Automobilzulieferer : Markenhersteller versus Zulieferer: Revolution abgesagt?
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Die einen nennen seine Haupteigenschaft Unbeugsamkeit. Andere bezeichnen dies als Sturheit. „Eine kleiner Bruder von Don Quijote“ sei er, fabulieren die deutschen Medien. Michael Militzer verwahrt sich gegen diesen Stempel. Schließlich sei er nicht naiv. Der 68jährige Unternehmer ist aktuell Branchensprecher der Autozulieferer Thüringen. Bekannter ist er als der Gründer (mittlerweile hat er die Hälfte des Unternehmens verkauft) des deutschen Autozulieferers Mitec mit 1000 Mitarbeitern. Die unglaubliche Geschichte begann Anfang 2007 mit einer E-Mail. In dieser teilt ihm sein Auftraggeber, Ford, mit, man brauche die Masseausgleichssysteme, die Mitec produzierte, nicht mehr. Ab sofort. Militzer ist der Ansicht, dass der Vertrag mit Ford noch bis 2009 gelaufen wäre, Ford sieht dies bis heute anders. Dabei hatte Mitec 2001 für den Kontrakt ein neues Werk gebaut und es auf Wunsch der Auftragggeber 2004 noch um die Hälfte erweitert.
Geschlagen von eigenen Produkt
Das Verhältnis zwischen Ford und Mitec war vor der Kündigung schon abgekühlt. Ford hatte eine Preisreduktion von 30 Prozent verlangt. Wegen des schwachen Dollar-Kurses wurde den Amerikanern der alte Vertrag zu teuer. Die Finanzmanager von Ford hatten das Kursrisiko nicht abgesichert. Militzer nannte das Ansinnen „lächerlich“, bot aber Kostensenkungen von zwei Millionen Euro pro Jahr ab. Bei einem Vertrags-Umsatz von 35 Millionen Euro ein respektabler Abschlag – aber keine 30 Prozent. Die Resonanz war unterkühlt. Damals war Militzer von Branchenfreunden gesteckt worden, dass Ford weltweit nach einem anderen Lieferanten für "Balancer" suchte. Als die Kündigung per E-Mail eintraf, ahnte er, wer der neue Lieferant sein würde: Linamar in Mexiko. Militzer ist heute überzeugt, dass die lateinamerikanischen Bauteile nach seinen Konstruktionsplänen gefertigt werden: „Die haben meine Zeichnungen auf Ford-Papier ausgedruckt und damit Angebote eingeholt“, ärgert er sich. Die Übergabe der Pläne zählt zu den üblichen Verfahren der Zulieferbranche. Die großen Hersteller verlangen von ihren Lieferanten maximale Transparenz. Sie müssen das gesamte Produktionsverfahren offenlegen, Investitionen, Qualitätssicherung, alle Kosten, das ganze Fertigungs-Know-how sowie die Konstruktionsdetails, um das Level eines „Serienfertigers“ zu erreichen. „Die Leute von Ford sind drei Monate im Unternehmen unterwegs gewesen, um sämtliche Berechnungen, Serienabläufe und Qualitätssicherungen zu dokumentieren“, erzählt der Eisenacher Unternehmer.
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Einkaufsmacht
„Ich habe lange überlegt, bevor ich zu Gericht gegangen bin“, erzählt Militzer von damaligen Bedenken. Er klagte dennoch. Seine Wut war einfach zu groß – so groß wie seine Überzeugung, den sonst Übermächtigen nicht alles durchgehen zu lassen. Er nahm den Stein und warf ihn Richtung Goliath. Die Reaktionen seiner Branchenkollegen waren verschwommen: „Ich habe viele positive Mails bekommen und aufmunternde Worte. Vor Gericht und auf der Medienbühne war ich aber immer allein“, weiß Militzer heute. Sogar das Engagement von Rechtsanwälten zeigte sich schwierig. „Die großen Sozietäten hatten alle Angst um ihre Verbindungen zu den Konzernen.“ In der Autobranche – und nicht nur dort - stehen Aufmüpfige allein an der Front.
Dabei ist Militzer formal durchaus erfolgreich. Mitec hat in zwei Instanzen Recht bekommen. Einmal wurde die Kündigung des Liefervertrages als unrechtmäßig beurteilt, einmal die Verletzung des Urheberrechts geahndet. Jetzt zieht Ford mit einem weiteren Einspruch vor den deutschen Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Im Februar werden es 10 Jahre, dass die Auseinandersetzung gestartet wurde. Ob sich seither etwas geändert hat? Michael Militzer: „Wir haben es mit einem Oligopol zu tun.“ Einige wenige Konzerne würden nach den gleichen Prinzipien handeln. Aber er werde das Gefühl nicht los, dass „die Methoden noch dreister werden.“
Zwischen Feudalsystem und Partnerschaft
Der Sommerkrimi Prevent vs.VW hat die Usancen der Autobranche wieder einmal in den Fokus gerückt. Ein einzelner mittelständischer Sitzbezughersteller mit kaum 1000 Mitarbeitern hat den zweitgrößten Autohersteller der Welt in die Knie gezwungen. Dabei kam es zum Unaussprechlichen: Kunde VW musste manche Förderbänder einige Tage stillegen. Im komplexen Geflecht der automotiven Wertschöpfung entspricht dies dem Super-Gau.
