Lkw-Maut : Festgefahren

Die Reaktion erfolgte umgehend und in seltener Einigkeit. Das vernehmliche Njet der heimischen Wirtschaft zur Ausweitung der Lkw-Maut auf die österreichischen Bundes- und Landesstraßen kam aus sämtlichen Industrie- und Handelssparten. Eine Ausweitung sei auszuschließen, so der einhellige Tenor. Ein Schulterschluss, den die Wirtschaft so nicht immer zuwege bringt. Alexander Klacska, der Fachverbandsobmann der Transportbranche, ist „ein bisschen stolz“ darauf: „Gegen die gesamte heimische Wirtschaft zu handeln, das dürfte doch eher schwierig werden.“

„Genau in die richtige Richtung“

Auslöser der massiven Gegenwehr sind mehrere Verkehrslandesräte, die im April die Ausweitung der Lkw-Maut auf Bundes- und Landesstraßen ventilierten. Vor allem aus Salzburg und Oberösterreich kam die Forderung, Mittel für die dringend notwendige Sanierung des Straßennetzes durch Bemautung zu lukrieren. Salzburgs Verkehrslandesrat Hans Mayr beklagt, dass „über die Hälfte der verkehrsrelevanten Einnahmen in der Bundeshauptstadt Wien landen“. Eine Ausweitung der Lkw-Maut könnte den Bundesländern jährlich mehrere hundert Millionen Euro bringen, rechnet Mayr vor. Rückendeckung bekommen die Landesräte nicht nur vom derzeitigen Vorsitzenden der Landeshauptleute-Konferenz, Hans Niessl. Auch die Arbeiterkammer zeigt sich angetan. Für Sylvia Leodolter, Leiterin der AK-Verkehrsabteilung, geht der Vorstoß „genau in die richtige Richtung: Wer die Schäden verursacht, soll auch dafür aufkommen.“

Mautflüchtlinge im Visier

Dass Österreichs Straßen massiv sanierungsbedürftig sind, ist ebenso unbestritten wie die Tatsache, dass den Ländern die dafür benötigten Mittel fehlen. Die Arbeiterkammer beruft sich auf eine Studie der TU, wonach rund 50 Prozent des etwa 110.000 Kilometer langen Netzes an Landes- und Gemeindestraßen in schlechtem Zustand seien. Dreistellige Millionen-Euro-Beträge seien notwendig, um den derzeitigen Zustand wenigstens zu erhalten.

Dafür die Verursacher heranzuziehen, ist also naheliegend – bloß, wer sind die Verursacher? In den Fokus der Proponenten einer Ausweitung der Lkw-Maut geraten vor allem die „Mautflüchtlinge“, jene Lkw also, die Autobahn-Teilstücke auf dem niederrangigen Straßennetz umfahren, um sich die Maut zu sparen. Reinhold Entholzer, Verkehrslandesrat und Landeshauptmann-Stellvertreter in Oberösterreich, argumentiert gegenüber INDUSTRIEMAGAZIN mit dem Steuerungseffekt: „Bei einer sinnvollen Konzeptionierung kann durch die zusätzliche Bemautung bestimmter Landes- und Gemeindestraßen eine erheblich verbesserte Steuerung des Lkw-Verkehrs und eine entsprechende Begrenzung der Mautflucht erreicht werden.“

Die Maßnahme, meint Entholzer, würde zu mehr Kostenwahrheit im Lkw-Verkehr führen. Und: „Zusätzlich verursachen Mautflucht und Umfahrung von derzeitigen Mautrouten einen erheblichen Schaden auf den Gemeindestraßen, für deren Erhaltung die Gemeinden aufkommen müssen. Entsprechend halten wir es für eine sinnvolle Maßnahme, durch eine entsprechende Ausweitung der Lkw-Maut den Straßenerhaltern diese Leistungen finanziell abzugelten.“ Entholzer betont, dass es keineswegs um eine flächendeckende Bemautung des kompletten Netzes gehe. Geplant seien Maßnahmen nur dort, wo es auch sinnvoll sei.

„Ungeeignet und kontraproduktiv“

Eine Argumentation, der Sebastian Kummer überhaupt nichts abgewinnen kann. Der Leiter des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik der Wirtschaftsuniversität Wien hält den Vorschlag für „völlig ungeeignet, gegebenenfalls sogar kontraproduktiv zur Verhinderung von Mautflüchtlingen“. Ausweichverkehren, meint Kummer im Gespräch mit INDUSTRIEMAGAZIN, würde die Maut-Ausweitung keinen Riegel vorschieben. „Im Grunde ist das doch seit 2003 in der Realität kein Thema mehr. Kein Lkw fährt von der Autobahn ab, um hundert Kilometer weiter wieder aufzufahren. Und die Strecken, auf denen es passierte, hat man längst geschlossen.“

In vielen Fällen handle es sich ohnehin um ein Missverständnis: „Einige Bürger meinen, wenn ausländische Kennzeichen entsprechende Straßen benützen, seien dies automatisch Mautflüchtlinge. Bei entsprechenden Sendungen ist das aber nicht der Fall – aufgrund des Kennzeichens kann man gar nichts erkennen, nur eben wild spekulieren.“ Wo es doch noch zu vereinzelten Ausweichverkehren komme, reichten die rechtlichen Gegebenheiten völlig aus: „Da wäre es besser, würde die Polizei einfach mehr kontrollieren.“ Alexander Klacska sieht in der Debatte grundsätzliche Fragen der Gerechtigkeit berührt: „Die Lkw unterliegen in Österreich zahlreichen zeitlichen und regionalen Beschränkungen – der Lkw würde also für Straßen bezahlen, die er nie benutzen darf.“

Bedrohung für die Nahversorgung?

