Volkswagen - Blick in den Abgrund: Oliver Blume und das 12-Milliarden-Loch bei VW | INDUSTRIEMAGAZIN

 

Für Volkswagen wird finanziell die Luft dünn: Denn während die Einnahmen immer weiter versiegen müssen die Ausgaben für Investitionen in E-Modelle, Software und Fabriken weiterfliessen. Fast 12 Milliarden Euro an Cash fehlen derzeit – und der Konzern läuft Gefahr, ohne massiv verschärftes Sparpaket in eine echte Finanzkrise zu schlittern. Ein „Absturz“ der Volkswagen AG in den Junk-Rating-Bereich ist mittlerweile kein völlig abwegiges Zukunfts-Szenario mehr.

Volkswagen am Rande des Abgrunds: Oliver Blume und das Milliardenloch 

Wenn morgen, am 30. Oktober, die Quartalsergebnisse der Volkswagen AG präsentiert werden, sind rote Zahlen zwar nicht wahrscheinlich – aber auch nicht mehr ganz undenkbar.

Nur zweimal in diesem Jahrtausend ist der Gigant aus Wolfsburg ins Minus gerutscht: 2015, als Milliardenrückstellungen für den Dieselskandal gebildet werden mussten – und während der Corona-Pandemie, als Lieferketten rissen und die Bänder stillstanden.

Dass nun, ohne externen Schock, plötzlich wieder ein Verlust möglich scheint, liegt vor allem an der Milliardenpanne bei der Tochter Porsche: Sie gehört zu 75 Prozent Volkswagen – und wird mit ihrem jüngsten Verlust den Mutterkonzern gleich mit in den Schleudergang schicken.

Doch das eigentliche Problem von Volkswaren wäre nicht ein Quartalsverlust.
Die eigentliche Sorge heißt Cashflow – also der Strom des Geldes, der durch den Konzern fließt oder eben nicht mehr.

Denn hier geht Volkswagen langsam die Luft aus. Die Milliarden für E-Modelle, Software und Fabriken müssen weiterfließen – aber die Einnahmen versiegen.

Für das laufende Jahr rechnet der Volkswagen Finanzvorstand erstmals mit einem Netto-Cashflow von exakt Null Euro. Nach allen Kosten bleibt also: nichts. Für 2026 wird sogar ein Loch von sieben Milliarden Euro prognostiziert.

Natürlich kann ein Konzern wie VW – zumal mit einem Eigentümer wie dem Land Niedersachsen – eine Weile auf Reserve fahren. Solange genug Liquidität, Kreditlinien oder Investoren einspringen, läuft der Motor weiter.

Aber ewig geht das nicht. Denn die Ratingagenturen sitzen VW gerade im Nacken –
wie der TÜV-Prüfer über einem alten Diesel.

Schon jetzt ist das Rating wackelig: Moody’s Rating Baa1 und S&P’s Rating BBB+ sind nur zwei Stufen über Junk Niveau. 

Und Moody’s rechnet ohnehin strenger: Nach deren Modell liegt Volkswagen schon seit 2024 im Minus.

Eine Herabstufung auf „Junk“-Niveau würde viele Großanleger ausbremsen. Pensionsfonds und Versicherer etwa dürften VW-Anleihen dann gar nicht mehr halten.

Und selbst wenn Volkswagen nicht sofort in die Junk-Tonne rollt, droht ein Domino-Effekt: Schon ein weiteres Downgrade würde teuer. Vor allem für die Volkswagen Financial Services – die hauseigene Bank, über die fast jedes zweite Auto, das VW weltweit verkauft, finanziert wird.

Oliver Blume räumt Chefsessel bei Porsche

Zwei Konzerne, zwei Aufsichtsräte, 700.000 Mitarbeiter – und nur ein Oliver Blume. Der Mann, der gleichzeitig Volkswagen und Porsche führt, hat die wohl teuerste Doppelbelastung der deutschen Industriegeschichte erfunden.

Blume wollte den Porsche-Chefsessel schon lange räumen – aber die Familie Porsche ließ ihn einfach nicht aufstehen.

Erst die katastrophalen Zahlen des Jahres 2025 sorgten dafür, dass man den Chefwechsel endlich ernst nahm.

Michael Leiters übernimmt am 1. Januar – und Oliver Blume darf sich endlich voll auf Volkswagen konzentrieren.

Dort wartet kein glänzender Neuanfang, sondern ein Konzern im Umbruch – mit Sparzwang, Software-Chaos und mächtig Gegenwind.

Dritter Gewinneinbruch in Folge.

Zum dritten Mal in Folge meldet Europas größter Autobauer einen deutlichen Gewinnrückgang. Der Gewinn nach Steuern sank im ersten Halbjahr um mehr als 38 Prozent auf 4,47 Milliarden Euro. Das operative Ergebnis sank um 29 Prozent, die Marge auf 4,2 Prozent.

