die Verarbeiter in der Industrie. "Im Moment haben wir mehr Altholz zur Verfügung, als die Industrie verwerten kann", sagt Roland Richter von Energie AG Umwelt Service, und verweist auf Faktoren wie den milden Winter, die rege Bautätigkeit und den massiven Druck durch die Abfallmengen aus dem Ausland. "Mit der Verordnung werden noch größere Mengen am Markt sein und die Preise noch weiter drücken." Ein anderer Manager, der nicht genannt werden will, rechnet vor, was das bedeutet: Vor wenigen Jahren bekam demnach ein Kunde noch über 30 Euro für eine Tonne Altholz in guter Qualität. Im kommenden Jahr dürfte der Betrag stark sinken, und 2018 müsste derselbe Kunde möglicherweise für die Entsorgung von Altholz sogar etwas drauf zahlen: "Das wäre ein Delta von 30, 40 Euro."
EU-Müll: Die Hälfte wird deponiert
Knapp die Hälfte des Mülls in der EU wandert auf die Deponie – bei 2,5 Milliarden Tonnen pro Jahr eine gewaltige Menge. In einzelnen Staaten Süd- und Osteuropas, etwa in der Slowakei oder Rumänien, beträgt der Anteil sogar 80 Prozent. Genau das soll das neue EU-Kreislaufwirtschaftspaket ändern. Die Eckdaten: Eine Anhebung der Recyclingquote auf 65 Prozent, ein Zurückdrängen der geplanten Obsoleszenz bei Produkten mit einer schärferen Ökodesign-Richtlinie und eine Reduktion der Deponierung auf ein Zehntel bis 2030. Zusätzlich weist der VÖEB darauf hin, dass mit mehr Recycling der Einsatz von Primärwerkstoffen um ein Viertel reduziert werden kann. Die Industrie in Europa würde so jährlich630 Milliarden Euro einsparen, was acht Prozent des Umsatzes entspreche.
In vielen Ländern stößt das Papier trotzdem auf starken Widerstand. Nicht so in der heimischen Abfallwirtschaft – die ja nichts zu befürchten hat, weil unbehandelte Abfälle in Österreich schon seit zwölf Jahren grundsätzlich nicht mehr deponiert werden dürfen. Hier überwiegt eher die Kritik daran, dass die Vorschläge der EU-Kommission deutlich hinter ambitionierten Ankündigungen zurückbleiben. Doch unter dem Strich herrscht in Österreich ein ausgesprochen positiver Tenor im Hinblick auf die Vorlage aus Brüssel. Die Betriebe betonen auch die Chancen, die sich im Technologieexport ergeben werden – und warten auf die nächste Sitzung zu diesem Thema Anfang November in Brüssel. Und genau das ist auch das größte Problem der heimischen Entsorger mit dem Kreislaufpaket: Wann die Novelle kommt und mit welchen Kompromissen, weiß niemand.
Ein starkes Motiv jenseits der Ökonomie
In allen Gesprächen mit den Geschäftsführern heimischer Entsorgungsbetriebe ist allerdings immer wieder ein weiteres, weniger ökonomisches Motiv stark spürbar: Ein achtsamerer Umgang mit den gewaltigen Materialströmen. Auch deshalb drängen sie darauf, möglichst nichts mehr zu deponieren, möglichst viel zu recyceln, und größere Teile der industriellen Produktion endlich wirklich auf eine echte Kreislaufwirtschaft umzustellen. "Es ist sehr wünschenswert, dass es weniger Abfall gibt", sagt Roland Richter von der Energie AG. "Wir Entsorger verstehen uns nicht als Verbrenner, sondern als Teil der Ressourcenwirtschaft. Es geht darum, möglichst viele Ressourcen herauszuholen, um sie wieder der Industrie zuzuführen. Und dabei andere Ressourcen zu schonen."