FAS Research Top 1000 Manager : Netzwerkforscher Katzmair: „Wir spielen Markt, die anderen Monopol“
"Hat man kein Öl, keine seltenen Erden, keine Datenmonopole und keine militärische Macht, bleibt nur eines: die Qualität der Beziehungen."
Harald Katzmair, Gründer und Geschäftsführer FAS Research
INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Katzmair, Situational Awareness ist ein neuer, noch ungewohnter Begriff im Top-1000-Manager-Ranking. Wie ist diese Kategorie entstanden?
Harald Katzmair: Wir leben in einer Zeit, in der die Spielregeln des Wirtschaftens gerade neu geschrieben werden. Früher war der Markt die Bühne, auf der sich Wettbewerb abgespielt hat. Heute sehen wir weltweit eine Rückkehr zu geschlossenen, teilweise militärisch abgesicherten Monopolmärkten, Stichwort USA und China. Beide sind geoökonomische Mächte, deren wirtschaftliche und politische Interessen deckungsgleich geworden sind. Europa steht mit seiner freien Marktwirtschaft dagegen da wie eine offene Scheune. Diese Entwicklung wollten wir sichtbar machen. Situational Awareness beschreibt die Fähigkeit von Führungskräften, diese tektonischen Verschiebungen wahrzunehmen – also ihr Lagebewusstsein gegenüber einer Umwelt, die sich rasant verändert. Für das Ranking wollten wir messbar machen, welche Top-Manager ein solches Bewusstsein zeigen.
Wie haben Sie das konkret erfasst?
Katzmair: Wir haben öffentliche Äußerungen der Top-1000-Manager analysiert – Interviews, Reden, Medienbeiträge, Social-Media-Posts. Mittels KI-gestützter Textanalyse, kombiniert mit unserem eigenen Netzwerkmodell, haben wir Themenfelder, ihre Tiefe und ihre Breite ausgewertet. Entscheidend war: Redet jemand nur über Effizienz und Bürokratieabbau oder spricht er auch über Lieferketten, Energie, Europa, Technologie, Sicherheit? Die thematische Breite und Tiefe wurden in Relation gesetzt. Daraus entstand ein Index, der das Ausmaß an Situational Awareness zeigt. Manager mit besonders hoher thematischer Bandbreite rückten im Ranking leicht nach vorne. Wir wollten kein neues Punktesystem schaffen, sondern ein Signal geben: Wer die Weltlage richtig liest, führt anders.
Was zeigen die Daten?
Katzmair: Dass die Themen sich massiv verschoben haben. Nachhaltigkeit und Energie haben an Gewicht verloren. Im Zentrum steht inzwischen alles, was mit Wettbewerbsfähigkeit zu tun hat. Viele Unternehmen reagieren auf den globalen Druck, indem sie Kosten senken und Investitionen zurückhalten. Aber das ist nur eine kurzfristige Antwort. Unsere Analysen zeigen: Die Manager erkennen die Krise, doch sie befinden sich in einer Art „Squeeze“: von oben bedrängt durch globale Machtblöcke, von unten durch nationale Bürokratien und Loyalitätszirkel. Ein exportorientierter Unternehmer ist in der doppelten Zange. Global wird er mit Zöllen, Sanktionen und Erpressungen konfrontiert, also den geoökonomischen Waffen. Lokal hat er es mit Strukturen zu tun, die stark politisiert und loyalitätsbasiert sind. Dort geht es weniger um Marktmechanismen als um Zugehörigkeit, um Beziehungen, um Einfluss. Wenn wir die Wettbewerbsfähigkeit auf fünf Ebenen betrachten – Preis, Leistungsfähigkeit, Innovationskraft, Beziehungsqualität und Anpassungsfähigkeit – dann sind Preisvorteile für Europa illusorisch. Wir waren nie billiger, aber wir waren vernetzter, pragmatischer, innovativer. Genau diese Stärken aber beginnen zu erodieren.
Sie sprechen von einem Epochenbruch. Worin besteht dieser Bruch?
Katzmair: Wir erleben das Ende des liberalen, wachstumsorientierten Kapitalismus. Statt offener Märkte gibt es geoökonomische Abschottung, flankiert von militärischer Macht. Die großen Player – USA, China, zunehmend auch Saudi-Arabien – spielen nicht mehr Markt, sie spielen Monopol. Oder sie spielen Plattform. Europa hingegen hält an einer Marktlogik fest. Das führt zu strukturellen Nachteilen. Während andere Länder vertikal und horizontal integrierte Industrieökosysteme aufbauen, hat Europa durch Spezialisierung und Arbeitsteilung die Lernfähigkeit seiner Wertschöpfungsketten geschwächt. Wenn ich Entwicklung und Produktion trenne, lerne ich weniger. In China etwa entstehen Produkte und Produktionsprozesse gleichzeitig. Jede Erfahrung in der Fertigung fließt zurück in die Entwicklung. Das erhöht die Lernkurve, beschleunigt Innovation. Wir in Europa haben vieles ausgelagert, konzentrieren uns auf Design und Montage und verlieren dabei Wissen. Das betrifft auch neue Technologien: Die KI-Ökosysteme sind vollständig integriert. Hersteller, Software-Entwickler, Hardware-Produzenten investieren wechselseitig ineinander. Das schafft Macht und Geschwindigkeit. Wir dagegen fragmentieren uns weiter.
