Vom Volksauto zum Konzern-Klon: Die Opel-Saga und der stille Tod der Qualität
Europas Autoindustrie steckt im Burnout – irgendwo zwischen Batterie, Bürokratie und BYD. Und auch wenn man in der Branche angesichts des Aus vom drohenden Verbrenner-Ausstieg derzeit soetwas wie aufatmen wahrnimmt, sollte man innehalten.
Denn wer glaubt, industrielle Stärke ließe sich bewahren, indem man einfach das Alte verlängert – sollte sich eine Marke vor Augen führen, die genau das schon einmal versucht hat.
In den letzten 30 Jahren hat Opel mehr zwei Drittel seiner Marktanteils verloren – und mit ihm das, was die Marke einst ausmachte: den Ruf deutscher Qualität, der erst bröckelte, dann billig gerechnet und schließlich verkauft wurde.
ERFINDER DES VOLKSWAGENS
Ende der 1920er verkauften die Söhne des Firmengründers Adam Opel das erfolgreichste Automobilunternehmen Deutschlands an General Motors – damals der mächtigste Autokonzern der Welt.
1929, kurz vor dem Schwarzen Freitag, machte der Deal die Familie Opel zum reichsten Industrieclan des Landes.
Die Öffentlichkeit war empört – doch für das Unternehmen war die Übernahme ein Segen: GM brachte Kapital, Know-how und das Fließband nach Rüsselsheim.
1935 kam der Opel Olympia, das erste deutsche Serienauto mit selbsttragender Ganzstahlkarosserie.
Ein Jahr später der Kadett – leicht, robust, günstig – das erste Auto für den Mittelstand.
Oder, wie man rückblickend sagen könnte: der erste Volkswagen, lange bevor es Volkswagen gab.
DER STOLZ DES WIRTSCHAFTSWUNDERS
Nach dem Krieg kam der Wiederaufstieg. GM blieb an Bord – und Opel wurde zum deutschen Gesicht des amerikanischen Erfolgs.
In den 1950er und 60er Jahren rollten aus Rüsselsheim die Autos des Wirtschaftswunders: Rekord, Kapitän, Diplomat.
Wer es geschafft hatte, fuhr Opel. Und wer Opel fuhr, fuhr Aufstieg.
Opel verband das Beste aus zwei Welten: Den amerikanischen Traum – groß denken, groß bauen. Und das deutsche Wirtschaftswunder – fleißig, präzise, zuverlässig.
Detroit lieferte das Kapital und die Vision, Rüsselsheim das Handwerk und die Ingenieurskunst.
DER AMERIKANISCHE FLUCH
In den 1990ern begann der schleichende Qualitätsverfall. Nach außen lief Opel glänzend – solide Modelle, starke Verkäufe – doch hinter den Werkstoren begann das zu rosten, was lange unerschütterlich schien: das Vertrauen in die eigene Qualität.
Der spanische „Kostenkiller“ José Ignacio López de Arriortúa wurde von GM nach Rüsselsheim geschickt, um die Produktion effizienter zu machen.
Sein Ziel: radikale Kostensenkung. Sein Erbe: ein kultureller Schock. Langjährige Zulieferer wurden gegeneinander ausgespielt, Materialien billiger, Toleranzen enger.
Als López 1993 zu Volkswagen wechselte – mit internen Unterlagen im Gepäck – platzte der Skandal. Zurück blieb ein Konzern, der am eigenen Sparkurs krankte.
Astra, Vectra, Omega – sie sollten Volumenmodelle sein, wurden aber zu Symbolen für Rückrufe, Rost und Reklamationen.
SINKFLUG UND PLEITE
In den 2000ern wurde Opel endgültig zur Plattformmarke. Der Corsa teilte sich die Basis mit dem Chevrolet Aveo, der Astra mit dem Cruze, der Insignia mit Modellen von Buick und Saab.
Rüsselsheim war offiziell das „Global Development Center“ von General Motors –
in Wahrheit nur noch der verlängerte Arm eines Konzerns, der längst zum Schatten seiner selbst geworden war. Detroit entschied über Budgets, Lieferanten, Plattformen – und über Opels Zukunft. Und Detroit war müde, visionslos, überverwaltet.
