Vom Milliardengrab zum DAX-Wunder: Wie GEA aus der Asche der Metallgesellschaft aufstieg
Die 90er: Schulterpolster, Mobiltelefone so groß wie Ziegelsteine, der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg Japans, Gordon Gekko im Film Wall Street. Und hinter den blinkenden Börsentafeln ein Mann, ein Konzern – und ein ganz großer Absturz, einer der größten Wirtschaftsskandale der deutschen Nachkriegsgeschichte.
DER CRASH DER METALLGESELLSCHAFT
Winter 1993. Die Metallgesellschaft – ein 113 Jahre alter Industriegigant mit 57.000 Beschäftigten – steht vor dem Abgrund. Rohstoffe, Energie, Chemie, Maschinenbau – das ganze Sammelsurium deutscher Industriekraft. Und an der Spitze: Heinz Schimmelbusch.
Alias Schibu. Gebürtiger Wiener, brillant, ehrgeizig, und mit einem gewissen Hang zur, sagen wir mal: „Mut zur Lücke“.
Seit Ende der Achtziger jagt Schibu Wachstum wie andere Leute Bonuszahlungen.
Er kauft, restrukturiert – und verschuldet den Konzern bis zum Limit. Die MG sichert langfristige Öllieferverträge über Termingeschäfte ab – eine an sich clevere Idee.
Doch im Dezember 1993 fällt der Ölpreis plötzlich um 20 Prozent. Über Nacht muss die Metallgesellschaft mehr als zwei Milliarden D-Mark nachschießen.
Und das war’s dann.
Der neue Aufsichtsratschef Ronaldo Schmitz – Ex-BASF –zieht die Reißleine, Schimmelbusch fliegt. Untreuevorwürfe, öffentliche Demütigung – die deutsche Wirtschaft hat ihr Enron-Moment.
Heinz Schimmelbusch bestreitet alles bis heute: Nicht er, sondern das überhastete Eingreifen nach seiner Entlassung habe den Crash verursacht. Viele Experten sehen das ebenso. Am Ende gibt’s einen Vergleich – samt Abfindung.
Und Heute? Ist Schimmelbusch längst wieder CEO – bei der AMG Critical Materials, einem Hightech-Metall- und Recyclingkonzern.
Bei der Metallgesellschaft übernimmt der Sanierer Kajo Neukirchen das Steuer bei der Metallgesellschaft.
WIE AUS TRÜMMERN TECHNIK WURDE
Karl-Josef Neukirchen ist soetwas wie der Krisenmanager der Nachkriegszeit. Der chirurgische Eingriff der deutschen Wirtschaft der 90er: schmerzhaft, aber überlebenswichtig.
Er zerschlägt den Konzern – 300 Tochtergesellschaften werden verkauft.
Buderus, Kolbenschmidt, Dynamit Nobel – alles weg. Zurück bleibt das, was Zukunft hat: Prozess- und Anlagentechnik.
Im Jahr 2000 übernimmt die Metallgesellschaft dann die Mehrheit an der GEA AG aus Bochum. GEA entwickelt und produziert Anlagen für die Lebensmittel-, Chemie- und Pharmaindustrie – von Separatoren und Wärmetauschern bis hin zu kompletten Prozesslinien. Also alles, was wirklich läuft – wortwörtlich.
2005 dann auch der symbolische Schlussstrich: Die Metallgesellschaft verschmilzt mit GEA.
Der Name Metallgesellschaft verschwindet endgültig – zu toxisch fürs Börsenparkett.
Was bleibt, ist eine neue Identität: Technologie statt Terminwetten.
DER KLEBERT-KURS
Als Stefan Klebert im Februar 2019 die Leitung von GEA übernahm, kam er keinesfalls in ein gesundes Unternehmen: Sieben Gewinnwarnungen in Folge, sinkende Margen und eine zu starre Kostenstruktur hatten das Vertrauen in die Strategie geschwächt.
GEA war noch immer zu stark diversifiziert, über 200 Töchter, die weitgehend unkoordiniert arbeiteten. Doppelstrukturen, teure Projektgeschäfte und das damals branchenübliche verschenken von Servicedienstleistungen drückten die Ergebnisse.
Klebert macht, was gute Ingenieure tun: Er schraubt alles auseinander, denkt nach – und baut’s besser wieder zusammen. Aus zwei Divisionen werden fünf. Und das Motto lautet: weniger PowerPoint, mehr Performance.
Das Servicegeschäft – früher ein nettes Add-on – wird zur Goldgrube. GEA begleitet jetzt Anlagen über ihren gesamten Lebenszyklus, mit Wartung, Monitoring und Performance-Partnerschaften. Damit wird aus dem klassischen Maschinenbauer ein integrierter Prozessdienstleister. Planbarer Umsatz, loyalere Kunden – und jede Menge Daten fürs nächste Update.
Damit verwandelte Klebert GEA vom klassischen Anlagenlieferanten zum Dienstleister – mit planbareren Umsätzen und engerer Kundenbindung.
VOM SANIERUNGSFALL ZUM DAX AUFSTEIGER
Der strategische Umbau zeigt Wirkung. Während die Auftragseingänge der deutschen Maschinenbaubranche im Vorjahr laut VDMA um rund acht Prozent einbrachen – und für 2025 ein weiteres Minus erwartet wird – wächst GEA weiter.
Im Geschäftsjahr 2024 erzielte der Konzern einen Umsatz von 5,4 Milliarden Euro, der Nettogewinn stieg um elf Prozent auf knapp 570 Millionen Euro.
Besonders stark entwickelt sich das Servicegeschäft, das inzwischen mehr als 40 Prozent des Gesamtumsatzes ausmacht.
Selbst internationale Handelshemmnisse, etwa US-Zölle, hätten „keine signifikanten negativen Auswirkungen“ auf das Geschäft, wie Klebert betont.
Derzeit profitiert Kleber auch von seinen Kunden: GEA ist der größte deutschen Maschinenbauern für die Lebensmittel-, Getränke- und Pharmaindustrie – Märkte, die weltweit wachsen, im Gegensatz zur erodierenden Autoindustrie, die große Teile des deutschen Maschinenbaus mit nach unten zieht.
Vor wenige Wochen, im Herbst 2025 dann der Ritterschlag: GEA steigt im Fast Entry-Verfahren in den DAX auf. Damit gehört das Unternehmen offiziell zu den 40 wertvollsten und einflussreichsten Konzernen Deutschlands – als einziger reiner Maschinenbauer der Bundesrepublik.
DIE MORAL VON DER GESCHICHT‘
Aus der Metallgesellschaft, einst Auslöser eines der größten Finanzdebakel der deutschen Industriegeschichte, ist ein Unternehmen geworden, das heute für Stabilität und Anpassungfähigkeit steht.
Der Weg dorthin war lang: Aus dem damals größten Wirtschaftsskandal der Nachkriegszeit wurde ein Musterbeispiel deutscher Ingenieurskunst. Die alte Metallgesellschaft ging unter,
GEA stieg daraus auf.
Und das zeigt: Industrie kann sich neu erfinden. Krise kann Innovation gebären. Und manchmal ist das Ende eines Konzerns einfach nur das Prequel zum nächsten Kapitel.