Die Symbolwirkung war üppig: Das Bild der revoltierenden Underdogs und der automotiven Robin Hoods machte medial die Runde. Für Jan Dannenberg, Partner des Münchner Beratungshauses Berylls, ist die Aufregung um die neue Macht der Zulieferer aber nicht mehr als ein Hype: „Hersteller und Zulieferer haben sich in Vertragsverhandlungen immer schon mit redlichen und unredlichen Mitteln bekriegt.“ Insofern sei der Konflikt nichts Neues gewesen – mit einer Ausnahme: Der Lieferstopp habe eine neue Qualität ins Spiel gebracht. Nach wie vor ist Dannenberg überzeugt, dass „Prevent schlecht beraten war, die Bänder bei VW zu stoppen.“ Am Ende des Tages sei die Basis für weitere Kooperationen verbrannt. „Das wiegt für einen Zulieferkonzern mit einem beschränkten Kundenkreis schwerer als der einmalige Verlust eines Forschungs- oder Produktionsprojekts.“ Auch Beraterkollege Walter Woitsch, Partner des Wiener Consulting-Unternehmens SynGroup sieht wenig Anlass, den Aufstand der Zulieferer auszurufen: „Die Positionen bleiben unverändert.“ Die OEMs stünden selbst zu sehr unter Druck, um ihre Einkaufsmacht nicht maximal auszunutzen. Allerdings erwartet er, dass die Hersteller „eine erhöhte Sensibilität an den Tag legen. Zulieferer dürfen nicht zum Risikofaktor werden.“ Motto: Ausquetschen ja, brechen nein.
Mini-Lopez
Unter den heimischen Zulieferern ist die Hoffnung auf eine künftig gedeihlichere Zusammenarbeit mit ihren Auftraggebern gering. Manfred Kainz ist Eigentümer und Geschäftsführer der Steirischen TCM International: Das Unternehmen mit Sitz in Stainz optimiert mit rund 600 Mitarbeitern den Werkzeugeinsatz an den Werkshallen der Autokonzerne. Für ihn reicht die Signalwirkung der Prevent-Aktion „nicht über die nächste Wegkreuzung“ hinaus: Nur sehr wenige OEMs würden eine Auftragssbeziehung als Partnerschaft definieren. Es seinen die Eigenheiten der handelnden Persönlichkeiten, die Klima und Kultur der Zusammenarbeit bestimmern, „mehr als Strategien und Konzepte. Es wimmelt in der Branche von Mini-Lopez, die nur mit Preisvorgaben in die Verhandlungen kommen.“ Der echte Ignacio Lopez, mit dem Kainz noch bei GM zu tun hatte und der Anfang der 90er-Jahre völlig neue Formen der Beschaffung eingeführt hatte, sei zwar auch mit zweistelligen Prozentabschlägen aufgetaucht, habe aber gemeinsam mit den Zulieferern nach Einsparungspotentialen gesucht: „So haben wir 15 Prozent mobilisiert. Die Hälfte ging an VW, die zweite Hälfte haben wir verdient.“ Diese Form von Zusammenarbeit werde heute weitgehend in den Wind geschossen.
Komplex wie eine Ehe
Der Zulieferindustrie geht es gut. Global gesehen. Eine Studie von Roland Berger und Lazard weist für 2015 eine EBIT-Marge von 7,4 Prozent aus. Viele produzierende Branchen träumen von derartigen Erträgen. Dabei sind die Renditen der großen Zulieferkonzerne Contonental, Bosch oder Magna deutlich höher als jene der kleinen und mittelständischen Betriebe in der zweiten und dritten Zulieferer-Ebene (5 Prozent). Wolfgang Komatz, Geschäftsführer des oberösterreischinen Automobil-Clusters stellt trotz Knebelverträgen und Feudalallüren fest, dass „unsere Unternehmen in den vergangenen Jahren gutes Geld verdient haben.“ Allerdings seien Rahmenbedingungen und Produkte ständig im Wandel. Eigentlich nichts ungewöhnliches. Neu ist aber die Intensität, mit der der Wandel durchgezogen wird: „Derzeit stehen die Betriebe in einem Änderungsprozess, wie sie ihn in den vergangenen 25 oder 30 Jahren nicht erlebt haben“, meint der Clustermanager. Neue Herausforderungen wie E-Mobilität, autonomes Fahren oder Connectivity verlangen ebenso nach Antworten wie die Fragen nach neue Produktions- und Kooperationsformen: Die Autoindustrie ist gegenwärtig ein einziges Forschungslabor für Big Data und Industrie 4.0.
