Exklusiv : Mirko Kovats: Die Akte AE&E

AE&E Insolvenz Anlagenbau
© Helene Waldner

Dieser Artikel erschien im Mai 2012 als Coverstory des INDUSTRIEMAGAZIN.

Gespannt – so lässt sich die Stimmung jener versammelten Banker beschreiben, die sich am Morgen des 6. September 2010 zu einem „Status Meeting“ zusammengefunden haben. Jürgen Brandt – zu diesem Zeitpunkt noch exakt 14 Tage Finanzvorstand der AE&E – und AE&E-Vorstandschef Georg Gasteiger erklärten den anwesenden Vertretern syndizierter Banken die Welt des Anlagenbaus. Von Projektpipelines, die 2011 weitaus voller seien als jene 2010; von positiven Cash-Forecasts und erfreulichen Baufortschritten ist auf den Folien die Rede, die den Bankern auf eine Leinwand projiziert werden.

Doch diesmal hatten die Männer, die den anwesenden Kreditgebern vor wenigen Monaten einen Auftragseingang von 1,75 Milliarden Euro versprochen hatten, nur 650 Millionen Euro liefern konnten und dennoch fast trotzig auf einem Auftragseingang für 2010 von 1,8 Milliarden Euro bestanden, ein Problem: In der Runde saß jemand, der tiefes Detailwissen über eines der Projekte hatte, das da von der Leinwand strahlte: Der Vertreter der Westpac Banking Corporation. Sein Institut war erst kürzlich durch einen Konkurs zur direkt finanzierenden Bank eines Bauherren der AE&E geworden. Der Bauherr: Der Rohstoffkonzern BHP Billiton. Das Projekt: Ein Multi-Fuel-Kraftwerk in Worsley im Südwesten Australiens.

Kovats ahnungslos?

Insgesamt 21 Millionen Euro hat der heimische Anlagenbauer bis zu jenem Septembertag in dem Projekt, das einst als das größte in der Firmengeschichte gefeiert wurde, versenkt. Tendenz: Mit jeder Woche steigend. Doch von alldem war nicht die Rede in jener Präsentation. Nicht von den Kalkulationsmängeln, den Planungsfehlern und den Unzulänglichkeiten bei der technischen Durchführung des Projektes, die dem Westpac-Banker bestens bekannt waren. Immerhin: Es war sein Kunde BHP Billiton, der im Frühjahr 2010 einen – in der Branche durchaus unüblichen – Notruf an die AE&E Zentrale abgesetzt hatte: Die Kunden baten dringend um eine Fact-Finding-Mission der Konzernleitung, weil die Dinge mit dem lokalen Management nicht mehr verhandelbar schienen.

Fortsetzung auf Seite 2.

Der Auftritt Brandts und Gasteigers, der damals wie Realitätsverweigerung wirkte, erhält durch Unterlagen, die INDUSTRIEMAGAZIN vorliegen, eine neue Dimension. Die Dokumente legen nahe, dass die Führung der AE&E mit Bilanztricks jahrelang Banken, die Öffentlichkeit und zumindest bis Mitte 2010 auch A-Tec-Eigentümer Mirko Kovats über die wahre Auftrags- und Gewinnsituation getäuscht hat. Virtuelle Forderungen. Es ist ein recht harmlos klingender angelsächsischer Begriff, der in den kommenden Monaten die Staatsanwaltschaft beschäftigen könnte:"Negative Estimate to Complete". Ein Begriff, der in keinem Bilanzierungshandbuch vorkommt, geprägt vom Management der AE&E-Anlagenbautochter in Australien. Dahinter verbirgt sich ein System von Bilanzverzerrungen, die das Zeug hatten, jahrelang die wahren wirtschaftlichen Verhältnisse zu schönen. Systematisch wurden in den Bilanzen der AE&E Australien Verluste mit (im Projektgeschäft üblichen, oftmals hohen) Schadenersatzforderungen gegengerechnet. Das Problem dabei: Buchhalterisch ist solch eine Vorgehensweise hierzulande – und auch in Australien, nach den International Accounting Standards (IAS) – streng verboten. Drohende Verluste müssen sofort, Forderungen dürfen nur bei deren Realisierung in die Bücher kommen – und ein Löwenanteil dieser Schadenersatzforderungen war noch nicht einmal in firmeninternen Aufzeichnungen nachvollziehbar. Siemens ahnungslos. Am Beispiel des westaustralischen Kraftwerksprojektes Condamine dokumentieren die Unterlagen die Diskrepanz: Die Bilanz der AE&E Australia (die, geprüft von BDO Australien, letztlich in die Bücher der A-Tec Industries einging) wies für 2009 für das Projekt Condamine einen Gewinn von 6,6 Millionen Euro aus. Einem bereits realisierten Verlust von 8,6 Millionen Euro wurden Schadenersatzforderungen an den Subunternehmer Siemens Australia in Höhe von 9,9 Millionen Euro sowie eine Schadenersatzforderung an den Auftraggeber in Höhe von 3,8 Millionen Euro eingebucht. Beide Forderungen waren, wie ein interner Bericht an das Management nahelegt, offenbar weder in Verhandlung noch als Schadenersatz dem Subunternehmer Siemens gemeldet – ja nicht einmal intern ordnungsgemäß dokumentiert. „Die Forderung gegenüber Siemens ist absolutes Wunschdenken, sie muss sofort auf null abgeschrieben werden“, heißt es in einer E-Mail. Alleine aus dem Projekt Condamine wäre bei korrekter Buchführung ein Verlust von rund fünf Millionen Euro geworden. Fortsetzung auf Seite 3.

