Innovation : Verlässlichkeit durch Wandel: Wie Unternehmen vom Change zur Innovation kommen
Daniela Freudenthaler-Mayrhofer, Professorin für Innovation am Logistikum an der FH OÖ in Steyr: "Beim Flugzeug hat es 66 Jahre gedauert, bis es 50 Millionen User hatte. ChatGPT war in zwei Wochen soweit"
- © karin schwarz [email protected]Re:Think: Frau Freudenthaler-Mayrhofer, wir Menschen bevorzugen - Ausnahmen bestätigen die Regel - grundsätzlich stabile Verhältnisse. Jetzt tost geopolitisch ein Orkan und auch Innovationsmanager wünschen sich womöglich ein weniger aufgewühltes Umfeld. Zeit, sich von alten Gewissheiten zu trennen?
Daniela Freudenthaler-Mayrhofer: Wir sind da natürlich in einem Widerspruch, keine Frage. Innovation beschäftigt sich ganz viel mit Veränderung, mit Neuem, mit dem, was kommen wird. Und wir wissen alle, dass das, was kommen wird, anders sein wird. Darum verstehe ich das Bedürfnis nach Stabilität. Wenn man Menschen aufteilt, sagt man im Bausch und Bogen, 20 Prozent treiben von sich aus stark die Veränderung, sie sind intrinsische Motivatoren. Und dann gibt es unter dem Rest etwa 60 Prozent Zaungäste, die sich relativ leicht motivieren lassen, wenn die Innovation plausibel wird und sie viele Anhänger hat da mitzugehen. Aber natürlich lieben wir grundsätzlich die Stabilität.
Wieweit gilt das für Innovationsmanagementabteilungen?
Freudenthaler-Mayrhofer: Es kommt schon darauf an, wie stark es einen am Ende des Tages selber trifft. Ich erlebe es an mir selbst, dass es ein Riesenunterschied ist, ob man jemand anderen verändert oder sich selbst. Einerseits. Anderseits grenzt sich Innovationsmangement doch deutlich von Change Management ab. Und das ist das schöne. Innovation macht man potenzialgetrieben, es sollen sich Chancen ergeben, neue Technologien entstehen, ein Kundenbedarf befriedigt oder ein neues Geschäftsmodell aufgebaut werden. Auch wenn Innovation keine Verlässlichkeit bringt, geht mit ihr immer die Verlockung einher: Da kommt etwas besseres. Eine neue Welt. Mehr Chancen, neue Potenziale. Mit Innovationsprozessen stelle ich die Stabilität bewusst in Frage. Während hingegen bei einem Change Projekt - etwa der Verlagerung der Produktion von Österreich nach Polen - doch eher stabilisierend eingegriffen wird. In Change Projekten bin ich der getriebene.
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Re:think - das Magazin des VNL
Dieses Interview erschien zuerst in Re:Think (01/2025), dem Magazin des Verein Netzwerk Logistik (VNL). Re:Think ist das Mitgliedermagazin des VNL und unterstützt mit seinen Inhalten das Wissen um wirtschaftliche und politische Hintergründe des modernen Supply-Chain-Management.
Wie vorbereitet muss man auf Unsicherheiten sein als Unternehmen?
Freudenthaler-Mayrhofer: Wären die österreichischen Unternehmen besser trainiert in Innovationsprozessen, im Explorieren von Zukunftszenarien und der aktiven Gestaltung dieser, würde vieles von dem, das sie heute erleben, als nicht so bedrohlich erlebt werden. Die NATO-Zukunftsforscherin Florence Gaub sagt, wenn man das Leben einer Person vor 100 Jahren mit einer Person heute vergleicht, war früher viel weniger Stabilität gegeben. Und trotzdem war man damals diesen Zustand gewohnt. Wir leben mittlerweile in einer Zeit, die vorgebliche Stabilität und Pseudosicherheit generiert, vom Wetterbericht bis zum Staureport. Und diese Pseudosicherheiten machen uns als Menschen immer weniger adaptiv und immer überforderter mit jeglicher Form von Instabilität und Unplanbarkeit. Hätten wir öfter das Momentum der Unvorhersehbarkeit, dann wären wir auch wieder lockerer im Reagieren auf Unsicherheiten.
Kann man das erlernen?
Freudenthaler-Mayrhofer: Ich glaube schon, dass man Erneuerung ein Stück weit erlernen kann. Es gibt ja den Begriff des Strategic Renewal, wonach sich Unternehmen erneuern müssen. Viele jammern zwar, dass es jetzt schon wieder soweit ist, aber Unternehmen die es 30 oder 40 Jahre gibt, haben sich alle bereits erneuert. Sonst würde es sie nicht mehr geben.
