INDUSTRIEMAGAZIN: Die Wasserstoffinvestitionen in Österreich und Europa werden ausgebaut. Kann Wasserstoff dazu beitragen, Energieabhängigkeit von fossilen Energieträgern aus dem EU-Ausland zu reduzieren oder verspricht man sich zuviel von der Technologie?
Katharina Kocher: Grüner Wasserstoff kann einen wichtigen Beitrag zu weniger Abhängigkeit von fossilen Energieträgern in Österreich und Europa leisten. Aus technischer Sicht sind Elektrolysetechnologien für die Herstellung von grünem Wasser gut etablierte, effiziente Verfahren. Wichtig ist jedoch, dass das Energiesystem der Zukunft einen Mix aus unterschiedlichen alternativen Technologien bieten muss. Ein konkretes Beispiel: Für den Antrieb von Fahrzeugen auf Kurzstrecken ist in Akkus gespeicherte Energie eine gute Alternative zu Benzin oder Diesel. Für den Schwerlastverkehr wiederum könnte Wasserstoff eine denkbare Lösung sein.
Hält die Normierung Schritt?
Stephan Nestl-Röschel: Die Arbeit in den Gremien ist aktuell sehr lebendig und es ist durchaus fordernd hier Schritt zu halten. Es gibt innerhalb des Themengebietes Wasserstoff aber auch große Unterschiede. Einige Bereiche, wie beispielsweise die Reinheitsanforderungen für Wasserstoff, sind bereits sehr genau geregelt. Während andere Bereiche, wie beispielsweise die Definition, wann Wasserstoff als grün oder erneuerbar gilt, noch nicht geregelt sind.
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Für welche Industrie- und Mobilitätsbereiche eignet sich Wasserstoff als Alternative zu fossilen Energieträgern schon heute?
Kocher: Als Grundstoff wird Wasserstoff in der Industrie bereits seit über 100 Jahren verwendet. Man denke an das Haber-Bosch-Verfahren zur Ammoniakherstellung, an Verfahren zur Herstellung von Diesel und Benzin in Raffinerien oder an Anwendungen in der Stahlerzeugung. Kurzfristig kann Wasserstoff bei diesen energieintensiven industriellen Prozessen, in der Chemie und Lebensmittelindustrie, oder im Mobilitätssektor, hier vor allem im Schwerlastverkehr fossile Energieträger ersetzen. Über Power-to-Gas und das Gasnetz hat Wasserstoff längerfristig auch als Langzeit-Speicher für Stromüberschüsse großes Potenzial.
Wird er nicht direkt in industriellen Prozessen verwendet, kann er gespeichert und zu einem späteren Zeitpunkt wieder in Energie umgewandelt werden. Wasserstoff ist ein Bindeglied zwischen der stofflichen und elektrischen Welt. Im Alltag nutzen wir schon heute Produkte, die mit Einsatz von Wasserstoff erzeugt werden – etwa Handys und Tablets.
In welchen Branchen ist Kostendeckung – also ein ökonomisch vertretbarer Einsatz von Wasserstoff - am greifbarsten?
Kocher: Wasserstoff eignet sich sehr gut für den Einsatz in energieintensiven Industrien wie beispielsweise der Stahlindustrie, welche bei hoher Last das Stromnetz überfordern könnten, oder auch in der Kraftwerkstechnik. In jenen Sektoren, wo keine direkte Elektrifizierung mittels grünem Storm realisierbar ist, stellt die Speicherung von Energie in Form von Wasserstoff eine beachtliche Alternative dar. Energieüberschüsse, die von Windkraftanlagen erzeugt werden und das Netz überlasten würden, könnten einfach in Wasserstoff umgewandelt werden, welcher dann langfristig – zum Beispiel in Kavernenspeichern – gelagert werden kann. Dabei bietet Wasserstoff den Vorteil einer hohen Energiedichte im Vergleich zu einer Batterie.
Die große Herausforderung ist, ein System zu entwickeln, das alle Möglichkeiten sinnvoll koppelt, um damit ein resilientes und nachhaltiges Energiekonzept auf allen Ebenen zu schaffen. Dazu müssen in unterschiedlichen Projekten die potenziellen Wasserstoff-Ökosysteme betrachtet werden, von der Erzeugung grünen Stroms und Wasserstoffs über den Transport bis hin zum Endverbraucher.