KNDS oder Rheinmetall? Der Kampf um Europas Rüstungszukunft
Im Februar 2025 beginnt für KNDS eine neue Ära. Der Konzern übernimmt das traditionsreiche Alstom-Werk in Görlitz. Wo einst Züge gefertigt wurden, sollen künftig Komponenten für Leopard und Puma entstehen.
Der Noch-Kanzler Olaf Scholz, Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und KNDS-Deutschlandchef Florian Hohenwartner feiern den Neustart. Ein Standort im Strukturwandel wird zum Symbol für den Aufstieg der deutschen Rüstungsindustrie.
Bis 2028 soll die Produktion in den deutschen Werken um 60 Prozent steigen. Für KNDS ist die Übernahme mehr als eine Erweiterung der Kapazitäten. Sie markiert den Start eines größeren Plans: den Weg zum europäischen Rüstungschampion.
Airbus des Heeres – oder Aufeinandertreffen von Welten?
Hinter der Glasfassade an der Gustav-Mahler-Straße in Amsterdam residiert die KNDS Holding. Sie soll Europas Rüstungsindustrie umkrempeln.
Doch die eigentliche Macht liegt woanders: In München, wo die Spitze von KNDS Deutschland sitzt. In Kassel, wo der Leopard montiert wird. Und in Versailles-Satory, wo KNDS Frankreich den Leclerc baut.
Diese Zweigleisigkeit prägt die Geschichte von KNDS seit 2015. Damals entstand das Unternehmen aus der Fusion von Krauss-Maffei Wegmann und Nexter – gefeiert als ‚Airbus des Heeres‘.
Doch wie beim Vorbild Airbus prallen auch hier zwei Welten aufeinander: die deutsche Familienholding KMW und der französische Staat als Eigentümer von Nexter.
Der Sitz in Amsterdam ist nicht nur geografisch, sondern vor allem politisch ein Kompromiss.
Bis 2026 bereit für den Sprung?
Kaum zehn Jahre nach der Gründung bereitet sich KNDS auf den nächsten Schritt vor: den Börsengang. ‚Ein solcher Schritt ist für 2026 realistisch‘, sagt Konzernchef Jean-Paul Alary. Der Auftrag ist klar: Vorbereitung, Tempo, Kapitalmarktfähigkeit.
Die Ausgangslage scheint günstig: Rheinmetall jagt an der Börse von Rekord zu Rekord. KNDS kann mit vollen Auftragsbüchern und wachsender Produktion dagegenhalten.
2024 erwirtschaftete das Unternehmen 3,8 Milliarden Euro Umsatz, der Auftragsbestand liegt bei 23,5 Milliarden Euro. Mehr als 11.500 Menschen arbeiten mittlerweile für den Konzern – rund 40 Prozent mehr als noch vor drei Jahren.
Doch die Eigentümerfrage bleibt: Wer soll beim IPO einsteigen? Den Mitbewerber Rheinmetall schließt Alary aus. Airbus oder Thales gelten ebenfalls als unwahrscheinlich.
Bleiben Private-Equity-Investoren – und die Politik. In Berlin wird bereits über eine Sperrminorität von 25 Prozent diskutiert.
Anspruch und Wirklichkeit
Der Anspruch ist groß – die Realität ernüchternd. Die Holding tritt nach außen als Einheit auf, doch die beiden Hauptprodukte Leopard und Leclerc laufen weitgehend getrennt.
Der Leopard 2 etwa setzt weiter auf zentrale Komponenten von Rheinmetall. Kanone, Feuerleittechnik und Munition stammen nicht von KNDS selbst, sondern vom Rivalen und Partner aus Düsseldorf.
Auch beim milliardenschweren Auftrag zur Digitalisierung von 10.000 Bundeswehr-Fahrzeugen trat KNDS nicht allein auf – sondern in einer Arbeitsgemeinschaft mit Rheinmetall.
Auf französischer Seite bleibt KNDS France tief in nationale Programme eingebunden. Der Leclerc XLR entsteht mit Partnern wie Thales oder Safran.