Die Reaktion ist massiv: Bei Porsche sollen bis zu 5.000 Stellen wegfallen,
bei Audi 10.000, und im VW-Kernmarkenverbund sogar 35.000.

Der Umbau läuft, die Kosten sinken. Aber die Gewinne tun es auch.
Und genau darin liegt Blumes Dilemma: Er spart den Konzern gesund –
und schwächt dabei gleichzeitig das, was Volkswagen eigentlich antreiben soll.

Und als wäre das nicht genug, öffnet sich im Herbst eine noch größere Lücke – finanziell und strategisch.

Das Milliardenloch

Ende September ruft Finanzchef Arno Antlitz die wichtigsten Leute des Volkswagen-Konzerns zusammen, das Thema: Der Netto-Cashflow – also das Geld, das nach allen Ausgaben eigentlich übrig bleiben sollte – ist im freien Fall.

2024 noch rund fünf Milliarden Euro, jetzt, für dieses Jahr: null.
Und für 2026? Nach internen Berechnungen droht ein Minus von sieben Milliarden Euro.

Das ist selbst für Volkswagen kein kleiner Schluck aus der Pulle. Um die Lücke zu stopfen, muss der Konzern zwölf Milliarden Euro zusätzlich auftreiben - in nur etwas mehr als einem Jahr. 

Gespart wird überall

Nach der Schockzahl folgt die Schocktherapie – gespart wird jetzt überall.

Vom Marketing über den Vertrieb bis hin zu Investitionen:
alles steht auf dem Prüfstand. Denn ohne harte Einschnitte müsste Volkswagen seine Investitionen kürzen – ausgerechnet jetzt, wo die Branche mitten im Wandel steckt: weg vom Verbrenner, hin zur Elektromobilität und zum softwaredefinierten Fahrzeug.

Jetzt sollen auch Beteiligungen verkauft werden – ganz oder teilweise.
Auf der internen Liste stehen Namen, die man früher kaum angetastet hätte:
Italdesign, IAV, der frühere MAN-Energy-Ableger Everllence,
und weitere Töchter aus dem Konzern-Universum.

Alles, was nicht unmittelbar Geld verdient oder strategisch überlebenswichtig ist,
steht zur Disposition.

Das Stopfen der Lücke ist ein Wettrennen gegen die Zeit. Sollte der Plan scheitern, droht ein Dominoeffekt.

In Wolfsburg fürchtet man, dass Rating-Agenturen den Daumen senken.
Das VW-Rating liegt schon jetzt am unteren Ende von „stabil“.
Ein Schritt weiter – und der Konzern rutscht in den Bereich ‚Junk‘, also Ramschniveau. Die Folge: massiv steigende Zinskosten – jedes Jahr.

Die Lage ist kritisch - doch der Umbau hat erst begonnen – und die Liste der Baustellen ist lang. Von der Software über steigende Kosten bis zu den Auslandsmärkten - überall brennt’s.

VW’s China-Problem

Einst war China der Goldesel des Volkswagen-Konzerns. Doch diese Zeiten sind vorbei.

Der Absatz liegt mit 2,9 Millionen Autos auf einem Zwölfjahrestief. Die Marktführerschaft ist schon lange verloren gegangen – an BYD, den neuen Elektro-Champion aus Shenzhen.

Gleichzeitig treffen in China zu viele Autos auf zu wenig Käufer –
Überkapazitäten, wohin man schaut.

Der Konzern reagiert – für VW-Verhältnisse sogar ungewöhnlich schnell.
Es gibt neue China eigene E-Modelle, die stärker auf lokale Vorlieben abzielen. Einige Werke sollen künftig für den Export nach Südostasien produzieren,
um die Bänder überhaupt am Laufen zu halten.

Die Effekte dieser Maßnahmen werden frühestens 2027 spürbar sein.

Bis dahin schmilzt der Gewinn weiter dahin.
Für 2025 erwartet VW weniger als eine Milliarde Euro Gewinn aus China – so wenig wie seit Jahrzehnten nicht

Der berühmte Scheck aus Peking wird immer kleiner.
2018 kam jeder dritte Euro Gewinn aus China,
heute ist es nicht einmal mehr jeder zehnte.

Das Nordamerika-Problem

Auch in Nordamerika läuft es für Volkswagen derzeit alles andere als rund. Volkswagen America meldete im zweiten Quartal 2025 einen Absatzrückgang von 29 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im gesamten ersten Halbjahr gingen die Auslieferungen im US-Markt um fast zehn Prozent zurück.

Die Produktion des elektrischen ID.4 in Chattanooga ist gestoppt,
und selbst das große Hoffnungsthema, die neue Marke Scout,
startet holpriger als geplant. Der angekündigte Elektro-Pick-up soll nun nicht als reines Batterieauto, sondern zunächst mit Verbrennungsmotor und Range-Extender kommen.

