KI Strategy& Kraftwerke : Johannes Schneider, Partner bei Strategy& Österreich: "Ohne KI wird es nicht mehr gehen“

Johannes Schneider c Strategy

Johannes Schneider, Partner bei Strategy& Österreich: "Die größten Hebel existieren bei kapital- bzw. kostenintensiven Prozessen wie der Echtzeit-Optimierung der Produktions- und Anlagensteuerung durch KI"

- © Strategy&

INDUSTRIEMAGAZIN GREEN: Herr Schneider, Ihre Studie zeigt mögliche Kostensenkungen von über 60 und Produktivitätssteigerungen von mehr als 50 Prozent durch KI. Welche konkreten Hebel stecken hinter diesen Zahlen?

Johannes Schneider: Die größten Hebel existieren bei kapital- bzw. kostenintensiven Prozessen wie etwa der Echtzeit-Optimierung der Produktions- und Anlagensteuerung durch KI. Beispielsweise können durch eine KI-gestützte Anlagensteuerung Wirkungsgrade erhöht werden. Bereits 2% weniger Brennstoffeinsatz entspricht bei einem großen Kraftwerk mit 500 MW Leistung Betriebskosteneinsparungen in Höhe mehrerer Millionen Euro. Ein weiteres Beispiel ist der Einsatz vorausschauender Wartung (Predictive Maintenance) bei Offshore-Windkraftanlagen, wodurch die Wartungsausgaben sowie Stillstandszeiten reduziert werden können. Auch etwa sensor- und bildgestützte Netzinspektionen können die aufwändige Überprüfung per Helikopter verringern. 
 

Bleiben Sie informiert über die wichtigsten Entwicklungen in Österreichs Industrie!
Abonnieren Sie unser Daily Briefing – kompakt, relevant und pünktlich um 7 Uhr in Ihrem Posteingang. Jetzt anmelden und nichts mehr verpassen!

 

Weitere Potentiale ergeben sich aus der Nutzung eines KI-gestützten automatisierten Kundenservice, der den Arbeitsaufwand bei ausgewählten Prozessen um bis zu 60% senken kann, sowie von natursprachlichen KI-Agenten wie ChatGPT für die Erstellung von Genehmigungsunterlagen.

Wo sollten Energieunternehmen zuerst ansetzen, wenn sie KI in ihre Strategie integrieren wollen – bei Effizienzsteigerungen im Betrieb oder bei neuen Geschäftsmodellen?

Schneider: In der Praxis sehen wir aktuell noch deutlich mehr Aktivität im Bereich Effizienzsteigerungen. Insgesamt gehen wir aber davon aus, dass es in der „neuen Energiewelt“ kaum noch ohne KI gehen wird, insbesondere bei der Steuerung der zahlreichen dezentralen Assets wie z.B. bei virtuellen Kraftwerken (Virtual Powerplants). Klassische Effizienzsteigerungen bleiben aber genauso wichtig, denn Kosteneffizienz wird in den kommenden Jahren immer bedeutender. Hier steht der Energiesektor vor einer besonderen Herausforderung: Bislang ist es zu wenig gelungen, IT-Investments tatsächlich in ROI umzusetzen. Energieunternehmen müssen mit Blick auf die großen Chancen durch KI sicherstellen, dass sie die Technologie effizient und effektiv ausrollen.

Wie hoch ist aktuell die Bereitschaft von Energieversorgern und Netzbetreibern, in KI-Lösungen zu investieren – und wo bestehen die größten Hemmnisse?

Schneider: Grundsätzlich beobachten wir eine hohe Bereitschaft. Zahlreiche Unternehmen haben bereits Pilotprojekte gestartet. Nun gilt es, diese Projekte auch in der Breite, aber mit Fokus, umzusetzen. Geduld, Konsequenz und Persistenz sind hierbei zentral, vor allem angesichts zahlreicher Herausforderungen, die noch bestehen. Eines der größten Hemmnisse ist sicherlich das Thema Daten: Die Qualität und Verfügbarkeit von Daten aus Altsystemen, die in neue KI-Anwendungen integriert werden müssen, muss durch einen effizienten IT-Betrieb und die Fokussierung auf einen klaren Business Case sichergestellt werden.