Autobauen wird immer komplizierter: Ein VW-Käfer Baujahr 1965 bestand aus knapp 5000 Teilen, bei einem aktuellen Passat-Modell sind es mehr als doppelt so viele. Dazu kommt eine immer stärker schwindende Fertigungstiefe: Während die Autohersteller zu Käfer-Zeiten die meisten Teile noch in eigenen Werken produzieren, ist die Fertigungstiefe von VW, BMW oder Daimler heute auf durchschnittlich 20 Prozent gesunken. Das sei immer noch zu hoch, heißt es unter Aktionären und Beratern. Porsche beispielsweise hat eine Fertigungstiefe, die beim Topseller Cayenne 10 % und beim Panamera etwa 15 % beträgt. Konzwerne wie VW und Daimler arbeiten intensiv daran, die billigeren Zulieferer noch stärker in die Wertschöpfungskette zu integrieren., Auch wenn alle Betriebsräte aufjaulen: Die Fertigungstiefen werden in den OEMs mit Hilfe der Digitalisierung weiter verringert. Für die Zulieferer bedeutet dies mehr Aufträge und - bis auf zentrale Module wie Getriebe und Motor - den Rückzug der OEMs auf die berühmte „Integrationskompetenz“: Damit wird im Consulterdeutsch die Fähigkeit bezeichnet, die ca. 3000 Zulieferer pro Modell wie beim VW Passat unter einen Hut zu kriegen. Die großen Tier 1-Zulieferer fertigen immer größere Module mit immer mehr nachgereihten Unternehmen. Magna und Co übernehmen das Qualitäts- und Kostenrisiko, das sie weiterreichen. Für die mittelständischen Zulieferer der zweiten und dritten Ebene ändert sich dadurch nichts. TCM-Chef Kainz: „Die Systemlieferanten geben den Druck ungefiltert weiter.“ Die Branche bleibt unter Spannung.
Pendelschlag
Thomas Bründl ist geschäftsführender Gesellschafter des Marchtrenker Tier 2-Lieferanten Starlim-Sterner. Der Spezialist für Flüssigsilikon mit Standorten in China, Nordamerika und Oberösterreich fertigt mit 1200 Mitarbeitern Dichtungen für Kabelbäume, Zündkerzenstecker und Lenkradschalter. Neue Produktionshallen und Akquisitionen unterstreichen, dass die letzten Jahre für das Unternehmen von Thomas Bründl nicht schlecht gelaufen sind. Und trotzdem sagt er: „Das Wort Partnerschaften ist im Autobusiness mit einem Fragezeichen zu versehen.“ Für ihn ist das Prevent-VW-Match eine Frage der Konfliktintensität: „Vielleicht werden die OEMs in ihrer Risikobemessung vorsichtiger. Aber der Auftraggeber wird nie auf seine Marktmacht verzichten.“ Selbst Michael Militzer glaubt nicht an die neue Autorität der Kleinen. Von seinem einstigen Hauptkunden Ford steht seit Streitbeginn kein Auftrag mehr in den Büchern. Und bei einem anderen Kunden hatte er gerichtlich Nachforderungen durchgesetzt. Seither hatte er keine Anfragen mehr aus der Gruppe. Zwar würde er aus prinzipientreue Ford wieder klagen. Aber es sei wesentlich klüger, sich „bei einem Glas Wein zusammenzusetzen als zu Gericht zu rennen.“
Unmoralische Offerte: Die Klauseln der Konzerne
Mit diesen Nebenbestimmungen knebeln OEMs ihre Zulieferer:
Automatische Preisreduktionen: Jährliche Nachlässe zwischen 2 und 5 Prozent über den meist siebenjährigen Produktionsprozess, „Krisenbeiträge“ wie aktuell VW von bis zu 9 Prozent.
Offenlegung von Produktionsplänen: Bei Innovationen verlangen viele OEMs die Übergabe der Konstruktionszeichnungen zur „Qualitätsanalyse“. Immer wieder geben Konzerne diese weiter und holen damit Anbote der Konkurrenz ein. Einem oberösterreichischen Unternehmen ist ähnliches vor Jahren passiert, ohne dass dies gerichtsanhängig wurde. „Rebellen“ wie Starlim-Sterner lehnen diese Praktik (bislang erfolgreich) ab.
Preisgabe der Kalkulation, Nachverhandlung: Die Preisgestaltung ist inklusive Einkauf, Produktionskosten und Marge offenzulegen. Wenn ein Zulieferer zu hohe Gewinne ausweist, werden laufende Projekte nachverhandelt.
Flexible Mengenabnahmen: Zulieferer müssen nachweisen, eine bestimmte Menge an Teilen liefern zu können. Im Gegenzug gibt es aber nur eine ungefähre Abnahmeverpflichtung. Schwankungsbreiten von 15 Prozent sind die Regel. Manche Konzerne garantieren für ganze Modelle und Teile gar keine Mindestabnahme.
Definition der Entwicklungskosten: Der Aufwand für Forschungs- und Entwicklungskosten sowie die Umrüstung in den Kalkulationen wird meist nur teilweise anerkannt.
Zertifizierungsdruck: Umfangreiche Zertifizierungen ebnen erst den Weg, ein Angebot an OEMs stellen zu dürfen. Am Ende werden Fehlertoleranzen in „Parts per Million“ festgelegt. Bei den meisten Kontrakten führen mehr als 3ppm – drei schadhafte Teile pro Million hergestellter Teile- zur sofortigen Kündigungsmöglichkeit.