Umstritten sind auch die Folgen, die eine Bemautung der Bundes- und Landesstraßen für die lokale Wirtschaft hätte. Alexander Klacska sieht in der Diskussion denn auch weniger ein Thema der Transportwirtschaft als des Handels: „Hier geht es um die Nahversorgung. Die Folge einer solchen Maßnahme könnte massive Abwanderung sein. An den damit verbundenen Arbeitsplätzen scheint kein besonderes Interesse zu herrschen.“ Reinhold Entholzer kennt die Argumentation bereits von der Zeit der grundsätzlichen Mauteinführung. Bewahrheitet hätten sich die Warnungen schon damals nicht, meint der Verkehrslandesrat: „Eine sinnvolle Bemautung kann durchaus so gestaltet werden, dass insbesondere ländliche und öffentlich nur schwer erreichbare Regionen nicht betroffen sind.“

WU-Professor Sebastian Kummer stößt hingegen ins gleiche Horn wie Klacska: Die Maut würde fast ausschließlich österreichische Quell-Ziel-Verkehre treffen und sei damit das genaue Gegenteil von dem, „was die heimische Verkehrspolitik vorgibt zu wollen: die Vermeidung von Transitverkehren. Natürlich braucht man Mittel für die Instandhaltung. Bei der flächendeckenden Maut bezahlen das aber die Wirtschaft und die Konsumenten.“

Parallele Systeme

Gänzlich offen sind auch die Fragen des technischen und des Verwaltungs-Aufwands. Landeshauptmann Hans Niessl schwebt als Betreiber eines erweiterten Mautsystems die Asfinag vor – ein Ansinnen, das von dieser in fast schon belustigtem Ton zurückgewiesen wurde: Für die Bundes- und Landesstraßen sei man nun wirklich nicht zuständig.

Noch schwieriger dürfte sich die technische Umsetzung gestalten. Das bestehende System auf den Autobahnen ist mikrowellenbasiert, ist also in der Fläche nicht anwendbar. Die einzige wirtschaftliche Möglichkeit sei demnach die Einführung eines GPS-Systems, erklärt Sebastian Kummer, „doch das würde eine komplette Systemumstellung bedeuten“. Eine Systemumstellung, die sich Reinhold Entholzer durchaus vorstellen kann: Zwar sei die konkrete Abwicklung Sache der Fachexperten und nicht der Politik – doch anzudenken sei eben ein GPS-System, wie es bereits in mehreren Staaten, etwa der Slowakei, zum Einsatz kommt.

Die allerschlimmste Variante, meint Sebastian Kummer, wäre eine überhastete Einführung einer erweiterten Lkw-Maut. „Das wäre wirklich katastrophal, denn dann müsste man entweder das bestehende System abschaffen und komplett durch ein neues ersetzen – oder aber ein zweites, paralleles System einführen.“ Beides, sagt Kummer, wären ziemlich schlechte Lösungen.

„Führen wir halt eine Maut ein“

Wie es nun weitergeht? Derzeit tagt eine Arbeitsgruppe aller Bundesländer. Bis zum Frühjahr 2015 soll sie Ergebnisse liefern. „Das ist eine laufende Diskussion“, sagt Reinhold Entholzer, „und dementsprechend lässt sich die Wahrscheinlichkeit einer Umsetzung derzeit auch nicht beziffern.“ Die geschlossene Abwehrhaltung der Wirtschaftskammer schreckt ihn nicht. „Für eine Interessenvertretung ist das nicht weiter verwunderlich. Aber das Ziel muss sein, auf Basis der fachlichen Expertisen die beste Lösung für die gesamte Bevölkerung zu erarbeiten.“ Erfahrungsgemäß sei die Kammer sachlichen Argumenten gegenüber ja aufgeschlossen.

Ein Lob, das Alexander Klacska wohl ziemlich misstrauisch macht. Alleine, dass die Diskussion nun im Gange und die Arbeitsgruppe am Tagen ist, stellt in seinen Augen ein „Drohpotenzial dar, das man durchaus ernst nehmen muss“. Und sieht seine Branche wieder einmal als den Haken, an dem die Probleme anderer aufgehängt werden: „Die Kassen der Bundesländer sind unter anderem durch Spekulationen extrem leer – und angetrieben wird die Diskussion nun ausgerechnet von Salzburg, also dem Bundesland, das am schlimmsten spekuliert hat.“ Die Initiative der Länder, meint der Transporteursvertreter, basiere letztlich auf keinem konkreten, durchdachten Plan. „Es geht eher in die Richtung: Wir brauchen Geld, also führen wir halt eine Maut ein.“

„Keinerlei Lenkungseffekt“

Verkehrsexperte Sebastian Kummer vermutet eher politisch-weltanschauliche Gründe hinter der Diskussion. Wortmeldungen wie jene von AK-Vertreterin Sylvia Leodolter, bei den Warnungen vor einer Belastungswelle für die Konsumenten handle es sich um „Nebelgranaten der Frächterlobby, die sich schon 2004 bei Einführung der Lkw-Maut auf der Autobahn als haltlos erwiesen“, stützen in seinen Augen diese These. Die Mauten im Lkw-Bereich sieht Kummer als ausgeschöpft, „und mit einer weiteren Maut würde nicht weniger und nicht anders gefahren, sie hätte keinerlei Lenkungseffekt“. Kummer bedauert, dass die aktuelle Diskussion wesentlich wichtigere Themen wieder einmal in den Schatten stellen könnte, wie etwa ein Nachdenken über eine City-Maut, die, so Kummer, wesentlich intelligentere Lenkungseffekte bewirken könnte. „Möglicherweise ist das alles ja auch nur ein Taktieren vor dem nächsten Finanzausgleich.“