Ein ähnliches Muster der Buchung virtueller Forderungen ist auch beim Kraftwerksprojekt Prony II dokumentiert. Bei einem Budget von 117,1 Millionen Euro wurde ein Gewinn von 6,6 Millionen Euro bilanziert – nach der Verbuchung einer Forderung von 13,2 Millionen Euro gegen den Lieferanten Endel (einer Tochter des französiischen Gaz-de-France-Konzerns). Der Forderung – gerichtsanhängig und „mangelhaft dokumentiert“, wie ein Managementbericht urteilt – standen jedoch selbst Gegenforderungen von Endel in der Höhe von 25 Millionen Euro gegenüber. Korrekt verbucht hätte nicht nur die Forderung keinen Eingang in die Bücher finden dürfen, sondern sogar eine Prozessrisikorückstellung vorgenommen werden müssen. Am dramatischsten dürften die Abweichungen zwischen den in den Büchern dokumentierten Werten und jenen der Realität jedoch in Worsley gewesen sein.Das Projekt, Anfang 2008 begonnen, sollte das größte in der AE&E-Geschichte werden. Es war 2009 mit einem Auftragswert von 341,2 Millionen Euro und einem Gewinn von 23,7 Millionen budgetiert. Doch schon in den frühen Phasen des Baus gab es große Verzögerungen. Heute ist klar, dass schon Ende 2009 Verluste in zweistelligen Millionenbeträgen in den Büchern hätten stehen müssen. Alstom-Connection. Doch wer wusste wann von diesen Vorgängen? Finanzvorstand Jürgen Brandt (er ist heute Finanzchef des Schweizer Anlagenbauers Sulzer AG) ließ INDUSTRIEMAGAZIN nach mehreren Anfragen ausrichten, er „wolle sich zu diesem Thema nicht äußern“. Auch der ehemalige AE&E-Vorstandschef Georg Gasteiger war nicht zu einer Stellungnahme bereit. Fest steht: Verantwortlich für das Management der Projekte in Down Under war Graham Salter, Vorstandschef der AE&E Australien, China und Thailand. Dass dieser Gasteiger und Brandt über die Bilanzierungspraktiken im Unklaren gelassen hat, muss bezweifelt werden. Immerhin war Salter ein persönlicher Freund – und ehemaliger Vorgesetzter der beiden bei der Industrial Boiler Division des Anlagenbauers Alstom. AE&E-Konzernchef Gasteiger hat Salter erst im März 2008 zum Chef seiner Asiengeschäfte gemacht. Fortsetzung auf Seite 4.

Tatsache ist, dass seit Mai 2009 – lange vor dem Bekanntwerden von „Schwierigkeiten in Australien“ im Frühjahr 2010 – regelmäßig große Summen Cash nach Australien gepumpt wurden. Die meisten der Projekte in Australien befanden sich zu diesem Zeitpunkt in frühen Phasen – in denen üblicherweise durch hohe Anzahlungen keine Cashprobleme auftreten dürften. Der Cashbedarf stand in klarem Widerspruch zu den Zahlen, die Finanzvorstand Brandt aus Australien gemeldet wurden. Spätestens im Juni 2009 – fast ein Jahr, bevor das AE&E-Management offiziell einräumt, von den Schwierigkeiten gewusst zu haben – tauchte der Begriff NEC („Negative Estimate to Complete“) erstmals auch schriftlich in Dokumenten auf, die zwischen Wien und Australien zirkulierten. In einerMitschrift von Boardmeetings, an denen der Wiener Vorstand teilnahm, ist im Zusammenhang mit dem Kraftwerksprojekt Prony explizit die Rede von dieser Buchungspraktik. Spätestens Mitte 2010 muss, wie Berichte des Managements nahelegen, auch Mirko Kovats von NEC gewusst haben. Entzogen. Heute ist die AE&E der Kontrolle des A-Tec-Gründers Mirko Kovats entzogen. Mit der Insolvenz der AE&E-Gruppe hat der Masseverwalter Stephan Riel im Unternehmen das Sagen. Zu beneiden ist der erfahrene Anwalt nicht: Er muss aufgrund der kompliziertenFirmenstruktur schlechte Geschäfte hinnehmen. Etwa den Verkauf der AE&E Von Roll Inova in der Schweiz. Die wohl werthaltigste aller AE&E-Töchter, mit rund 100 Millionen Euro in den Büchern der AE&E Group, wurde Ende 2010 an den ehemaligen Lizenznehmer Hitachi Zosen verkauft – um nur 10 Millionen Euro. Der Grund: Die Schweizer wuchsen in den Monaten vor der Insolvenz zu einem der größten Gläubiger der AE&E Group in Wien heran. In mehreren Tranchen wurden Kredite an Wien gegeben, die diese an die marode Australien-Tochter weiterreichten. Als die Mutter Insolvenz anmeldete, stand Von Roll Inova mit uneinbringlichen Außenständen in der Höhe von rund 75 Millionen Euro da, schlitterte selbst in die Insolvenz – und wurde vom lokalen Schweizer Masseverwalter im Abtausch gegen eine Standortgarantie letztlich fast verschleudert. Lesen Sie hier: Verkauft und Liquidiert - was aus den Konzerngesellschaften der AE&E wurde.