Der Marktanteil in Deutschland fiel von 17 % Mitte der 90er auf unter 8 % im Jahr 2008. Dann kam die Finanzkrise – und mit ihr der Absturz.
GM meldete Insolvenz an, ein Verkauf an Magna – unterstützt von russischem Kapital – scheiterte in letzter Minute.
Opel blieb – mit leeren Kassen und einem ramponierten Ruf. Die Qualitätsprobleme waren massiv: Materialermüdung, Elektronik-Ausfälle, Rostschutz. Der Astra H, der Zafira, der Signum – sie alle litten unter dem, was man höflich „GM-Standard“ nannte. Bis 2017 schrieb das Unternehmen kein einziges Jahr Gewinn.
NEUSTART ALS IM GLEICHTEILE-IMPERIUM
Dann kam der große Neustart: Die französische PSA-Gruppe, später Teil des Mega-Konglomerats Stellantis, kaufte Opel – für den symbolischen Preis von ungefähr einem Satz Radkappen.
Die Mission: Den deutschen Dauerpatienten endlich wieder fit machen.
Unter Carlos Tavares folgte eine radikale Diät – Kosten runter, Plattformen rauf, Identität kam als letztes.
Jedes Modell sollte in Rekordzeit profitabel werden, egal ob Astra, Corsa oder Mokka – Hauptsache, die Bilanz glänzt, auch wenn der Lack matt bleibt.
Und tatsächlich: 2018 war Opel wieder in der Gewinnzone. Die Produktion lief stabiler, die Rückrufe wurden seltener, die Qualitätskurve zeigte nach oben – sozusagen TÜV-geprüftes Aufatmen.
Doch der Preis war hoch: Der neue Astra ist technisch ein Peugeot 308 mit Blitzlogo.
Oder, wie es die auto motor und sport trocken schrieb: „Der neue Astra ist gut – aber eben nicht mehr Opel.“
Hinter dieser Gleichung steckt die Stellantis-Plattformstrategie – ein gigantisches Baukastensystem, das 14 Marken von Peugeot bis Jeep auf wenige technische Grundstrukturen zusammenschweißt.
So rollen heute Autos aus Rüsselsheim, die genauso gut in Rennes, Turin oder Sochaux hätten geboren werden können.
Rüsselsheim, einst das Labor deutscher Ingenieurskunst, ist heute die Verteilerzentrale des Gleichteilsystems. Früher baute man dort Motoren, heute klickt man im Konzernkatalog: „Einmal E-Antrieb, mittlere Reichweite, bitte im Blitz-Design.“
PLATTFORMÖKONOMIE AUF RÄDERN
Opel hat überlebt: Gerettet, verschlankt, profitabel. Doch der Blitz, einst Symbol deutscher Ingenieurskunst, blitzt jetzt im Gleichstrom eines globalen Konzerns. Willkommen in der Plattformökonomie auf Rädern.
Der jüngste Rückruf wegen Nockenwellenverschleiß zeigt, wie schnell eine Schraube zum Dominoeffekt für alle Marken wird. Ein einziger Motor – der 1,5-Liter-BlueHDi-Diesel – verbaut in Peugeot, Citroën, DS, Opel und sogar Jeep – und schon bekommt ein halber Kontinent Post vom Servicezentrum.
Opel landet heute in Zuverlässigkeitsrankings im soliden Mittelfeld statt im Reparaturverzeichnis. Die großen Qualitätsprobleme sind also Geschichte –
aber die große Eigenständigkeit gleich mit.
Im Stellantis-Kosmos ist Opel längst mehr Mitläufer als Macher.
Während Marken wie Jeep neue Technologien, Budgets und Marketingliebe bekommen, muss Opel brav aus dem Konzernbaukasten basteln, was übrig bleibt – und es dann „deutsche Effizienz“ nennen.
Bei Innovation und Investition steht der Blitz selten ganz oben auf der Liste.
Er darf blinken, wenn die anderen schon leuchten.