Was verlangt diese neue Lage von Managern?
Katzmair: Sie müssen wieder lernen, die Realität in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit wahrzunehmen. Situational Awareness heißt, zu verstehen, dass sich die Spielregeln geändert haben. Dass Loyalitäten und Beziehungen genauso über Erfolg entscheiden wie Preis und Technologie. Und dass Anpassungsfähigkeit nicht nur Effizienz, sondern Lernbereitschaft bedeutet. Leadership heißt, Komplexität zu vereinfachen, Orientierung zu geben und eine kohärente Truppe zu führen, gerade in Zeiten, in denen Angst, Kostendruck und politische Unsicherheit dominieren. Viele Unternehmen ziehen sich zurück, sparen, bauen ab. Doch Resilienz entsteht nicht durch Rückzug, sondern durch neue Netzwerke, durch Kooperation, durch Investition in Wissen. Diese geoökonomische Realität kann nur europäisch beantwortet werden. Die großen Herausforderungen - Technologie, Rohstoffe, Energie, Sicherheit – lassen sich nicht national lösen. Österreich muss sich viel stärker mit Deutschland und anderen Partnern abstimmen. Etwa mit der deutschen High-Tech-Agenda oder im Bereich Dual-Use-Technologien. Wir brauchen neue Allianzen, neue Lernnetzwerke, neue Formen industrieller Zusammenarbeit. Wenn wir diese Kooperationen nicht schaffen, bleiben wir kleinteilig – und damit verletzlich.
Das klingt nach einem politischen Auftrag. Wo sehen Sie die größte Schwäche im System?
Katzmair: In der Trägheit der Strukturen. Österreich ist in vielen Bereichen ein von Staat und Politik verwalteter Markt. Der Staatsanteil liegt bei rund 57 Prozent des BIP – das ist keine Marktwirtschaft mehr, sondern eine politische Ökonomie. Dort herrschen andere Spielregeln: Loyalitäten, Wahlgewinne, Einflusszonen. Wenn Unternehmer von Bürokratie sprechen, meinen sie oft nicht Formulare oder Berichtspflichten, sondern das Gefühl, dass die eigene Erfahrungswelt nicht verstanden wird. Dieses kulturelle Missverständnis zwischen Produzierenden und Verwaltenden ist der eigentliche Konflikt.
Welche Lehren lassen sich daraus ziehen?
Katzmair: Zunächst braucht es ein Bekenntnis zu industrieller Kooperation. Andere Länder verankern klare Quoten, was im eigenen Land produziert werden muss. Österreich tut das nicht und verschenkt Wertschöpfung. Zweitens müssen wir in der Außenwirtschaft strategischer denken: Wo sind unsere Schlüsselpartner – Kanada, Japan, Australien? Wie sichern wir Rohstoffe? Wie positionieren wir uns innerhalb der EU? Und drittens: Wir müssen wieder in die Offensive gehen, in Innovation investieren. Der Reflex, auf Unsicherheit mit Sparen zu reagieren, ist menschlich – aber gefährlich. Wer nur abbaut, zerstört die Netzwerke, die ihn stark gemacht haben.
Sie sagen auch: Österreichs einzige Energiequelle sei soziale Energie.
Katzmair: Wenn man kein Öl, keine seltenen Erden, keine Datenmonopole und keine militärische Macht hat, bleibt nur eines: die Qualität der Beziehungen. Soziale Energie entsteht zwischen Menschen – durch Vertrauen, Kooperation, Ambition. Sie ist die Quelle von Innovation, Resilienz und Produktivität. Standorte ohne natürliche Ressourcen müssen soziale Energie erzeugen – durch Zusammenarbeit, Offenheit, Verlässlichkeit. Das war lange Österreichs Stärke: Pragmatismus, Vernetzung, Sympathie. Diese Beziehungskultur ist unser Kapital. Wenn wir sie verlieren, verlieren wir den letzten Wettbewerbsvorteil.
Ihre Studie zeigt auch, dass Manager weniger über Nachhaltigkeit sprechen. Ist das Thema gegessen?
Katzmair: Nur augenscheinlich. Nachhaltigkeit ist heute eine Frage der Souveränität. Wenn ich meine Energie selbst erzeugen kann, reduziere ich Abhängigkeiten – von Saudi-Arabien, Russland oder anderen Lieferanten. Jede Photovoltaikanlage auf einem Dach schafft regionale Wertschöpfung. Nachhaltigkeit bedeutet in dieser Logik: Autonomie durch Ressourcenerhalt.
Unsere natürlichen Ressourcen sind Kapital. Wenn wir sie verlieren, verlieren wir Unabhängigkeit.
Viele Unternehmen nehmen den Begriff Resilienz inflationär in den Mund.
Katzmair: Resilienz ist kein Schlagwort, sondern eine "lesson earned". Man wird nicht resilient, indem man darüber redet, sondern indem man Krisen durchlebt, Rückschläge verarbeitet, lernt. Resilienz entsteht aus Niederlagen. Wir sind in Europa lange in einer „Schönwetterperiode“ geführt worden. Unsere Managergeneration hat kaum Erfahrung mit systemischen Krisen. Jetzt werden wir lernen müssen, mit Unsicherheit zu leben – und uns dabei weiterzuentwickeln. Gesellschaften, die das schaffen, gehen gestärkt aus Krisen hervor.