Öl und Gas : Deutsche Industrie erwartet langanhaltenden Gas-Mangel

Download von www.picturedesk.com am 29.03.2022 (12:45). 05 November 2020, Mecklenburg-Western Pomerania, Lubmin: Piping systems and shut-off valves are installed at the gas receiving station of the Nord Stream Baltic Sea pipeline. Later, six and a half million cubic meters of natural gas per hour will be processed here and delivered to downstream pipelines at the right pressure. Originally, the pipeline for natural gas from Russia was scheduled to come on stream at the end of 2019. Almost eight billion euros have already been invested in the pipeline. Currently, 150 of the 2,360-kilometre-long double strand of the German-Russian Nord Stream 2 natural gas pipeline are still missing. Photo: Jens B?ttner/dpa-Zentralbild/ZB - 20201105_PD13855 - Rechteinfo: Rights Managed (RM)

Die deutsche Industrie macht sich auf einen langanhaltenden Gas-Mangel gefasst.

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Auf Deutschland und Europa kommt aus Sicht der deutschen Industrie ein langfristig andauernder Gasmangel zu. "Dieser Testfall für europäische Solidarität muss Putin zeigen, dass die EU im Ernstfall zusammensteht", sagte Wolfgang Niedermark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), am Dienstag in Berlin zum Sondertreffen der Energieminister. Der EU-Notfallplan sei ein wichtiger Schritt für europäische Solidarität.

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"Die akute Energiekrise lässt sich nur gemeinsam europäisch lösen. Es gilt, dem russischen Aggressor entschlossen und Seite an Seite die Stirn zu bieten, anstatt alte Grabenkämpfe fortzuführen."

Vertreter von EU-Staaten haben sich währenddessen auf einen Notfallplan zur Senkung des Gaskonsums verständigt. Er soll die Risiken reduzieren, die sich aus einer vollständigen Unterbrechung russischer Gaslieferungen ergeben könnten. "Auf Deutschland und Europa kommt ein langfristig andauernder Gasmangel zu." Die ganze Gesellschaft, Unternehmen, staatliche Institutionen und Privathaushalte, müssten Energie einsparen, wo es nur gehe.

Einigung für einen Gas-Notfallplan

Wenige Stunden vor einem Energieministertreffen haben sich die EU-Staaten in der Nacht auf Dienstag auf einen Notfallplan zum Gassparen geeinigt. Wie Diplomaten der Deutschen Presse-Agentur bestätigten, sieht der Plan wie von der EU-Kommission vorgeschlagen vor, den nationalen Konsum im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 31. März 2023 freiwillig um 15 Prozent zu senken. Damit soll die EU auch bei einem kompletten Gaslieferstopp aus Russland durch den Winter kommen.

Gewessler: "Lage weiter sehr angespannt"

Der Plan sieht auch die Möglichkeit vor, bei weitreichenden Versorgungsengpässen einen Unionsalarm auszulösen und verbindliche Einsparziele vorzugeben. Im Vergleich zum ersten Entwurf der Kommission sind dafür allerdings deutlich mehr Ausnahmemöglichkeiten vorgesehen und auch die Hürden für die Einführung der Ziele wurden erhöht. Letztere sollen nur vom Rat der Mitgliedstaaten und nicht von der EU-Kommission durchgesetzt werden können.

Bei den Beratungen der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten habe sich gezeigt, dass ein Großteil der Länder Solidarität für äußerst wichtig halte und Gas einsparen wolle, hieß es. Neben Ungarn hätten nur noch drei andere Mitgliedstaaten größere Vorbehalte geäußert.

Österreich wird bei dem Treffen von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) vertreten. Sie wies am Montagabend in der "ZiB2" des ORF darauf hin, dass der Gasverbrauch schon jetzt aufgrund der hohen Preise um zehn Prozent zurückgegangen sei. Zugleich berichtete sie, Österreich sei weiterhin "auf gutem Kurs, unser Speicherziel zu erreichen", weil die von russischen Drosselungen betroffene Pipeline Nord Stream 1 nicht die zentrale Versorgungsroute für das Land sei.

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Der russische Gaskonzern Gazprom hatte am Montag angekündigt, die Lieferungen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 weiter zu senken. Vom 27. Juli (Mittwoch) an, um 6.00 Uhr MESZ, werden demnach noch 20 Prozent oder 33 Millionen Kubikmeter Gas täglich durch die wichtigste Versorgungsleitung nach Deutschland fließen. Grund sei die Reparatur einer weiteren Turbine, hieß es vom Unternehmen.

Von der Leyen drängte auf Einigung

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen drängte vor dem Gipfel darauf, dass sich auch Länder mit geringer Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen an Einsparanstrengungen beteiligen. "Auch Mitgliedstaaten, die kaum russisches Gas beziehen, können sich den Folgen eines möglichen Lieferstopps in unserem Binnenmarkt nicht entziehen", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur (dpa) kurz vor einem Sondertreffen der Energieminister an diesem Dienstag.

Die Volkswirtschaften in der EU seien eng miteinander verwoben. Eine Gaskrise beträfe in der einen oder anderen Form jeden Mitgliedstaat. "Deshalb ist es wichtig, dass alle Mitgliedstaaten die Nachfrage drosseln, dass alle mehr speichern und mit denjenigen Mitgliedern teilen, die stärker betroffen sind", ergänzte von der Leyen. Energiesolidarität sei ein Grundprinzip der europäischen Verträge.

