ÖVP, SPÖ, NEOS : Österreichs neue Wirtschaftsstrategie: Zwischen Anspruch und Realität

Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ), Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) und Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (NEOS) am Dienstag, 18. März 2025, anl. einer Pressekonferenz im Rahmen der Arbeitsklausur der Bundesregierung im Bundeskanzleramt in Wien
- © APA/HANS KLAUS TECHTDie österreichische Dreierkoalition hat sich bei ihrer ersten Klausur am Dienstag darauf verständigt, bis zum Jahresende eine neue Industrie- und Standortstrategie zu entwickeln. Konkrete Beschlüsse wurden bei dem Treffen im Bundeskanzleramt jedoch nicht gefasst. Laut Kanzler Christian Stocker (ÖVP), Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) und Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (NEOS) stellen vor allem die internationalen politischen Entwicklungen zentrale Herausforderungen dar.
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Bundeskanzler Stocker betonte die Notwendigkeit eines „seriösen Plans für die Zukunft“. Die anhaltenden globalen Krisen – darunter der Ukraine-Krieg, die steigende Inflation und die Zollpolitik der USA unter Ex-Präsident Donald Trump – seien maßgebliche Faktoren für die wirtschaftliche Entwicklung Österreichs.
Laut Außenministerin Meinl-Reisinger müsse sich Österreich neue Märkte und verlässliche Partner erschließen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Auch der Kanzler unterstrich die Bedeutung neuer wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Der Fokus solle dabei auf Wirtschaftssektoren mit Zukunftspotenzial, Schlüsseltechnologien sowie einer Qualifizierungsoffensive liegen.
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Industriestrategie nicht „aus dem Ärmel zu schütteln“
Bereits im Vorfeld der Klausur stellte Stocker klar: „Das ist nichts, was man aus dem Ärmel schütteln kann.“ Die Strategie sei ein fortlaufender Prozess und kein abschließendes Ergebnis der Klausur. Ein zentrales Thema war die Reform des Energiemarktes. Angesichts rasant steigender Energiepreise will die Regierung Maßnahmen ergreifen, um die Kosten für Industrie, Wirtschaft und Konsumenten langfristig zu senken. Geplant sind unter anderem eine Reduzierung der Netzkosten sowie ein effizienteres Genehmigungsverfahren für Investitionen. Meinl-Reisinger kündigte an, gegen bürokratische Hürden und zu lange Genehmigungszeiten vorzugehen.
Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) hob die Bedeutung der Industriestrategie hervor und betonte, dass Österreich sich als Vorreiter in Europa positionieren solle. Zudem sollen das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz sowie das Elektrizitätswirtschaftsgesetz noch vor dem Sommer beschlossen werden. Ziel sei es, die Netzkosten flexibler und verursachergerechter zu gestalten.
Auch Kreislaufwirtschaftsstrategie geplant
Ein weiteres zentrales Anliegen der Koalition ist die Förderung einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft. Vizekanzler Babler sprach sich für eine aktive Arbeitsmarktpolitik aus, die Beschäftigung sichert und die Kaufkraft stärkt. Auch das Sozial- und Gesundheitssystem müsse dabei berücksichtigt werden.
Die Klausur wurde durch wirtschaftliche Experten begleitet. Der Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS), Holger Bonin, sowie Wifo-Chef Gabriel Felbermayr nahmen an den Beratungen teil. Ihre Prognosen sollen als Grundlage für die budgetäre Planung dienen.
Bundeskanzler Stocker lobte die Arbeit der Regierung und betonte, dass man sich nicht auf Problembeschreibungen beschränken wolle, sondern konkrete Lösungen anstrebe. Meinl-Reisinger ergänzte, dass bereits nach zwei Wochen im Amt zahlreiche Vorhaben aus den unterschiedlichen Ministerien vorgelegt wurden. Konkrete Beschlüsse sollen beim Ministerrat am Mittwoch gefasst werden.
Die wirtschaftsliberale Denkfabrik Agenda Austria kritisierte das Vorgehen der Regierung. Ökonom Hanno Lorenz monierte: „Diese Klausur ist der perfekte Beweis für Österreichs Politikstil: Viel reden, viele Überschriften, wenig umsetzen – und wenn, dann zu spät.“ Zudem bemängelte er, dass es keine echte Entlastung, sondern nur neue Steuern gebe.
Zwischen Digitalisierung, Fachkräftemangel und hohen Abgaben
Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass andere europäische Länder bereits gezielt Maßnahmen ergriffen haben, um ihre Standorte zu stärken. Deutschland setzt auf Wasserstofftechnologie, Frankreich auf eine Industriepolitik mit klaren Subventionen, und Skandinavien auf Digitalisierung und nachhaltige Energien. Österreich wird sich in seiner Strategie an diesen Entwicklungen orientieren müssen, um im internationalen Wettbewerb nicht ins Hintertreffen zu geraten.
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Ein zentraler Bestandteil der geplanten Standortstrategie dürfte die Digitalisierung sein. Angesichts der wachsenden Bedeutung von Künstlicher Intelligenz (KI), Automatisierung und digitalen Geschäftsmodellen wird erwartet, dass die Regierung verstärkt auf den Ausbau der digitalen Infrastruktur setzt. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) benötigen Unterstützung bei der digitalen Transformation, um international wettbewerbsfähig zu bleiben.
Ein weiteres Hindernis für Österreichs wirtschaftliche Zukunft ist der Fachkräftemangel. Branchen wie IT, Pflege, Handwerk und Industrie beklagen seit Jahren einen zunehmenden Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Die Regierung könnte in ihrer Strategie Maßnahmen wie eine verstärkte Berufsorientierung, Weiterbildungsoffensiven und erleichterte Zuwanderung für Fachkräfte aus Drittstaaten verankern.
Ein Dauerthema für die Wirtschaft ist die hohe Steuer- und Abgabenquote in Österreich. Unternehmen und Arbeitnehmer fordern seit Langem eine Entlastung, um mehr Investitionen und Konsum zu ermöglichen. Ob die Regierung in ihrer neuen Strategie eine Senkung der Lohnnebenkosten oder steuerliche Anreize für Investitionen einplant, bleibt abzuwarten. Kritiker warnen, dass zusätzliche Abgaben die Wettbewerbsfähigkeit weiter verschlechtern könnten.