Die Integration erneuerbarer Energien und dezentraler Quellen erhöht die Volatilität im Netz. Welche Rolle kann KI bei der Sicherstellung von Stabilität und Versorgungssicherheit spielen?

Schneider: Wir gehen davon aus, dass die intelligente kommerzielle Steuerung einer Vielzahl von dezentralen Anlagen mittelfristig eines der Hauptanwendungsgebiete für KI in der Energiewirtschaft sein wird. Aufgrund des enormen Datenvolumens, das sich aus der großen Anzahl der Assets auf Erzeuger- und Verbraucherseite ergibt, wird es gar nicht ohne KI gehen. Denn hier müssen Elemente wie prognostizierte Preise, Wetterentwicklungen, Abnahmeverhalten der Kunden oder Netzengpässe berücksichtigt werden. Diese Komplexität ist nicht mehr mit den bisherigen Mechanismen zu steuern. Im Bereich Home Energy Management System (HEMS) ist das bereits heute sichtbar – dabei geht es darum, dass ein Einfamilienhaus optimal ausgesteuert wird, sowohl „behind the meter“ als auch perspektivisch verstärkt „front of the meter“.

Vorausschauende Wartung gilt als einer der klassischen KI-Use-Cases. Wie stark ist dieses Feld bereits im europäischen Energiesektor etabliert, und wo sehen Sie noch Potenzial?

Schneider: In ersten und einfachen Ansätzen ist das bereits recht verbreitet, vor allem bei Offshore-Windparks, weil das wartungsbedingte Ansteuern von Windrändern im „falschen“ Zyklus sehr teuer ist. Es fehlt allerdings noch die breite Marktdurchdringung und Optimierung der Algorithmen, sowohl durch die Integration weiterer Daten (bspw. Langzeitdaten der Anlagen wie auch weitere Faktoren wie Wetter oder Abnehmerverhalten), als auch durch den Ausbau der Algorithmen selbst (bspw. zur Steuerung der Abnehmer für eine wartungsoptimierte Anlagennutzung).

Wie verändert KI die Preisgestaltung – etwa durch flexible Tarife oder personalisierte Angebote für Endkunden?

Schneider: Der Einsatz von dynamischem Pricing und Hyperpersonalisierung sind sicherlich zwei wichtige Anwendungsfälle. Im Rahmen von HEMS können Hausbesitzer etwa Strom beziehen oder auch einspeisen, wenn die Preissignale am vorteilhaftesten sind. KI ermöglicht also mehr Marktteilnehmern die Nutzung flexibler Preise; gleichzeitig kann KI auch eingesetzt werden, um Kunden ertragsoptimal fixe Preise durch aktives Flexibilitätsmanagement zu ermöglichen.

Welchen Unterschied macht der Einsatz von KI für europäische Energieunternehmen im globalen Wettbewerb – speziell im Vergleich zu USA und China?

Schneider: Große Energieunternehmen, insbesondere Infrastrukturausstatter, sind oft global oder zumindest in verschiedenen Regionen der Welt aktiv. Sie bringen daher auch KI-Erfahrungen aus anderen Regionen nach Europa, da sie ihre Produkte „AI ready“ machen müssen. In vielen anderen Bereichen wie den Stadtwerken oder Regionalversorgern gibt es diesen internationalen Wettbewerb nicht direkt. Gleichwohl stehen sie im Wettbewerb mit neuen Anbietern, die durch die konsequente Nutzung von KI bessere, und oft auch günstigere, Angebote machen können. Daher müssen sich auch diese Unternehmen dem Thema stellen. Im globalen Vergleich ist China sicherlich eine der führenden Nationen bei der Nutzung von KI. Allerdings ist aktuell im Bereich der kritischen Infrastruktur, wozu die Energieversorgungsunternehmen gehören, eher eine Zurückhaltung gegenüber chinesischer Technologie zu spüren.