Kurz zuvor hatten sich unter anderem Spanien und Portugal kritisch zu einem Vorschlag der EU-Kommission für einen Gas-Notfallplan geäußert. Die Regierung Portugals könne den Vorschlag überhaupt nicht akzeptieren, weil dieser "unhaltbar" sei, erklärte der Staatssekretär für Umwelt und Energie, João Galamba, am Donnerstag im Gespräch mit der Zeitung "Público". "Wir konsumieren Gas aus absoluter Notwendigkeit", versicherte er.

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Bereits am Mittwoch hatte die spanische Ministerin für Ökologischen Wandel, Teresa Ribera, geklagt: "Wir können doch keine Opfer bringen, über die wir nicht gefragt worden sind." Sie betonte: "Im Gegensatz zu anderen Ländern haben wir Spanier in Sachen Energieverbrauch nicht über unsere Verhältnisse gelebt."

"Inzwischen liefert Russland in zwölf Mitgliedstaaten nur noch teilweise oder gar nicht mehr Gas", sagte von der Leyen der Deutschen Presse-Agentur. "Deswegen muss Europa für den schlimmsten Fall vorbereitet sein: einen vollständigen Stopp der Gaslieferungen, früher oder später." Je schneller man handle, desto mehr spare man - und desto sicherer sei man.

Europäischer Erdgaspreis zieht an

Die Aussicht auf eine neuerliche Drosselung der Gaslieferungen aus Russland treibt den Erdgaspreis weiter an. Am Dienstagvormittag stieg der Preis für eine Megawattstunde (MWh) zur Lieferung im August um rund 5 Prozent auf rund 185 Euro. Es handelt sich dabei um den Terminkontrakt TTF für niederländisches Erdgas, der an den Märkten als Richtschnur für die europäischen Gaspreise betrachtet wird.

Schon am Vortag waren die Erdgaspreise in Europa deutlich angestiegen. Grund war die Ankündigung des russischen Erdgaskonzerns Gazprom, von Mittwoch an die Erdgaslieferungen über die Ostseepipeline Nord Stream 1 erneut deutlich zu reduzieren. Seit dem Ukraine-Krieg und scharfen Sanktionen überwiegend westlicher Länder steigt die Gefahr eines Erdgasstopps aus Russland. Dies würde die europäische Wirtschaft hart treffen, da viele Länder stark abhängig sind von russischen Gaslieferungen.

Gewessler: Vorschlag darf nicht weiter verwässert werden

Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) hat vor einer Abmilderung des von der EU-Kommission vorgelegten Notfallplans zum Gassparen gewarnt. Der Vorschlag dürfe nicht weiter verwässert werden, sondern es müsse ein "starkes Signal der gemeinsamen Sparanstrengung" geben, so Gewessler am Dienstag in Brüssel. "Wir müssen ohnehin sparen", wenn das "alle gemeinsam tun, fällt es für Österreich und Europa insgesamt leichter, die Abhängigkeit" von russischem Gas zu reduzieren.

"Die Diskussion, die wir heute führen, führen wir vor dem Hintergrund, dass (der russische Präsident) Wladimir Putin erst mit der gestrigen Ankündigung wieder bewiesen hat, er ist bereit, Energielieferungen als Waffen in dieser Auseinandersetzung einzusetzen", sagte die Energieministerin. Deshalb sei eine politische Einigung bei dem heutigen Sondertreffen der EU-Energieminister auf den Plan der EU-Kommission so wichtig.

Der Vorschlag der Kommission sieht vor, dass die EU-Staaten zwischen August und März 15 Prozent des Gases einsparen. Als Vergleich dient der Schnitt der gleichen Zeitperiode in den Jahren 2016 bis 2021. Das Ziel ist zunächst freiwillig, es kann aber im Fall einer Versorgungsnotlage verpflichtend gemacht werden. Vorgesehen sind aber einige Ausnahmen etwa für Inselstaaten wie Malta oder Irland.

Trotz dieser Ausnahmen glaubt Gewessler, dass das Ziel erreicht werden kann. Eine weitere Verwässerung lehnt sie allerdings ab. In Österreich habe man bereits im Vergleich zum Vorjahr 10 Prozent eingespart, erklärte die grüne Politikerin. "Das zeigt, Sparen ist möglich, wir können das erreichen, das ist ein Kraftakt, aber es geht." Da werde es Beiträge der Industrie, der öffentlichen Hand und der Haushalte brauchen, betonte Gewessler weiter.

Gewessler sieht in dem Vorschlag allerdings auch eine "deutliche Schwäche". Der gemeinsame EU-Gaseinkauf sei "mindestens ein so zentrale Säule wie das Sparen", betonte die Energieministerin. "Hier muss die EU-Kommission deutlich an Tempo zulegen und liefern", fordert sie.

Angesprochen auf den Erdgasspeicher Haidach erklärte Gewessler, dass dieser sehr bald von österreichischen Unternehmen genutzt werden könne. Haidach ist einer der größten Untertage-Erdgasspeicher Europas - er versorgt Süddeutschland. Aktuell ist der größte Teil des Speichers aber leer, weil er noch unter russischer Kontrolle ist. Inzwischen sind Schritte eingeleitet, an deren Ende Gazprom keine Kontrolle mehr über den Speicher hat und er durch andere genutzt werden kann. "Es ist und bleibt eine angespannte Situation, aber Deutschland und Österreich arbeiten gut zusammen", betonte Gewessler.