Das grüne Auto-Trauma
Oktober 2022. Europa beschließt das Ende des Verbrenners. Raus aus Öl und Gas – hinein in die Zukunft. Die Worte sind groß. Die Vision noch größer.
Ein Satz wie ein Countdown. Der Oktober 2022 – das Ende einer langen Debatte.
Und der Beginn einer neuen Ära. Oder zumindest: Der Versuch.
DIESEL-SKANDAL, FRIDAYS FOR FUTURE UND DER ENERGIEKRIEG
Seit 2017 reifte die Idee zu einem Verbot von Verbrenner-Autos. Damals war die Stimmung aufgeladen: Der Dieselskandal hat das Vertrauen in die Autoindustrie zerstört. Städte verhängen Fahrverbote, Fridays for Future begann, auf die Straße zu gehen, und aus Kalifornien rollte Tesla heran – elektrisch, visionär, unanfechtbar.
Plötzlich war das Undenkbare sagbar: Ein Ende des Verbrennungsmotors – per Dekret. Ab 2035.
Dann kam der russische Angriffskrieg nach Europa – und mit ihm ein weiteres Argument: Klimapolitik trifft Geopolitik. Raus aus russischem Öl und Gas, geringere Abhängigkeit von all den anderen Energie-Despoten. Hinein in europäische Wertschöpfung.
Die Zukunft – elektrisch, strategisch, sauber. Zumindest auf dem Papier.
DAS NEUE NORMAL: WENIGER WACHSTUM, MEHR ZWEIFEL
Doch seit jenem Oktober 2022 hat sich Europa verändert. Der gesellschaftliche Grundkonsens – Klimaschutz um jeden Preis – beginnt zu bröckeln.
Die Energiepreise steigen, die Inflation frisst die Kaufkraft auf, und plötzlich ist der elektrische Aufbruch kein Fortschrittsversprechen mehr.
Was gestern noch moralisch war, ist heute makroökonomisch riskant. Und während Europa diskutiert, hat sich die Welt längst weitergedreht.
CHINAS ELEKTROSTURM
China, einst Kopierer – ist heute Technologieführer. Mit massiven Subventionen, strategischer Industriepolitik und Kontrolle über Rohstoffe hat Peking einen Vorsprung aufgebaut, den Europa kaum noch aufholen kann.
Peking hat heute geschafft, was Europa gerade noch plant. Was als Marktöffnung begann, ist längst Machtpolitik. Ein geopolitischer Feldversuch mit Batterieantrieb.
Europa reagiert mit Zöllen. Doch Zölle sind keine Strategie. Sie sind ein Notwehrreflex.
DAS GRÜNE AUTO-TRAUMA
Mittlerweile wird jedes Problem der Industrie auf den Green Deal und jedes Problem der der Autoindustrie auf die politisch forcierte Transformation vom Verbrenner zum Stromer zurückgeführt.
Wenn die Gewinne schrumpfen – liegt’s am E-Auto.
Wenn Absatz und Marktanteile sinken – liegt’s am E-Auto.
Wenn Fabriken schließen – liegt’s am E-Auto.
Doch die Wahrheit ist komplizierter – und unbequemer.
Die Autoverkäufe sind auch in den letzten beiden Jahren weltweit gestiegen.
In Europa leicht, in den USA deutlich, in China sogar zweistellig – doch die deutschen Autobauer verlieren an Boden.
Volkswagen minus vier Prozent. BMW minus fast fünf. Mercedes sogar über elf Prozent im Minus. Ein wachsender Markt – aber eine Industrie, die den globalen Anschluss verliert.
BRAUCHT ES EIN AUS VOM AUS?
Drei Jahre nach dem großen Beschluss ist der große Zukunftsplan ein größerer Streitfall als je zuvor.
Diskutiert wird über Ausnahmen von den Flottenzielen, über E-Fuels, Hybridlösungen, Range Extender – über alles, was das Verbrenner-Aus nicht ganz so endgültig macht.
Doch die Frage ist: Hilft das – oder verschiebt es nur das Problem?
Die Autoindustrie ist das industrielle Herz Europas. In Deutschland sichert sie rund 800.000 Arbeitsplätze direkt, mehr als zwei Millionen indirekt.
In Österreich ist sie kleiner, aber genauso systemrelevant – von Magna bis AVL, vom BMW-Motorenwerk in Steyr bis zu hunderten Zulieferern, die vor allem in die deutsche Autoindustrie liefern.
Was hier stillsteht, bremst ganz Europa aus. Denn die Autokrise ist längst Teil einer größeren Maläse – einer industriellen Müdigkeit, die Deutschland und Österreich lähmt wie ein Montagmorgen im Dauerlauf.
Was früher Stärke war – Präzision, Perfektion, Effizienz – wird heute zum Hemmschuh.
Hochqualitativ, aber teuer.
Hochpräzise, aber langsam.
Hocheffizient – im Optimieren,
aber nicht im Neu-Denken.
Es sind nicht nur die hohen Energiepreise oder Lohnkosten, die den Auto-Industriestandort Europa gefährden. Es ist auch die typisch europäische Kombination
aus Risikoaversion und Versicherungspolice.
Ein Kontinent, der sich selbst mit Bürokratie anschnallt, bevor er überhaupt losfährt. Europa reguliert – die USA dominiert – China produziert.
Oder anders gesagt: Europa schreibt Regeln, Amerika Machtpolitik, und China gerade Geschichte.
Vielleicht sollten wir weniger verbieten, und mehr ermöglichen.
In der Hoffnung, dass Europas Leitindustrie noch genug Spielraum – und Deutschlands Autoriesen noch genug Manövriermasse haben, um eine weiche Landung hinzulegen.
Ohne jene zu bestrafen, die die Transformation längst geschafft haben. Denn wer schon abhebt, sollte nicht von der Landebahn geholt werden.
Vielleicht sollten wir weniger verbieten, was wir überwinden wollen – und mehr fördern, was wir wirklich erreichen wollen. Nicht weniger Wandel. Aber mehr Vertrauen, dass Europa den Wandel selbst schaffen kann.