Zwar gab es Versuche, Integration zu zeigen – etwa mit dem EMBT, einem Technologiedemonstrator mit Leopard-Fahrwerk und Leclerc-Turm. Doch ein Messeexponat ist keine Serienfertigung.
So bleibt das Bild widersprüchlich: Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander.
Integration im Praxistest
Das Main Ground Combat System – MGCS – gilt als Prüfstein. Es soll in Zukunft den Leopard und Leclerc ablösen – und ein einheitliches, völlig neuartiges System hervorbringen: bemannte und unbemannte Fahrzeuge, vernetzte Sensorik, hybride Antriebe, Drohnenanbindung.
Im April 2025 wurde dazu die MGCS Project Company gegründet – ein Gemeinschaftsvehikel von KNDS Deutschland, KNDS Frankreich, Rheinmetall und Thales.
Die Arbeitsteilung zeigt die Probleme: Frankreich bringt seine Ascalon-Kanone ein, Deutschland Fahrgestell und Schutzsysteme, Rheinmetall und Thales Sensorik und Feuerleittechnik.
Doch statt Integration dominieren – noch? – Kompetenzgerangel und nationale Interessen.
Der Zeitplan verschiebt sich: Statt 2035 rückt die Einführung jenseits von 2040.
Technische Ambitionen treffen auf politische Rücksichtnahmen – und Tempo wird im globalen Rüstungswettlauf zum entscheidenden Faktor.
Wer führt den Konzern in die Zukunft?
Ob KNDS tatsächlich zum europäischen Champion wird, entscheidet sich weniger an Technologie oder Aufträgen – beides ist vorhanden – sondern an der Fähigkeit, nationale Interessen zu überwinden.
Noch marschieren Leopard und Leclerc weitgehend getrennt. Noch prägen Familienholding und Staatsbesitz das Tempo.
Ob KNDS tatsächlich zum europäischen Champion wird, hängt weniger von Technologie oder Aufträgen ab – beides ist reichlich vorhanden – sondern von der Fähigkeit, nationale Interessen zu überwinden.
Noch marschieren Leopard und Leclerc weitgehend getrennt. Noch prägen deutsche Familienholding und französischer Staatsbesitz das Tempo.
Schlüsselperson, um diese Gegensätze auszubalancieren, ist besonders bei KNDS nicht der CEO, sondern der Aufsichtsratschef.
Während Konzernchef Jean-Paul Alary für Effizienz, Aufträge und Ergebnisse steht, liegt es am Vorsitzenden des Boards, die Interessen der Anteilseigner zu moderieren – und das Management im Sinne beider Seiten zu steuern.
Mit dem Rücktritt von Wolfgang Büchele ist im Juni eine Lücke entstanden. Offiziell aus persönlichen Gründen, inoffiziell aber mitten in einer Phase, in der KNDS entscheidende Weichen stellt. Die Nachfolgesuche läuft – und ein Name fällt immer wieder: Tom Enders.
Der frühere Airbus-Chef bringt Erfahrung mit, die für KNDS kaum zu überschätzen ist. Er kennt die Mechanik binationaler Industriekonstrukte, die Entscheidungswege in Berlin, Paris und Brüssel – und verfügt über ein internationales Netzwerk, das KNDS strategisch auf eine europäische Bühne heben könnte.
Für einen möglichen Börsengang wäre er zudem ein Signal an Investoren: ein Schwergewicht mit Kapitalmarkterfahrung, der Glaubwürdigkeit schafft.
Gelingt es, Kapitalmarkt, politische Rückendeckung und industrielle Synergien in Einklang zu bringen, könnte KNDS nicht nur Rheinmetall einholen – sondern international in eine Liga mit General Dynamics oder Hyundai Rotem vorstoßen.
Ob KNDS wirklich Europas ‚Airbus des Heeres‘ wird – oder am Ende ein Torso bleibt – entscheidet sich nicht in Amsterdam. Sondern in München und Versailles.