Der Nexperia-Vorfall: Stehen bei VW, Mercedes und BMW bald die Bänder still? | INDUSTRIEMAGAZIN

Ein Konzern mit Sitz im holländischen Nijmegen, der aus einem Werk in Hamburg fast die ganze Autoindustrie mit Spezialchips beliefert. Ein chinesischer Eigentümer mit Staatsnähe. Und eine Regierung, die eingreift. 

Der Fall Nexperia zeigt, wie sehr Europas Industrie inzwischen zwischen die Fronten des Wirtschaftskriegs zwischen den USA und China geraten ist – und wie gefährlich blauäugig Europa dabei lange war.

 

Wie Europa die Kontrolle über seine Chips verlor

Nexperia – klingt wie ein Start-up, das smarte Steckdosen verkauft. In Wahrheit ist es einer der wichtigsten Chipproduzenten Europas. Seine winzigen Halbleiter stecken überall: in Airbags, LED-Leuchten, Fensterhebern, Motorsteuerungen – kurz: in allem, was im Auto blinkt, piept oder sich bewegt.

Gegründet aus dem niederländischen Philips-Konzern. Im Jahr 2018 verkauft an den chinesischen Elektronikriese Wingtech – Kaufpreis: rund 3,6 Milliarden Dollar. Seitdem: chinesisches Eigentum, aber mit europäischer Infrastruktur.

Und die hat es in sich: Im Hamburger Werk werden fast zehn Prozent aller Standardchips weltweit gefertigt. Rund 100 Milliarden Stück pro Jahr – so klein wie Sandkörner, doch ohne sie steht Europas Autoindustrie still.

Das sogenannte „Packaging“, also das Einsetzen der Chips in Miniatur-Gehäuse, erfolgt mit den Produkten aus Hamburg dann in Fabriken in China. 

Ein Detail, das später noch eine zentrale Rolle spielen wird. 

 

Holland zieht die Notbremse

Am 30. September 2025 übernahm die niederländische Regierung die Kontrolle über Nexperia. Offizielle Begründung: Risiken für die wirtschaftliche Sicherheit Europas und „schwerwiegende Mängel in der Unternehmensführung“. Ein Gericht in Amsterdam setzte den chinesischen Konzernchef Zhang Xuezheng  ab – ein historisch beispielloser Vorgang. Zugleich wurde gerichtlich verfügt: Die Produktion muss im gleichen Umfang wie zuvor weiterlaufen. Und: Jede Verlagerung von Unternehmensteilen und Änderung im Management ist untersagt – zumindest für ein Jahr. 

 

Machtkampf, Sanktionen und ein CEO zu viel

Der formale Auslöser für den Eingriff scheint banal: Wie Gerichtsdokumente zeigen, rebellierten europäische Nexperia-Manager gegen ihren Chef Zhang. Der soll überhöhte Bestellungen bei einem chinesischen Zulieferer angeordnet haben – WSS, einer Tochterfirma seiner eigenen Wingtech-Gruppe.

Dreifach überhöhte Bestellungen, um die chinesische Schwester zu stützen, lautet der Vorwurf. Als Wingtech-CEO Zhang den deutschen Finanzchef  und weitere Manager feuern wollte, griff das Gericht ein. 

Doch hinter der Übernahme der Kontrolle steckt weit mehr als ein Firmenstreit:
Im Jahr 2024, noch unter der Regierung von Joe Biden, setzte die US-Regierung die chinesische Wingtech wegen Sicherheitsbedenken auf eine Sanktionsliste.
Im Sommer 2025 drohte Washington, diese Beschränkungen auf Nexperia auszudehnen. US-Unternehmen wäre es damit untersagt, Geschäfte mit Nexperia zu machen. Das betrifft nicht nur die Umsatz-Seite des Chipherstellers. Vormaterial-Lieferungen und die Wartung der hochsensiblen Maschinen von Nexperia wären damit gefährdet. 

Im Juni warnte das US-Handelsministerium die Niederländer ausdrücklich: „Es ist so gut wie sicher, dass der CEO ersetzt werden muss, um für eine Ausnahme von der Exportliste in Betracht zu kommen.“

Doch Zhang blieb im Amt – Vereinbarungen der holländischen Regierung aus dem Jahr 2021, die seine Kontrolle begrenzen sollten, wurden laut Gericht nie umgesetzt.

Am 1. Oktober schließlich setzten Richter ihn ab und übertrugen die Kontrolle über Nexperia-Anteile an einen Treuhänder. 

Rechtlich gestützt auf ein Gesetz aus dem Kalten Krieg – das „Gesetz über die Verfügbarkeit von Waren“ von 1952. Noch nie zuvor angewandt.

Neuer CEO ist der bisherige Finanzvorstand Stefan Tilger. Der gebürtige Deutsche hat seine Karriere bei NXP begonnen – und ist nach der Übernahme durch die Chinesen zu Finanzvorstand aufgerückt. 

Er hat nur wenige Wochen Zeit, um die US-Regierung zu besänftigen und einen Exportstopp amerikanischer Zulieferungen zu verhindern. 

 

Alarm in der Autoindustrie

Doch die Geschichte endete da nicht. Zhang Xuezheng  reagierte wütend auf die niederländische Entscheidung. In einem mittlerweile gelöschten Posting auf der chinesischen Social-Media-Plattform Weibo sprach der Eigentümer und frühere CEO von einem Putsch lokaler Manager.  Kurz darauf verhängte das chinesische Handelsministerium Exportbeschränkungen für Chips aus einem Nexperia-Werk in China – offiziell als Reaktion auf den Handelsstreit mit den USA.


Seit dem 5. Oktober dürfen dort gefertigte Komponenten nur noch mit Genehmigung exportiert werden. Und seitdem herrscht in der europäischen Autoindustrie: Alarmstufe Rot. Zulieferer warnen vor Engpässen, Hersteller verschicken interne Krisenbriefe. Ein Insider sagte dem manager magazin: „Hier herrscht Alarm.“ Denn die Lieferkette ist eng verzahnt: Ohne das Packaging in China bleiben die Chips aus Hamburg stecken – und landen nie in den Autos von VW, Mercedes oder BMW.

 

Handelskrieg, Europa-Edition

Der Nexperia-Vorfall ist mehr als ein rechtlicher Konflikt. Er ist ein Symbol. Die USA drängen ihre Verbündeten, Technologie-Exporte nach China einzuschränken.


China reagiert mit Gegendruck.

Und Europa? Steht dazwischen – mit zitternden Lieferketten. Das Werk in Hamburg ist ein Sinnbild dieser Abhängigkeit: 1.600 Beschäftigte, Milliarden Chips, globale Kunden.

Für China ist das Werk ein strategischer Brückenkopf in Europa.
Für Europa ein potenzielles Sicherheitsrisiko –
ein trojanisches Pferd aus Silizium, mitten in Hamburg.