Denn während Europa das Verbrennerverbot erneut diskutiert
und China längst auf Elektroautos umgeschwenkt ist,
erlebt der Verbrennungsmotor am US-Markt  ein Comeback.

Mit dem Regierungswechsel in Washington ist die Förderpolitik Geschichte.
Keine Steuererleichterungen mehr, kein politischer Rückenwind für E-Autos –
und die Kunden greifen lieber zu Trucks mit V8 statt zu Stecker und Kabel.

Für Volkswagen heißt das: Strategiewechsel oder Rückzug. Wer stur auf 100 Prozent Elektro setzt, verabschiedet sich faktisch vom US-Markt.

Gleichzeitig drücken die von Donald Trump verhängten Importzölle immer stärker auf die Bilanz: allein im ersten Halbjahr 2025 summieren sich die Zusatzkosten auf rund 1,3 Milliarden Euro.

Das Ziel, in Nordamerika ein positives Ergebnis zu erzielen,
wurde verfehlt. Stattdessen rechnet das Management für 2025 mit einem Verlust von rund einer Milliarde Euro.

E-Mobilität stockt

Ausgerechnet der Konzern, der sich als europäischer Vorreiter der Elektromobilität sieht, legt gerade eine Zwangspause beim E-Auto ein.
2024 sank der Elektroabsatz im VW-Konzern erstmals seit Jahren.

In Wolfsburg reagiert man pragmatisch: Von den 165 Milliarden Euro im Fünfjahresinvestitionsplan ist noch immer rund ein Drittel für Verbrennertechnologie reserviert.

Porsche hat bereits angekündigt, beim Antriebsmix flexibler zu werden.
Auch VW und Audi planen intern länger mit bestimmten Verbrennermodellen.

Für die Rendite könnte das helfen – denn Fahrzeuge mit klassischen Motoren bringen höhere Margen als reine Elektroautos.

Die große Elektrooffensive von Volkswagen steht also auf der Bremse.
Nicht aus Überzeugung, sondern aufgrund fehlender Nachfrage.

Software-Chaos

Die Allianz mit Rivian sollte das hausinterne Software-Chaos beenden. Doch statt Entlastung bringt die Partnerschaft neue Probleme: Verzögerungen, Sonderwünsche, Zweifel.

Zehn Marken – von VW über Audi und Porsche bis zu Seat, Škoda und Lamborghini – bedeuten zehn unterschiedliche Vorstellungen, was die Software leisten soll. Schon Cariad war daran fast zerbrochen: Jede Baureihe wollte eigene Funktionen, Sonderlösungen und maximale Flexibilität.

Mit Rivian wiederholt sich dieses Muster.  Die Kalifornier setzen auf ein standardisiertes System, doch in Ingolstadt und Zuffenhausen reicht das nicht:
Audi-Ingenieure verweisen auf komplexe Fahrdynamiksysteme,
Porsche wiederum will exklusive maßgeschneiderte Bedienoberflächen.

Die Folgen sind dramatisch: Modelle wie der A4 e-tron, der Q8 e-tron oder Porsches Luxus-SUV K1  wurden um Jahre verschoben oder ganz gestoppt.
Der große Befreiungsschlag Trinity – einst als „Tesla-Killer“ gefeiert –
ist inzwischen auf 2032 vertagt.

Eigentlich sollte Rivian modernste Fahrzeugsoftware liefern – zonenbasiert, effizient, updatefähig. Doch die Software ist auf Elektroautos ausgelegt.
Da die E-Modelle nicht in Fahrt kommen, braucht VW jetzt wieder plötzlich Lösungen für Verbrenner.

Weil Rivian nicht liefert, kehrt die alte Cariad zurück – als teure Zwischenlösung bis die Amerikaner liefern können.

Das alles kostet: über sechs Milliarden Euro für alte und neue Software zusammen – ohne Garantie, dass am Ende überhaupt etwas funktioniert.

Blumes Herkulesaufgabe

Oliver Blume hat jetzt, was er immer wollte:
Nur noch einen Konzern, nur noch eine Aufgabe.
Doch ausgerechnet diese eine ist größer, als sie je war.

Ein Milliardenloch, Sparprogramme, Märkte in der Krise,
eine stockende E-Offensive und eine Software,
die nicht liefert, was sie verspricht.

Blume muss all das gleichzeitig ordnen –
während der Konzern an alten Strukturen,
neuen Erwartungen und der Geduld seiner Kunden und Eigentümer zerrt.

Sein Rückzug bei Porsche sollte Entlastung bringen.
Jetzt, wo Blume freie Hand hat – bleibt nur die Frage, ob sie stark genug ist um Volkswagen zu retten.