Unternehmen, die über viele Dekaden von Mitarbeitern das Herauskommen aus der Komfortzone fordern, suchen nun ebendiese. Wie komme ich den in den Zielkorridor Verlässlichkeit durch Innovation? Muss man dieses Bild für obsolet erklären?
Freudenthaler-Mayrhofer: In meinem Buch zum Thema Zukunftsforschung und Innovation (siehe Personenkasten) beschreibe ich, wie Innovation immer langfristiger wird. Da ist jede Aussage von Zukunftforschern: Die Zukunft ist ungewiss. Stabilität gibt es die Zukunft betreffend einfach nicht. Auch wenn uns Big-Data-Analysen und Predictive Analytics allesamt ein bisschen vorgaukeln, es würde diese Stabilität geben. Deren Schwankungsbreiten werden so groß, dass sie über ein Jahr hinaus unbrauchbar werden. Dann fangen menschgemachte Science-fiction-Geschichten an, näher an der Realität zu sein an als Datenprognosen. Es geht also nicht darum, den Korridor Stabilität und Verlässlichkeit zu finden, sondern wir müssen verlässlich innovativ sein. Wir müssen annehmen, dass wir in einer sich veränderbaren Welt leben. Natürlich: Es gibt schon ein paar Experten, die sagen, unsere Welt ist schon komplexer geworden durch die Globalisierung und Klimakrisen undsoweiter. Auch durch die Verbreitungsgeschwindigkeit von Produkten, die mit der Digitalisierung zugenommen hat. Beim Flugzeug hat es 66 Jahre gedauert, bis es 50 Millionen User hatte. ChatGPT war in zwei Wochen soweit. Das ist natürlich eine andere Geschwindigkeit.
Und trotzdem klingt es wie eine Generalausrede. Die multiplen Einschnitte und Krisen.
Freudenthaler-Mayrhofer: In Oberösterreich sind jetzt viele überrascht. Wir müssen nicht überrascht sein. Die Diskussion, dass die Automotiveindustrie auf wackeligen Beinen steht und nicht ewig das Rückgrat der Wirtschaft sein wird, diese Situation ist schon lange bekannt. Aber wir Menschen sind, weil wir Routinen brauchen, auch extrem gut darin, solche Realitäten auszublenden. Viele waren lange gewinnmaximierend unterwegs. Was man machen kann. Im Nachinein sagt jeder: Um Gottes Willen, die Welt ist komplex. Da haben wir in den Organisationen in Europa schon ein Problem, weil wir an diesem Grundreflex so stark festhalten. Viel mehr Verlässlichkeit böte ein klarer Innovationskurs. Und das Ausnutzen aller Instrumente. Von der Schwarmintelligenz über kollektives Lernen.
Fehlt es an Weitblick?
Freudenthaler-Mayrhofer: Es fehlt uns massiv an strategischem Weitblick. Unternehmen sind an Shareholder Value und an die politischen Systeme gekoppelt. Wenn ein Manager, weiß, er hat den Job für vier Jahre und zieht dann weiter, hat er keinen Zehnjahresplan dahinter. Es gibt das Modell der beidhändigen Organisation. Mit Routineprozessen, die relativ etabliert sind und Innovationsgefäßen, die nach anderen Maßstäben laufen. Was ich hier oft erlebe: Dass Kennzahlensysteme und Prozeduren, die in den Routineorganisationen aufgebaut worden sind, werden dann auf Zukunftsprojekte übergestülpt. Das funktioniert nicht. Und wie oft glauben Sie, erlebe ich, dass Innovation in den erfolgswirksamen bonirelveanten Zielen enthalten? Selten - bei Fill in Gurten vor 20 Jahren - habe ich so etwas erlebt. Dort werden Führungskäfteerfolge nach Innovationszielen bemessen. Andere haben in sich geschlossene Systeme, da kann man zuschauen,wie ein Unternehmen seinen Erfolg von morgen vernichtet, wenn alle nur mehr an bestehenden festhalten.
Daniela Freudenthaler-Mayrhofer, 43
ist Professorin für Innovation am Logistikum an der FH OÖ in Steyr und Expertin für die Entwicklung von innovationskräftigen und zukunftsfähigen Organisationen. Zuletzt publiziert sie die Innovationsfibel „Future-Focused Innovation. Mit zukunftsfähigen Innovationen die Welt von morgen mitgestalten“ (SpringerGabler, 2024).