Hintergrund : Coronavirus: Von Chinas Wildtiermärkten und Italiens Textilindustrie

Textilindustrie Fasern
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Die Epidemie Covid-19 nahm auf Chinas Märkten mit Wildtieren ihren Ausgang, genau so wie eine andere Epidemie namens "Sars" einige Jahre zuvor. Von einem Markt der Stadt Wuhan konnte sich das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 ausbreiten. Mit verheerenden Auswirkungen auf das öffentliche Leben weltweit, auf die globale Wirtschaft und insbesondere die Lieferketten der Industrie.

Fehlende Hygiene und befremdliche Essgewohnheiten Chinas als Ausgangspunkt

Im Zuge der Ausbreitung häufen sich Medienberichte über die Essgewohnheiten der Chinesen, die vielen Menschen in anderen Regionen der Welt recht befremdlich erscheinen. Dazu kommen die oft katastrophalen hygienischen Zustände auf den Märkten, auf denen mit Tieren und Lebensmitteln gehandelt wird. Zwar hat Chinas Regierung den Handel mit Wildtieren Ende Jänner verboten - vorübergehend. Doch laut aktuellen Zahlen der Umweltorganisation "Environmental Investigation Agency" scheint der Appetit der Chinesen auf wilde und oft illegal gefangene Tiere weiterhin ungebrochen zu sein, wie orf.at hier berichtet. Demnach wird das Fleisch von Fledermäusen, Affen, Krokodilen, Schlangen, Schuppentieren und sogar Tigern gehandelt, aber auch von Haustieren wie Eseln, Hunden und selbst Katzen. Häufig werden Tiere gleich an Ort und Stelle geschlachtet und zubereitet. Ein großer Treiber der Nachfrage ist auch die sogenannte "Traditionelle chinesische Medizin" (TCM).

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In Italien tauchen neue Fragen zur Ausbreitung auf

Auch dass ausgerechnet der Norden Italiens so außergewöhnlich stark von der Ausbreitung betroffen ist, könnte direkt mit China zusammen hängen. Das ist jedenfalls die zentrale These in zahlreichen italienischen Medienberichten.

In Italien hat die Ausbreitung des Coronavirus in der Provinz Lodi ihren Anfang genommen, nur wenige Kilometer von der Modemetropole Mailand entfernt. Warum ist ausgerechnet Norditalien so massiv betroffen? Für viele italienischen Medien gibt es dazu einen Grund, und der heißt "Pronto Moda" - ein Schlagwort, das die Produktion von vermeintlich italienischen Produkten meint, die in Italien von Chinesen und unter chinesischen Bedingungen hergestellt sind.

"Pronto Moda": Wie eine ganze Industrie ausgetauscht wird

Zentrum von "Pronto Moda" sind ehemals italienische Fabriken in der norditalienischen Stadt Prato in der Toskana. "Pronto Moda" entstand nicht von heute auf morgen. Rund um das Jahr 2000 kamen sehr viele chinesische Unternehmer in traditionsreiche Regionen der Textilindustrie, etwa nach Prato, wo zuvor jahrzehntelang Zulieferbetriebe in Familienhand noble Stoffe für Marken wie Armani oder Versace fertigten.

Doch seit den 1990er Jahren gerieten die Preise am Weltmarkt plötzlich massiv unter Druck - in der Folgezeit musste ein alteigesessener italienischer Hersteller nach dem anderen zusperren. Und die Neuankömmliche konnten recht günstig leer stehende Werkhallen übernehmen.

In Pratos Industriedistrikt ist kein italienischer Betrieb mehr zu sehen

Als dann schließlich China im Jahr 2001 der Welthandelsorganisation WTO beitreten durfte, habe auch der Import billigster Textilien aus Asien massiv zugenommen, so ein Hintergrundbericht der "Presse" aus dem Jahr 2016. In den Folgejahren entstand in dieser norditalienischen Region eine riesige Industrie für Bekleidung, die stets mit dem Label "Made in Italy" operiert. Gleichzeitig war von Löhnen von einem Euro die Rede - und vielen tausend Arbeitern aus China, die mitten in Italien unter unwürdigen Bedingungen und ohne Zugang zu medizinischer Versorgung leben und arbeiten müssen.

Als vor enigen Jahren bei einem Brand einer Fabrik sieben chinesische Arbeiter ums Leben kamen, machte der Standort weltweit Schlagzeilen. Medien berichteten von Arbeitsverhältnissen "wie in Bangladesch" und von Sklaverei mitten in Italien.

Die Stadt Prato hat etwa 180.000 Einwohner. Davon stammen offiziell inzwischen rund 25.000 aus China, allerdings ist von einer Dunkelziffer von vielen zehntausend illegalen Einwanderern die Rede. Im Industriedistrikt von Prato sei jedenfalls kein italienischer Betrieb mehr zu sehen, berichtete bereits 2010 der "Tagesspiegel".

Abnehmer sind Händler in ganz Europa

Auch die Zahl von Textilbetrieben in chinesischer Hand wächst rasant. Offiziell sind heute in Prato mehr als 2.500 chinesische Textilunternehmen gemeldet, das sind fast doppelt so viele wie vor drei Jahren. Sie produzieren Billigstware unter dem Label „Made in Italy“ und vertreiben sie gleich an Ort und Stelle in riesigen Großmärkten.

Ihre Abnehmer sind Händler aus Italien, Deutschland, Spanien und Frankreich, die sich nicht nur einen guten Teil des sonst üblichen Kaufpreises sparen, sondern auch die Lieferzeit per Schiff und die Einfuhrzölle an Europas Außengrenzen, schreibt das "Handelsblatt".

Tausende Arbeiter waren zum Neujahrsfest auf China-Besuch

Vor wenigen Tagen hatte die rechte Partei Fratelli d'Italia heftige Kritik an den Zuständen geübt, als bekannt wurde, dass Ende Jänner tausende Arbeiter aus Norditalien zum chinesischen Neujahrsfest nach China gereist waren. Eleonora Della Ratta, die Sprecherin des Bürgermeisters von Prato, widersprach gegenüber der "Presse am Sonntag" dieser Kritik: Wer sich ohne Papiere in Italien aufhalte, der könne nicht einfach so nach China reisen und dann wieder zurück.

(pm)

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